: Verpeilt durch Pillen und Contact High
EKSTASE Den Anfang verpasst, aber dann voll eingestiegen. Erinnerungen an eine Zeit, als der Technobeat durch die ganze Stadt pulsierte
Als die Loveparade vor 25 Jahren zum ersten Mal über den Kudamm zog, wohnte ich in der Nähe des Potsdamer Platzes. Hedonismus war ein Schimpfwort für mich, die ganze Amüsiererei ging mir auf den Geist; diese sportstudiogestählten kurzhaarigen Männer, die man drei Jahre später sah, wenn man sonntagvormittags am berühmten Technoclub E-Werk vorbeifuhr. Die ersten Jahre nach dem Mauerfall interessierte ich mich mehr für Politik im weiteren Sinne, hatte gerade angefangen, als freier Autor zu arbeiten, und dachte, jetzt werde ich erwachsen. Doch daraus wurde nichts.
Früher war es besser
Auf meiner ersten Loveparade war ich erst 1994, noch auf dem Kudamm. In einer Zeit also, als die Ersten sagten, die Loveparade früher sei doch viel besser gewesen. Es hatte mir wider Erwarten ziemlich gut gefallen; am hellen Tage am Ku’damm mit Bier und Joint in der Hand herumzustehen, ab und an mal testweise auch bei irgendeinem Wagen mitzulaufen und mir ansonsten Notizen zu machen.
Richtig dabei war ich aber erst ein Jahr später. Nach meiner ersten „E“ in irgendeinem Club; bei irgendeiner Party im Pfefferberg. Ich hatte eine Geschichte über Technoclubs für den Spiegel geschrieben und dann gedacht, zum Verständnis sei es wichtig, auch mal eine „E“ zu probieren.
Wie bei den meisten (grad auch bei vielen jüngeren Kollegen) war die erste Pille eine überwältigende Erfahrung. Sicher auch, weil ich ansonsten eher schüchtern bin und zur Melancholie neige. (Als Medikament wäre Ecstasy ja ein Antidepressivum.) Techno war jedenfalls plötzlich mein Ding. Als Teenager auf den großen Umsonst-&-Draußen-Open-Airs der Siebziger, wo massenhaft LSD konsumiert wurde, war ich zu jung gewesen, die Musik hatte mir auch nicht so gut gefallen. Nun holte ich die Hippie-Träume meiner Jugend nach, lernte viele, vor allem jüngere Leute aus ganz anderen Geschichten kennen, verliebte mich oft; erlebte üble Abstürze; das Runterkommen war immer sehr schwierig, und für die Zähne war das Drogennehmen auch nicht so gut.
Die Erfahrung des Innen & Außen aber war bei manchen Loveparades fantastisch. Man tauschte Blicke und wusste sofort, wer drauf war, also auf „E“, und wer nur so da war. Bis Ende der Neunziger war der Anteil der Leute auf „E“ sehr hoch. Man war mit ihnen verbunden, weil man eine intensive Erfahrung teilte. Selbst viele, die keine Drogen genommen hatten, schienen via Contact High und wegen der Musik drauf zu sein. Als Bier gegen Ende der Loveparades die prägende Droge wurde, hatte sie ihren Zauber verloren.
Oft hatte ich mich in der Zeit mit linken, meist älteren Kollegen über Techno und die Loveparade gestritten. Es dauerte Stunden, ihnen begreiflich zu machen, dass sie nicht nur der Umzug war, sondern das ganze Loveparade-Weekend, das mit Motte und anderen Freitagabend in der Arena begann und Montagnachmittag im Tresor endete, wenn Sven Väth fertig hatte. Während dieses Wochenendes gab es in der ganzen Stadt kleinere und größere (im Friedrichshain, unter Brücken in Moabit und so weiter) Technopartys vor allem auch unter freiem Himmel, die man begeistert abklapperte. Der Technobeat pulsierte durch die Stadt und ging nahtlos über in den Sound der Baustellen.
Die älteren Kollegen guckten einen komisch an, wenn man ihnen zu erklären versuchte, dass die Leute erst jetzt eigentlich massenhaft lernten zu tanzen; dass Rockkonzerte doof sind, weil starzentriert, dass Musik mit Texten Quatsch, das ganze Appellative abzulehnen sei, dass es eher um Sound als um Inhaltismus gehen müsse.
Woodstock und Karneval
Zu ihren besten Zeiten knüpfte die Loveparade nicht nur an das an, was man gemeinhin mit Woodstock meint, oder den Kölner Karneval meinetwegen, sondern auch an indische Festtage zu Ehren Shivas, an denen alle mit bemalten Gesichtern durch die Gegend laufen und sich an Opiumgetränken berauschen. Dass große Teile der Stadt in der Zeit der Loveparades ein paar Tage im Jahr von Verpeilten geprägt waren, kommt mir immer noch unglaublich vor.
Es ist Sonntag. Wenn die Fenster und die Balkontür geschlossen sind, meine ich immer noch Techno zu hören, ein schneller werdendes, nervöses, leicht überdrehtes Gestampfe von weitem. Bumtschakbum. Ich überlege, wo hier in der Gegend eine Technoparty gefeiert werden könnte. Es scheint richtig abzugehen. Nun, am frühen Sonntagnachmittag ist ja auch die beste Zeit. Wo die, die es bis jetzt geschafft haben … auf Wolke sieben … nach den Abenteuern der Nacht … sich weiter amüsieren.
Am liebsten würde ich hinausgehen. Als ich die Balkontür öffne, höre ich nichts mehr. Es waren wohl doch nur die Bässe der U-Bahn von Weitem.
DETLEF KUHLBRODT
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