: Borderliner
LA FRONTERA Eine Wunde zwischen zwei Ländern: die Grenze zwischen den USA und Mexiko, die von ihren Künstlern am Leben gehalten wird
■ Das Buch: Fünf Jahre arbeitete Stefan Falke an seiner fotografischen Dokumentation von Künstlern und ihrer Arbeit entlang der Grenze zwischen den USA und Mexiko. Neben Falkes Fotografien enthält der Band Beiträge mexikanischer Schriftsteller, die sich auf unterschiedlichste Weise mit dem Thema Grenze auseinandersetzen: „La Frontera – Die mexikanisch-US-amerikanische Grenze und ihre Künstler“, 232 Seiten mit über 200 Fotos, 38 Euro.
■ Die Fotos: Stefan Falkes Bilder sind zu sehen in Frankfurt im Generalkonsulat von Mexiko (Taunusanlage 21) und dem Frankfurter Instituto Cervantes (Staufenstr. 1).
■ Die Ausstellung: Originalwerke aus der Grenzregion sind bis zum 31. Juli 2014 ausgestellt in der Galerie Art Virus in Frankfurt (Bergesgrundweg 3).
VON CLAUDIA STEINBERG (TEXT) UND STEFAN FALKE (FOTOS)
Mal ist die Grenze zwischen den USA und Mexiko eine massive Mauer aus drei Meter hohen Stahlplatten, zusammengeschweißt aus wiederverwendetem Material von Flugzeugträgern aus den letzten Kriegen der Vereinigten Staaten. Mal türmt sie sich aus noch höheren Eisenlatten wie Gitterstäbe eines gigantischen Gefängnisses vor dem Norden auf, deren lange Schatten über das gelobte Land auf der anderen Seite wandern. Nachts verdrängt der gleißende Streifen ihrer Sicherheitsleuchten den Sternenhimmel über der Sierra. In manchen Regionen verläuft sich die Demarkationslinie im Wüstensand, oder sie liegt im Flussbett des Rio Grande verborgen, nur Drohnen und Polizeipatrouillen zeugen von ihrer Präsenz. Doch ob sichtbar oder unsichtbar: Die 3.169 Kilometer lange Linie, mit der sich die Vereinigten Staaten nach dem Krieg von 1848 um ein Drittel ihrer Landmasse vergrößerten, ist ein eigenes, gespaltenes Land, dessen Territorium auf keiner Landkarte verzeichnet ist und das die Mexikaner La Frontera nennen.
Stefan Falke hat diese kosmopolitische, unter der Berichterstattung über nihilistische Gewalttätigkeit begrabene Nation in den vergangenen sechs Jahren rund ein Dutzend Mal aufgesucht und die mutigen Künstler des schmalen Gebiets fotografiert. 180 Maler, Bildhauer, Performer, Autoren und Musiker stellt er in seinem gerade im Faust Verlag erschienen Bildband vor. Der Titel: „La Frontera – Die mexikanisch-US-amerikanische Grenze und ihre Künstler“.
Als Kind in Paderborn faszinierte Stefan Falke die Grenze zwischen BRD und DDR, den Osten dahinter stellte er sich als endloses Grau vor. Später interessierte ihn die Wunde zwischen Israel und Palästina, doch als er Mitte der 80er Jahre nach New York zog, war die immer weiter militarisierte Grenze zwischen den USA und Mexiko unleugbar präsent. Mit der Eskalation der Drogengewalt und des amerikanischen „War on Drugs“ stieg seine Neugierde auf die Realität südlich der brutalen Schranke in gleichem Maße wie seine Furcht vor den Gefahren einer Reise in das Krisengebiet. 2008 stand er starr vor Angst auf dem ältesten Friedhof von Tijuana vor dem Schrein des Schutzheiligen der Grenzgänger, die Juan Soldado am Tag des Todes mit Kerzen und Blumen inständig um Hilfe baten. In der Grenzstadt mit ihren täglichen Toten lernte Stefan Falke Künstler wie Marcos Ramírez Erre mit seinem als Wachturm verkleideten Atelier am Grenzzaun kennen. Er ließ sich von dessen Courage anstecken.
Carmen Cuenca, damals Vizedirektorin des lokalen Museums für zeitgenössische Kunst Cecut, erstaunte ihn mit ihrem hohen kuratorischen Anspruch: „Zum ersten Mal wurde mir die Diskrepanz zwischen der Realität und den Informationen, mit denen man uns über Mexiko füttert, deutlich“, sagt Falke. Bald fühlte er sich in Tijuana eingebettet in einen expandierenden Kreis von Künstlern, die von seinem Interesse an ihrer Lage ebenso überrascht waren, wie er von der Qualität und Vielfalt ihrer Arbeiten.
Nach ein paar Aufenthalten im explosiven Tijuana begab er sich nach Matamores, eine Stadt von 52.600 Einwohnern, die die Mündung des Rio Grande am Golf von Mexiko von ihrem viermal so großen Zwilling Brownsville in Texas trennt. Kein Schild verweist im Norden auf die Nähe Mexikos, obwohl sich wie überall in La Frontera Apotheken und Zahnärzte für die mexikanische Kundschaft drängen. Seit schwarz gekleidete Milizen die Straßen regieren, decken sich hier nicht mehr viele US-Bürger mit billigen Medikamenten ein. Matamoros weckt nicht die gleichen Assoziationen an Terror, wie die durch seine Frauenmorde und bis zu dreitausend Tote im Jahr berüchtigte Ciudad Juárez. Doch auch hier herrscht Anarchie. Und auch hier wird Kunst gemacht: Die Künstlerin Patricia Ruiz Bayón hat das Massaker an 72 Migranten durch die Zeta-Gang im Jahr 2010 mit einer rituellen Performance aufgearbeitet.
Nicht alle Kunst in La Frontera setzt sich unmittelbar mit der Gewalt auseinander: Das Künstlerkollektiv Jellyfish kämpft mit prächtigen Wandmalereien gegen den Fluch ihrer Stadt Juárez. Und ohne die Fresken des zweiköpfigen Teams Taller Yonke wäre Nogales eine Geisterstadt: Es ist die Kunst ihrer Einwohner, die La Frontera am Leben hält.
■ Die aktuelle Ausgabe des Magazins Cicero zeigt weitere Fotos der Arbeit von Stefan Falke
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