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„Es gibt in Deutschland Schutzlücken“

STRAFRECHT Jurist Renzikowski fordert Justizminister Maas (SPD) auf, völkerrechtliche Vorgaben zur Vergewaltigung umzusetzen. Das Prinzip „Nein heißt Nein“ müsse auch in Deutschland Recht werden

Joachim Renzikowski

■ 53, ist Professor für Strafrecht und Rechtsphilosophie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Sexualstrafrecht ist einer seiner Forschungsschwerpunkte.

INTERVIEW CHRISTIAN RATH

taz: Herr Renzikowski, der Europarat hat 2011 ein „Übereinkommen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen“ beschlossen, die sogenannte Istanbul-Konvention. Ist das Abkommen für Deutschland relevant?

Joachim Renzikowski: Ja, Deutschland muss den Schutz des sexuellen Selbstbestimmungsrechts verbessern. Die Konvention fordert, dass die Staaten jedes „nicht einverständliche“ sexuell motivierte vaginale, anale oder orale Eindringen in den Körper einer anderen Person unter Strafe stellen.

Was ist der Unterschied zum bestehenden Strafrecht?

In Deutschland ist der Geschlechtsverkehr gegen den Willen der Frau bisher nur dann als Vergewaltigung strafbar, wenn der Mann dabei entweder Gewalt anwendet oder mit Gewalt droht oder eine schutzlose Lage der Frau ausnutzt.

Es gilt also nicht das Prinzip „Nein heißt Nein“?

Es ist bisher noch keine Vergewaltigung, einfach den Willen der Frau zu missachten.

Ist sich die deutsche Politik bewusst, dass sie hier nachbessern muss?

Nein, noch nicht. Das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz glaubt bisher, dass das deutsche Strafrecht schon den Anforderungen der Istanbul-Konvention gerecht wird. Das ist aber eindeutig falsch.

Wie kommt Minister Heiko Maas (SPD) auf die Idee, Deutschland schütze Frauen bereits ausreichend?

Das Ministerium verweist auf eine Änderung des Vergewaltigungsparagrafen im Jahr 1997, mit der man Strafbarkeitslücken schließen wollte. Damals wurde ergänzt, dass auch das Ausnutzen einer schutzlosen Lage der Frau eine Vergewaltigung sein kann.

Kommt es darauf an, wie man diese Ergänzung auslegt?

Die Auslegung ist tatsächlich umstritten. Für den Bundesgerichtshof ist entscheidend, ob die Frau objektiv schutzlos war. Besser wäre es aber, darauf abzustellen, ob die Frau sich schutzlos fühlte, zum Beispiel weil sie keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte. Doch selbst bei einer opferfreundlichen Auslegung bleiben Schutzlücken.

Zum Beispiel?

Wenn die Frau bewusst darauf verzichtet, um mögliche Hilfe zu rufen, etwa weil die Kinder keinen Konflikt mitbekommen sollen. So etwas gibt es vermutlich gar nicht so selten, weil Vergewaltigung typischerweise ein Beziehungsdelikt ist.

Wie müsste der neue Vergewaltigungsparagraf lauten?

Auf einen genauen Wortlaut will ich mich noch nicht festlegen. Sex ohne Einverständnis muss auch nicht zwingend als „Vergewaltigung“ bestraft werden. Die Istanbul-Konvention verlangt nur, dass diese Missachtung des sexuellen Selbstbestimmungsrechts überhaupt strafbar ist.

Wie schnell muss die Istanbul-Konvention umgesetzt werden?

Es gibt keine konkrete Frist. Wir sollten vorher jedenfalls die Praxis in Staaten studieren, in denen Sex ohne Einverständnis heute schon strafbar ist – etwa im angelsächsischen Raum oder in Skandinavien.

Muss Deutschland die Istanbul-Konvention umsetzen?

Deutschland hat den Vertrag unterzeichnet, deshalb sind wir auch verpflichtet, ihn durch ein Parlamentsgesetz zu ratifizieren. Wir könnten zwar die Unterschrift zurückziehen, aber das wäre eine außenpolitische Blamage.

Was passiert, wenn Deutschland den Vertrag ratifiziert, ohne das bestehende Strafrecht zu erweitern?

Dann kann eine Expertengruppe Deutschland rüffeln. Auch das kann außenpolitisch peinlich sein. Aber ich glaube nicht, dass das Justizministerium seine Blockadehaltung durchsetzen kann. Dazu ist das Schutzgut der sexuellen Selbstbestimmung inzwischen zu anerkannt.

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