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Selbsthilfe gegen Schwarzarbeit

AUS MÜNSTER HENK RAIJER

Überquillende Mülltüten im Wohnungsflur, Schimmelpilze in den Gläschen mit Babynahrung auf der Küchenablage, voll geschissene Windeln in einer Ecke des Badezimmers. Für Mechtild Konerding war das, was eine Mitarbeiterin vorfand, als die Caritas ihre Firma beauftragt hatte, einem jungen Paar bei der Bewältigung seines Alltags unter die Arme zu greifen, nicht neu, wenn auch grenzwertig.

„Die beiden hatten schon seit Monaten eine Familienhelferin von der Stadt im Haus, aber diese Frau hat ihnen offenbar pausenlos nur Vorwürfe gemacht, ohne Maßnahmen zu treffen“, erzählt die Geschäftsführerin von „Zauberfrau“, einem Unternehmen für haushaltsnahe Dienstleistungen in Münster. Drei Tage habe ihre Angestellte gebraucht, den Laden auszumisten. Bezahlt bekam Konerding den Einsatz von der Krankenkasse – aber nur solange, wie die junge Frau, die gerade ihr zweites Kind bekam, im Krankenhaus weilte. „Wir könnten den jungen Leuten zeigen, wie man einen Haushalt führt, einen Tagesplan erstellt, einen Rhythmus für die Kinder entwickelt“, sagt Konerding. Das scheitere aber an der Bewilligung eines Folgeeinsatzes. „Wir werden da nicht reingelassen, weil die Krankenkassen nur mit den privaten Pflegediensten Verträge machen“, moniert Konerding. „Obwohl reichlich Arbeit da ist.“

Und immer mehr wird. Trotz Ehrenamts und karitativen Engagements hat der demographische Wandel – eine immer älter werdende Bevölkerung bei gleichzeitiger Zunahme der Singlehaushalte und höherer Frauenerwerbsquote – längst zu einem steigenden Bedarf an haushaltsnahen Dienstleistungen geführt. Nur werden die oftmals von Arbeitskräften aus Osteuropa angeboten, die dafür den auf dem Schwarzmarkt üblichen Stundentarif von 7 bis 8 Euro erhalten. Und welcher Kunde zahlt schon freiwillig mehr als das Doppelte an einen legalen Anbieter?

Das ändert sich nicht zuletzt aufgrund der Kriminalisierung der häuslichen Schwarzarbeit zunehmend. Der „polnischen Perle“ im Münsterland stehen schwere Zeiten ins Haus. Zumindest wenn es nach der regionalen Industrie- und Handelskammer (IHK) und Unternehmerinnen wie Mechtild Konerding geht. Putzen, Kochen, Kinderbetreuung, kleine Reparaturen oder Botengänge – im Münsterland und in der Emscher-Lippe-Region drängen immer mehr professionelle Dienstleister auf einen Markt, der trotz bemühter, aber halbherziger Maßnahmen der vorigen Bundesregierung nach wie vor stark von Schwarzarbeit geprägt ist. Mehr als 3.200 Firmen sind es schon jetzt, in den letzten beiden Jahren verzeichnete die IHK Nord Westfalen jeweils gut 600 Neugründungen.

Für Pioniere des noch jungen Gewerbes Grund genug, die IHK in die Pflicht zu nehmen. „Ich zahle seit zehn Jahren Beiträge, hatte aber bisher nie was davon“, sagt Zauberfrau-Chefin Mechtild Konerding, deren Firma Familienpflege, Hilfe im Haushalt für Senioren oder Singles sowie andere Serviceleistungen in und rund ums Haus anbietet. „Keine Schulungen, keine Lobbyarbeit für unsere Branche.“

„In guten Händen“

Auf Drängen Konerdings hat die IHK Nord Westfalen nun ein erstes Branchentreffen haushaltsnaher Dienstleister veranstaltet, zu dem sich Mitte November mehr als 150 UnternehmerInnen aus der Region einfanden. Dort war die schwarz arbeitende Konkurrenz allerdings nicht das einzige Thema. „Ziel des Treffens war es, die Branche bekannt zu machen“, sagt Mechtild Konerding. „Und wir wollen einen gemeinsamen Standard für legale Serviceleistungen entwickeln und mit Hilfe der IHK dahin kommen, dass wir als Anbieter von hauswirtschaftlichen Dienstleistungen unabhängig von den Pflegediensten Verträge mit den Kassen machen können.“ Konerding, eine 44-jährige gelernte Kürschnerin und Mutter dreier Kinder, wagte 1996 nach einer Umschulung zur Betriebswirtin des Handwerks den Sprung in die Selbstständigkeit. Heute beschäftigt sie 22 Mitarbeiterinnen für die Reinigung, das Waschen oder die Kinderbetreuung in zahlreichen Haushalten der Stadt. Sieben ihrer ausnahmslos weiblichen Angestellten über 40 sind fest angestellt, die anderen arbeiten auf Mini-Job-Basis oder sind selbstständig.

An die 70 Stammkunden hat Zauberfrau in Münster. Bei einem vereinbarten Mindesteinsatz von zwei Stunden müssen die 18 Euro pro Stunde berappen. Den umsatzmäßig größten Batzen dabei bringe, übers Jahr gesehen, die Barmer Ersatzkasse, mit der Konerding einen Vertrag hat, der jedes Jahr verlängert werden muss. „Mir ist es gelungen, mit denen ins Geschäft zu kommen“, sagt sie. Das sei in der Branche aber die Ausnahme, die meisten Anbieter hätten da große Probleme, denn die Kassen machten Verträge nur mit Pflegediensten, die ihrerseits Hauswirtschaftsunternehmen für die nicht pflegerischen Tätigkeiten anheuerten. Konerding: „Der Paragraph zur Pflegeversicherung sieht uns schlicht nicht vor.“

Die IHK hat die Zeichen der Zeit inzwischen erkannt. „Diese Unternehmen verdienen deutlich mehr Aufmerksamkeit und Unterstützung in der Öffentlichkeit und in der Politik“, meint der stellvertretende Geschäftsführer der IHK Nord Westfalen, Christoph Asmacher. Nicht nur sei die Branche „an die Stelle der helfenden Großfamilie getreten“. Auch biete sie gute Wiedereinstiegschancen für Arbeitslose und fördere die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, so Asmacher. Er bezeichnet die „erwiesene Leistungsfähigkeit und zunehmende Kompetenz“ der Branche als „erstklassiges Argument gegen die Schwarzarbeit in privaten Haushalten“. Zudem böten legale Anbieter ein garantiertes und notfalls einklagbares Leistungsniveau – neben dem Vorteil, dass der Kunde, der immer häufiger mehrere Dienstleistungen aus einer Hand verlange, diese von der Steuer absetzen könne.

Das ist Wasser auf die Mühlen professioneller Dienstleister wie Mechtild Konerding und Wilma Losemann. Ähnlich wie die Zauberfrau in Münster arbeitet „Losemann Haushaltshilfe“ in Billerbeck mit mehreren privaten Pflegediensten zusammen. Diese erweitern durch Wilma Losemanns Zuarbeit ihr Angebot und rechnen die Zusatzdienstleistung ihrerseits mit der Kasse ab.

„Die Nachfrage hier auf dem Land steigt ständig an“, erzählt Wilma Losemann, die mal Hauswirtschafterin gelernt hat. Nachdem sie 20 Jahre mit ihrem Mann den gemeinsamen Hof bewirtschaftet hat, leitet sie nun seit zwei Jahren ihr inzwischen 19-Mitarbeiter-Unternehmen vom heimischen Bauernhof aus. „Da rufen Angehörige aus Hamburg oder Bremen bei mir an und beauftragen mein Unternehmen mit der Haushaltsführung bei ihrer alten Mutter auf dem Dorf“, sagt die 50-Jährige Unternehmerin, die auch selbst noch zwei Pflegebedürftige im Haushalt unterstützt. „Die sind froh, dass ihre Mutter in guten Händen ist.“

Wilma Losemann berechnet einen Stundensatz von 15 bis 20 Euro, ihren Umsatz hat sie im zweiten Jahr um 30 Prozent steigern können. Auch für das dritte erwartet die Hauswirtschaftsmeisterin eine Steigerung in dieser Größenordnung. „Der Markt ist groß genug hier, und Konkurrenz gibt es außer den Pflegediensten, die auch Hauswirtschaft anbieten, nicht – abgesehen von den illegalen Hilfen natürlich“, sagt Losemann, die vier ihrer 19 Mitarbeiterinnen sozialversicherungspflichtig angestellt hat und die anderen auf Mini-Job-Basis beschäftigt.

Nur Frauen über 40

Wie Mechtild Konerding in Münster arbeitet auch Wilma Losemann ausschließlich mit Frauen, deren Kinder „aus dem Gröbsten raus“ sind und die wieder ins Berufsleben einsteigen wollen. Diese seien zwar nicht selten ohne Ausbildung, sagten sich aber: Haushalt können wir! „Alten Leuten oder überforderten Familien zu helfen, macht Sinn“, sagt Losemann. Daher beschäftige sie am liebsten „Frauen mit sozialem Touch“. Berufstätige Mütter, die einfach nur mit Putzen Geld verdienen wollen, hielten sich bei ihr nicht lange. „Haushaltshilfe für Menschen, die Hilfe brauchen, das ist mein Ding“, sagt Wilma Losemann. „Und diese Richtung will ich beibehalten.“ Sie verlässt sich auf den Markt, und der demographische Faktor dürfte ihr Recht geben: Der Kundenkreis wächst.

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