: Eine einzige Tortur
Der deutschen Fußball-Nationalmannschaft der Menschen mit Behinderung wurde der dritte Platz bei der WM aberkannt. Der Streit um die psychologischen Tests geht vor allem zu Lasten der Sportler
von johannes kopp
Am 15. September dieses Jahres war der Jubel groß. Das gastgebende deutsche Team bei der Fußball-WM der Menschen mit Behinderung feierte begeistert seinen dritten Platz. Gegen Südafrika gewann man das kleine Finale 4:0. Vor wenigen Tagen informierte der Deutsche Behinderten-Sportverband (DBS) die Öffentlichkeit, dass das Team vom Internationalen Sportverband für Menschen mit geistiger Behinderung (Inas-Fid) bereits am 16. November disqualifiziert wurde. Vergeblich hatte man in den letzten Wochen im Stillen versucht, dessen Präsidenten, Jos Mulder, umzustimmen. Dieter Keuther, der Generalsekretär des DBS, erklärt: „Wir haben keine vernünftige Begründung für den Ausschluss erhalten.“ Die angewandten Testverfahren für die Zulassung der Sportler seien nicht anerkannt worden. Weshalb, das sei nicht näher ausgeführt worden. Gefordert wird von der Inas-Fid ein Intelligenzquotient, der nicht über 75 liegt, und der Nachweis, dass die Spieler in ihrem alltäglichen Leben auf Hilfe angewiesen sind.
Immerhin habe man erreicht, dass im April auf der nächsten turnusmäßigen Sitzung des Weltverbandes noch einmal über die Disqualifikation gesprochen werde, so Keuther. Willi Breuer, der Trainer der deutschen Mannschaft, berichtet, seine Spieler hätten total verunsichert auf die neueste Nachricht reagiert. Diese Entscheidung sei für sie nicht nachzuvollziehen. „Die ganze Sache ist etwas sehr durcheinander“, stellt Keuther treffend fest. Dazu hat allerdings auch der DBS seinen Anteil beigetragen.
Dieser schickte nämlich etwa drei Monate vor Turnierbeginn die zur Prüfung erforderlichen Unterlagen seiner Spieler als ganz gewöhnliche Postsendung anstatt per Einschreiben zum Weltverband nach Schweden. Dort kamen sie nie an. Niemand bemerkte es. Ein peinlicher Schnitzer des Gastgeberlandes. Keuther nennt es lieber einen „handwerklichen Fehler“ und findet diese Geschichte im Gesamtzusammenhang „ziemlich unerheblich“. Zudem verweist er auf die Mitverantwortung des Weltverbandes, der erst im Verlaufe der WM das Ausbleiben der Unterlagen beanstandet habe. Wäre der Lapsus jedoch nicht unterlaufen, hätte man bereits vor der WM die jetzt aufgetauchten Streitfragen klären können.
So bekamen Deutschland und noch einige andere Verbände, die die Vorschriften nicht eingehalten hatten, eine Nachfrist zum Einreichen der erforderlichen Papiere eingeräumt.
Im Nachhinein wurden nun die Testverfahren, die der DBS angewandt hatte, nicht anerkannt. Keuther ist das völlig unverständlich. Formaljuristisch sieht er den DBS auf der sicheren Seite. Er ist der Auffassung: „Wenn es keine klaren Regelungen gibt, ist es der Sorgfaltspflicht der einzelnen Verbände überlassen, welche Testmethoden sie anwenden.“ In der Tat hat der Weltverband keine justiziablen Vorgaben gemacht.
Die Leidtragenden der jeweiligen Verfehlungen der Verbände sind die behinderten Sportler des deutschen Teams. Ihnen droht nun, sich erneut einem Testverfahren unterziehen zu müssen, das auch vom Weltverband anerkannt wird. Trainer Breuer sagt: „Für meine Spieler ist das eine Tortur. Wer bekommt schon gerne seine Defizite aufgezeigt?“ Einige hätten ihm schon erklärt, dass sie diese stundenlange Prozedur nicht noch einmal über sich ergehen lassen wollen. Breuer sieht auch keinerlei Sinn darin. Der erste Test sei doch international anerkannt gewesen. Der Trainer ist sich sicher, dass seine Spieler jederzeit wieder die Voraussetzungen der Inas-Fid erfüllen würden.
Er hält die Testverfahren für menschlich entwürdigend. Früher sei das besser geregelt gewesen. Man hätte lediglich einen Nachweis erbringen müssen, eine Schule für geistig Behinderte zu besuchen und auf fremde Hilfe angewiesen zu sein. Doch seit dem Jahr 2000 wurden die Kriterien verschärft. Grund: Bei den Paralympics in Sydney spielten im spanischen Basketballteam zehn Nicht-Behinderte mit – und gewannen Gold. Keuther nennt die strengeren Prüfkriterien ein Stück Normalität. Er sagt: „Wer sich im Leistungssport tummelt, muss mit solchen Verfahren einverstanden sein.“
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