: Flucht ins Nachbarland
Hamburger Sozialbehörde eröffnet neues Frauenhaus. Zahl der Zufluchtsplätze wurde insgesamt um 13 reduziert – trotz dauerhafter Auslastung. Immer mehr Misshandelte müssen deshalb in andere Bundesländer weitervermittelt werden
Von Elke Spanner
Hamburg bietet vielen Frauen keine Zuflucht mehr. In Zukunft werden immer mehr Hamburgerinnen, die von ihren Partnern misshandelt werden, nach Schleswig-Holstein oder Niedersachsen fliehen müssen. Davon gehen die Mitarbeiterinnen der bislang sechs Frauenhäuser der Stadt aus. Denn die Behörde hat zwei der bisherigen Zufluchtsstätten in einem neuen Haus zusammengeschlossen und 13 Plätze gestrichen – obwohl die Auslastung aller Frauenhäuser durchweg 100 Prozent beträgt.
Wie Marion Klußmann vom Trägerverein „Frauen helfen Frauen Hamburg“ sagt, häufen sich schon jetzt Anfragen Hamburger Frauen im benachbarten Wedel. „Das wird noch mehr“, prophezeit sie.
Die Lesart der Behörde ist eine ganz andere. Deren Version sieht so aus, dass Hamburg sein Frauenhaus-Konzept sogar verbessert habe. Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram freute sich bei Eröffnung des neuen Hauses Anfang der Woche darüber, dass dieses behindertengerecht ausgebaut sei und – erstmalig – auch eine Wohnung mit vier Plätzen für Frauen mit über 14-jährigen Söhnen bietet.
Das sind Verbesserungen, über die sich auch die Mitarbeiterinnen der Zufluchtshäuser aufrichtig freuen können. „Dass Frauen nun auch ihre 14-jährigen Jungen mitbringen können, ist ein sehr großer Fortschritt“, sagt Klußmann. „Bisher mussten die Söhne entweder bei Bekannten oder Angehörigen unterkommen oder sogar beim misshandelnden Vater bleiben“. Eine weitere Verbesserung des neuen Hauses sei auch, dass dieses kleinere Wohneinheiten biete als die übrigen Hamburger Frauenhäuser. Statt der Mehrbettzimmer gibt es nun Miniappartements mit eigenem Bad.
Doch das ist nur die eine Seite der Medaille. Die andere ist die, dass die Anzahl der Frauenhausplätze im Zuge der Fusion von vormals 207 Plätzen auf nunmehr 193 reduziert wurde. Dabei, betont Klußmann, seien alle bisher sechs Anlaufstätten durchweg voll belegt. Diese bieten Drei- und Vierbettzimmer, in denen nicht selten bis zu sechs Frauen und Kinder wohnen.
Außerdem haben die Frauenhäuser durch die Fusion zwei Personalstellen verloren. Der Betreuungsschlüssel für die Bewohnerinnen und ihre Kinder hat sich dadurch von vorher 1:6 auf jetzt 1:8,25 verschlechtert. Psychologinnen gibt es in den Häusern ohnehin keine mehr.
Indem sie immerhin die konzeptionellen Verbesserungen durchsetzten, machten die Betreiberinnen der Frauenhäuser aus der Not eine Tugend. Die ursprüngliche Planung des Hamburger Senates im Jahr 2004 sah nämlich die ersatzlose Schließung des ersten Hamburger Frauenhauses Ende 2004 vor. 44 Zufluchtsplätze wären dadurch verloren gegangen.
Die Betreiberinnen wehrten sich dagegen, indem sie das Haus nicht räumten. „Das Haus ist voll“, teilten sie zum angekündigten Räumungstag am 1. November 2004 mit. „Wir können die Frauen nicht zwingen, unter der Brücke zu schlafen.“
Es folgten langwierige und harte Verhandlungen. Der Senat wollte seine Pläne passend machen, indem er bestimmten Frauen den Zugang zu den raren Frauenhausplätzen verwehren wollte: So plante die CDU-Regierung, keine ausländischen Frauen mit Duldungsstatus mehr in die Frauenhäuser zu lassen. Der Trägerverein „Frauen helfen Frauen Hamburg“ opponierte dagegen vehement: Die Gleichbehandlung aller Frauen unabhängig von ethnischer Zugehörigkeit, Religion, Herkunft und Sozialstatus bilde die Grundlage ihrer Arbeit. „Wir nehmen selbstverständlich weiterhin alle Frauen auf“, betonte Klußmann gestern.
Zudem hatte der Senat damit argumentiert, dass in Zukunft weniger Plätze vonnöten seien, weil Hamburg 2003 für Opfer häuslicher Gewalt die Beratungsstelle „pro aktiv“ eröffnet hat. Seither besteht auch die Möglichkeit der „Wegweisung“, das heißt, dass Frauen die misshandelnden Männer durch die Polizei der gemeinsamen Wohnung verweisen lassen können.
Doch auch dadurch habe sich der Zulauf der Frauenhäuser nicht verringert, sagt „Frauen helfen Frauen Hamburg“: 2003 nahmen in Hamburg insgesamt 1.800 Frauen und Kinder den Schutz des Frauenhauses in Anspruch. In 25 Fällen wurden die Misshandler aus der Wohnung verwiesen – 15 Frauen zogen dennoch den Schutz des Frauenhauses vor. „Viele Männer halten sich einfach nicht an die Wegweisung“, sagt Klußmann.
Sozialsenatorin Schnieber-Jastram betonte bei Eröffnung des neuen Hauses auch, dass Hamburg ein eigenständiges Kinder-Konzept für die Betreuung in den Frauenhäusern entwickelt habe. Abgesehen von den Wohnplätzen für über 14-jährige Jungen erschöpft sich dies allerdings in einer finanziellen Umschichtung: Rund 300.000 Euro des Jahresetats von insgesamt 2,15 Millionen Euro für alle fünf Häuser stammen aus dem Topf der „Hilfen zur Erziehung“ der Jugendbehörde.
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