: Biermanns Frage der Ehrung
Ganz ohne Gesang bringt Wolf Biermann eine Regierung in Bedrängnis. Berlins rot-roter Senat blamiert sich mit der Weigerung, dem Liedermacher die Ehrenbürgerwürde zu verleihen. Überwunden geglaubte Ressentiments leben wieder auf
AUS BERLIN MATTHIAS LOHRE
Was hat George Bush senior, was Wolf Biermann abgeht? Ersterer hat sich laut Berliner Senat „in hervorragender Weise um die Stadt verdient gemacht“. Die Hauptstadt hat dem ehemaligen US-Präsidenten daher die Ehrenbürgerwürde verliehen. Biermann jedoch muss auf derlei Sympathiebezeugungen bis auf Weiteres verzichten. Die Regierungsfraktionen von SPD und Linkspartei werden heute einen Oppositionsantrag auf Ehrenbürgerschaft für den Liedermacher abschmettern. Den Schaden trägt nicht der 70-Jährige davon, sondern der rot-rote Senat.
Der Streit um Biermanns Würde hat Kalkül. Bereits im Oktober 2006 hat der CDU-Parlamentarier und Freund des Sängers, Uwe Lehmann-Brauns, einen entsprechenden Antrag ins Abgeordnetenhaus eingebracht. Wohl wissend, dass insbesondere die Sozialisten nicht gerade Sympathie für den Mann hegen, den die SED-Regierung 1976 aus der DDR jagte. Für den CDU-Mann ist Biermann „ein großer Künstler und mutiger Freiheitskämpfer“. Grüne und FDPler haben sich dem Ansinnen angeschlossen. Die Taktik der Opposition hat sich ausgezahlt: SPD und Linkspartei blamieren sich heftig beim Versuch, ihre Weigerung zu begründen.
SPD-Landes- und Fraktionschef Michael Müller gesteht Biermann zwar „viele Verdienste“ zu. Die seien aber nicht „hervorragend“, wie sie die Vorschrift für Ehrenbürgerverleihungen aus dem Jahr 1953 vorschreibt. Linkspartei-Sprecherin Kathi Seefeld weist Vorwürfe weit von sich, ihre Partei trage dem einstigen Dissidenten seinen Kampf gegen das SED-Regime nach. „Aber jüngere Aussagen, insbesondere sein Ja zum Irakkrieg, sind vor allem bei westdeutschen Linkspartei-Mitgliedern umstritten.“
Biermann plädierte 2003 für den Angriff der US-Truppen auf den Irak. Noch im Oktober 2006 warf er in einer Gastvorlesung an der Universität von Jerusalem den Regierungen Deutschlands und Frankreichs „Appeasement-Politik“ gegenüber Saddam Husseins Regime vor. Hinter dem Nein zur Ehrenbürgerwürde steckt jedoch mehr. Als Chef-Kulturkorrespondent der Welt malte Biermann im Jahr 2001 eine SPD-PDS-Koalition im Roten Rothaus in den düstersten Farben. „In welch irrationaler Not sind solche Parteierotiker“, fragte Biermann damals in Richtung SPD, „dass sie bei ihrem perversen Machtspiel sich mit totalitären Verwesern ins Koalitionsbett legen müssen.“ Solche Sätze wirken bis heute.
Seit Beginn des rot-roten Experiments Anfang 2002 mühten sich die Sozialisten demonstrativ darum, den SED-Mief in den eigenen Reihen zu lüften. Anfangdreißiger repräsentieren heute die überalterte Partei, bei der unpopulären Sanierung der Landesfinanzen packte die PDS beherzt mit an. Doch bei der Abgeordnetenhauswahl sackte die Linkspartei um fast zehn Prozentpunkte ab. Seither scheint die Zeit der Zumutungen für Stammwähler vorüber. Eine Ehrung für den erklärten DDR-Regimegegner würde die Stimmung in der Partei kaum bessern.
Selbst hochrangige SPDler wie Wolfgang Thierse attackieren die Haltung der Berliner: Biermann habe zu DDR-Zeiten besonderen Mut und Tapferkeit bewiesen, „wo fast alle anderen feige oder leise oder einfach nur vorsichtig waren“, urteilte der Bundestagsvizepräsident Ende Dezember.
Die anfängliche Posse wächst sich zum handfesten Imageproblem für den Senat aus. „Bereitwillig vorführen“ lasse sich die Landesregierung, schreibt die Frankfurter Allgemeine. Der Spiegel orakelt, Biermann könne die Ehrung ablehnen – „für Wowereit ein Desaster“. Das Resultat: Rot-Rot hat sich im Morast deutsch-deutscher Geschichte festgefahren. Der Senat hat weiterhin Gelegenheit zur Blamage: Am kommenden Montag beschäftigt sich der Kulturausschuss mit der Frage der Ehrung.
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