: „Klimawandel ist eine Chance“
Interview ANNIKA JOERES
taz: Herr Hennicke, Sie sind der bekannteste Klimaforscher in diesem Land. Sind sie der Al Gore aus NRW?
Peter Hennicke: Mein Film sähe anders aus. Al Gore schlägt in seinem Werk zu dreiviertel Alarm, ich würde mich mit einem Viertel begnügen. In Europa wissen die meisten schon, wie ernst die Lage ist. Nehmen Sie die Hitzewelle vor drei Jahren mit weltweit 30.000 Toten. Jeder fühlt und sieht den Klimawandel. Also würde ich mich darauf konzentrieren: Was können wir schnell, sozial und wirtschaftsverträglich umsetzen. Wir brauchen einen Alarmismus in Bezug auf die nicht wahr genommenen Chancen des Klimawandels.
Klimawandel als Chance? Für wen denn?
Für die Wirtschaft, für uns alle. Ich meine damit erstens die Chance, durch heutiges mutiges Handeln katastrophalen Schaden für die Menschheit in Zukunft zu vermeiden. Und ich meine zweitens das, was Umweltminister Sigmar Gabriel ökologische Industriepolitik genannt hat. Hier liegt zum Beispiel für NRW eine riesige Chance. Im Jahr 2030 werden die Umwelttechnologien die Leitmärkte der Zukunft sein. Der Umsatz wird nahezu doppelt so hoch sein wie etwa der der Autoindustrie, die ja für Nordrhein-Westfalen zweifellos wichtig ist. Für Energieeffizienz, nachhaltige Mobilität, erneuerbare Energien, Entsorgungstechnik – für diese „grünen“ Industrien besteht in NRW Nachholbedarf. Hier bietet sich mehr Politikberatung an.
Lässt sich die Landesregierung denn beraten? Sie will sieben neue Kraftwerke bauen, die Klimakiller Nummer eins.
Das bemängelt auch die EU-Kommission. Diese Planungen laufen bundesweit in die völlig falsche Richtung. Wenn alle fossil gefeuerten Kraftwerke so kommen wie geplant, werden wir unser Ziel, 80 Prozent Co[2]einzusparen, nie einhalten können. Fast alle Regierungen kommen selten auf Wissenschaftler zu.
Vielleicht wären Sie doch lieber Landeschef als Al Gore?
Die Rolle als wissenschaftlicher Berater ist mir lieber. Jedenfalls würde ich darauf drängen, Klimaschutzpolitik als chancenreiche Industriepolitik anzuerkennen. Dies ist hier besonders wichtig, weil das Denken aus den historisch gewachsenen Industriestrukturen prägend ist.
Was bedeutet das?
NRW braucht wegen seiner Geschichte von Kohle und Stahl mehr Zeit als andere Bundesländer. Dabei ist Zeit ein entscheidender Faktor, sonst haben andere die Nase vorn. Eine Landesregierung kann zum Beispiel mit den Autobauern sprechen und mit der Bundesregierung zusammen effizientere Mobilitätsformen fördern. Die Kernfrage ist: Wie sieht das Energiesparauto der Zukunft aus? Mit Leichtbau, mit Zwei-Liter-Verbrauch?
Haben Sie vielleicht auch Jahre lang den Al Gore-Alarmismus betrieben, zu wenig gesagt, was konkret zu tun ist?
Teilweise stimmt das. Nicht alle Ideen, die erforscht werden, können auch umgesetzt werden. Theoretisch vernünftige Vorschläge haben oft die Handlungszwänge der Politiker zu wenig berücksichtigt. Wir haben uns deshalb umstrukturiert zu einem Institut der angewandten Forschung. Wir wollen runterbuchstabieren, wie wir zum Beispiel einen Energieeffizienz-Fonds aufbauen können. Es wird gerade eine Kabinettsvorlage entwickelt zum Thema: „NRW spart Energie“. Da beraten wir. Und ich kann nur hoffen, dass unsere Analysen auch wahrgenommen werden.
Bislang wenig. Durch die Kraftwerke von RWE produziert NRW mehr klimaschädliches Kohlendioxid als jede andere Region.
Ja, hier müsste die Landesregierung über die Bundesregierung oder den Bundesrat gehen. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz hat doch gezeigt: Selbst in globalisierten Märkten kann man nationale Zukunftsmärkte schaffen, die Leute dazu bringen, Kollektoren auf ihre Dächer zu bauen. Mit strategischen Anreizen könnte auch NRW mehr ökologische Technologiepolitik für den Klimaschutz schaffen. Aber ich habe auch kein Verständnis für Stadtwerke, die nun ebenfalls riesige 800-Megawatt-Kraftwerke bauen wollen. Sie sollen auf Kraft-Wärme-Kopplung setzen, Biomasse nutzen, die Geothermie. Ich würde mir wünschen, dass NRW den Vorreiter spielt. Hier ist das Land, in dem bisher am meisten Energie produziert wurde, in dem aber auch überdurchschnittlich Energie gespart werden kann.
Ist das nicht deprimierend für Sie? Seit Jahren wissen Sie, wie stark sich das Klima verändert und es passiert wenig.
Die Kluft zwischen Wissen und Handeln ist in der Tat sehr ernüchternd. Nehmen wir einmal den von Tony Blair initiierten Report von Sir Nicolas Stern. Er hat vor kurzem bewiesen, dass die Folgen des Klimawandels wesentlich teurer werden, als jetzt Vorsorge zu betreiben. Das ist eine These, die das Wuppertal Institut seit zehn Jahren vertritt. Nicht in dieser weltweiten Breite, dazu fehlen uns die Mittel. Unsere Analysen sagen schon seit Jahren: 40 Prozent Kohlendioxid-Minderung ist in Deutschland möglich ohne Zusatzkosten. Wenn wir 80 Prozent einsparen und aus der Atomenergie aussteigen wollen, wird es in den nächsten 50 Jahren etwa 50 Euro pro Kopf und Jahr mehr kosten. Das ist akzeptabel, vor allem, weil damit ja auch viele neue Produkte und Arbeitsplätze entstehen. Ich bin aber froh, dass unsere Forschung heute schon mehr berücksichtigt wird als früher.
Woran sehen Sie das?
Heute ist die Klimapolitik auf allen internationalen Ebenen angekommen. Dass sie selbst eine Rolle spielt bei den Analysen der Wall Street, ist schon erfreulich. Das bestätigt uns. Aber natürlich zeigt das auch, dass uns die Zeit davon läuft. Wer in diesem Bereich forscht, muss dicke Bretter bohren. Das, was ich für richtig halte, muss ich weiter verbreiten. Auch wenn mir in dem Moment niemand zuhören möchte.
Hört Ihnen denn jetzt jemand zu?
Als vor wenigen Jahren die Energiepreise tief waren, hat mir keiner zugehört. Jetzt, wo die Preise immer weiter steigen, wollen Wirtschaft und Bürger auch erfahren, wie sie sparen können. Wer jetzt noch einen Sprit schluckenden Geländewagen kauft, ohne dass hier Berge sind, der wird jetzt schneller lernen.
Haben Sie am Anfang geglaubt, das Umdenken würde schneller gehen?
Wir haben die Größe der Aufgabe unterschätzt. Klimaschutz ist eine der umfangreichsten und größten Herausforderungen, vor denen die Menschheit je gestanden hat, vielleicht vergleichbar mit der Armutsbekämpfung. Aber in der Globalität und der existenziellen Bedrohung für die gesamte Menschheit ist der Klimawandel einzigartig. Eine Jahrhundertaufgabe. Wir müssen Märkte für fossile und nukleare Energien zurückschrumpfen. Riesige Energiemultis müssen ihre Geschäfte umbauen. So etwas hat es noch nie gegeben.
Vielleicht haben Sie auch ihre Gegner unterschätzt? Der US-amerikanische Ölmulti Exxon hat noch vor wenigen Jahren ganzseitige Anzeigen geschaltet, in denen eine Klimaveränderung schlicht geleugnet wurde.
Das wäre heute selbst in den USA nicht mehr denkbar. Heute würden die meisten Menschen diese Anzeigen belächeln, das glaubt heute niemand mehr. Dafür präsentiert sich die Atomindustrie jetzt als besonders besorgter Klimaschützer.
Sie kommen aus der Studentenbewegung und haben als Wirtschaftswissenschaftler für eine gerechte Wohlstandsverteilung gekämpft. Auch das ist nicht eingetreten. Trotzdem wirken Sie optimistisch.
Ich bin ein besorgter Optimist. Natürlich ist unsere Art zu leben und wie wir den Reichtum verteilen absolut nicht nachhaltig. Aber es gibt auch gleichzeitig eine ermutigende Vielfalt an Bewegungen. Über das Internet sind sie alle vernetzt. Da bin ich oft platt, wie schnell Erfolgsgeschichten, aber auch Kritik an Missständen rund um den Erdball verbreitet werden. Das haben wir uns früher nicht in den kühnsten Träumen vorstellen können.
Ist die jüngere Generation insgesamt bewusster?
Wenn ich deren Bewusstsein mit dem meiner Generation vergleiche, bin ich optimistisch. Viele junge Leute schwärmen in die Welt aus und wollen sich für den Umweltschutz engagieren. Meine kleine Tochter dreht mir immer den Wasserhahn ab, wenn ich das beim Zähne putzen vergesse. Als Zwölfjähriger wäre ich nie auf diese Idee gekommen.
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