Gerichtsmedizinisches Gutachten zum Fall Kevin: Passt nicht ins Schwarz/Weiß-Raster
Die Auskunft über die Art und Anzahl der Knochenbrüche, die das Kind Kevin vor seinem Tod erlitten hat, bestätigt nur das, was vielen schon zu Lebzeiten als sicher galt. Kevin wurde misshandelt, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vom Lebensgefährten seiner Mutter, dem das Jugendamt das Kind nach deren Tod überlassen hatte.
Kommentar vonEiken Bruhn
Die Gutachter können aber auch sagen, wann Kevin misshandelt wurde: im September 2004, als ihn seine Mutter verletzt zum Kinderarzt brachte und in seinen letzten Lebensmonaten. Der Zeit, in der Bernd K. nach dem Tod der Kindsmutter alleine mit Kevin war. Das müsste all denen zu denken geben, die in den vergangenen Wochen erklärt haben, Kevin hätte seinen Eltern sofort weggenommen werden müssen. Die etwa in Presseberichten über die Mitarbeiterin eines Familienhilfsdienstes herzogen, weil diese die Eltern für erziehungsfähig hielt – sofern sie unterstützt würden. Im Gegensatz zu vielen anderen wusste diese, wovon sie sprach, weil sie die Familie erlebt hatte – zu Lebzeiten der Mutter, die aufgrund von Zeugenaussagen von der Staatsanwaltschaft als „besorgt“ beschrieben wird. Doch solche Aussagen passen nicht in ein Schwarz/Weiß-Raster, nach dem es gleichbleibend „gute“ und „schlechte“ Familien gibt. Oder „richtige“ Mütter mit ordentlichen „Muttergefühlen“ schon während der Schwangerschaft, wie der SPD-Abgeordnete Hermann Kleen im Untersuchungsausschuss vor sich hin räsonierte. Wer nicht bestimmten Bevölkerungsgruppen prinzipiell Kinder entziehen möchte, muss sich dem Problem stellen, dass Familien komplexe Systeme sind. In dieser Hinsicht hat nicht nur das Jugendamt versagt.
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