: Scheitern als Scholz
SOZIALDEMOKRATIE Er war Brechmittel-Senator und Schröders Scholzomat. Olaf Scholz hat grandiose Niederlagen eingefahren und ist trotzdem aufgestiegen. Bald könnte er noch weiter oben stehen. Wenn er Hamburg gewinnt
1 Runter: Kurz vor der Hamburg-Wahl 2001 bringt die regierende SPD gegen den Rechtspopulisten Ronald Schill einen neuen Innensenator in Stellung: Olaf Scholz geriert sich als Hardliner. Vergeblich – die SPD fliegt nach Jahrzehnten aus der Regierung.
Rauf: Scholz geht nach Berlin in den Bundestag und steigt 2002 unter Gerhard Schröder zum Generalsekretär der SPD auf.
2 Runter: Als Generalsekretär propagiert er Schröders Hartz-IV-Reform. Beim Bochumer Bundesparteitag 2003 stimmen nur 52,6 Prozent der Delegierten für ihn. Als die Kritik anhält, tritt er ab.
Rauf: Scholz wird in der großen Koalition 2005 parlamentarischer Geschäftsführer der SPD, eine Schlüsselposition. Später wird er sogar Bundesarbeitsminister.
3 Runter: Diesmal finden die Niederlagen ohne ihn statt. Die Hamburg-SPD zerlegt sich durch Intrigen und verliert Wahlen.
Rauf: Scholz wird SPD-Landeschef und Spitzenkandidat für die Wahl am 20. Februar.
VON GORDON REPINSKI
Später, sagt Egloff kurz vor seinem politischen Ende, „später kommt auch noch der Olaf“. Jetzt noch nicht, jetzt muss Egloff erst mal zurücktreten und den Weg frei machen, da kann der Olaf nicht dabei sein. Gehört sich nicht, Parteipietät.
Es ist der Abend des 28. Septembers 2009, der Tag, nachdem die SPD die Bundestagswahl verloren hat. Als Egloff spricht, fährt Olaf Scholz im Zug von Berlin nach Hamburg und bereitet sich auf die Machtübernahme in der Landes-SPD vor. Er hat viel telefoniert und sich von allen wichtigen Genossen Unterstützung zusichern lassen. Er geht noch einmal durch, was er gleich sagen wird. Wenn Egloff weg ist.
In Hamburg sitzt währenddessen der Nochvorsitzende Ingo Egloff, 53, graues, dünnes Haar, in Raum 102 der Parteizentrale, als er zur eigenen politischen Grabrede ansetzt. „Wir haben einiges erreicht in den letzten zwei Jahren“, sagt er, die Genossinnen und Genossen nicken verschämt in ihre Kaffeetassen. Ja, einiges haben sie erreicht. Aber nun sind sie abgestürzt, ins Nichts. Das stolze, rote Hamburg: verloren an die Schwarzen.
In Hamburg hat die SPD am Vorabend 28 Prozent bekommen. Bei den Sozialdemokraten in ganz Deutschland beginnen die Aufräumarbeiten. Die Hamburger SPD braucht dafür schweres Gerät. Affären durchziehen die Partei, Wahlfälschung, Scheinehen, demontierte und verstörte Genossen. Das Wahlergebnis ist das K. o. Es kann in dieser Situation nur noch einer helfen. Einer, der Niederlagen in den Griff bekommt: Olaf Scholz.
Denn der verliert, und hinterher geht es trotzdem nach oben. So war es, nachdem er als brachialer Innensenator abgewählt wurde. Und so war es, nachdem die Bundes-SPD ihn als Hartz-IV-Generalsekretär fallen gelassen hatte. Er scheitert nie ganz, er scheitert als Scholz.
Nach einer knappen Stunde betritt Olaf Scholz den Raum 102 und setzt sich ans Kopfende des Tischs, wie sich Teilnehmer der Sitzung später erinnern. Der Wunsch, dass er Vorsitzender der Hamburger SPD werden soll, sei erst kurz vorher an ihn herangetragen worden, leitet er ein. „Ich mache das“, sagt er, „aber ich mache es unter klaren Bedingungen.“ Am Ende kommt die entscheidende: „Wenn jemand Bedenken gegen mich hat, ist das hier auszusprechen“, sagt er, „nicht an anderer Stelle.“ Er fixiert die Runde. Schweigen.
Seit diesem Tag führt er die Hamburger SPD. Niemand muckt auf, niemand schießt quer. Keine Kritik an Scholz, keine Kritik an irgendwem. Die Umfragen sind monatelang gestiegen, und weil Schwarz-Grün zerbrochen ist, löst er vielleicht schneller als gedacht Christoph Ahlhaus von der CDU als Ersten Bürgermeister ab.
Bis zu 46 Prozent der Wählerstimmen sagen Umfragen der SPD bei der Hamburg-Wahl am 20. Februar voraus. Für die verkleinerten Sozialdemokraten im Bund wäre das eine Sensation. Endlich mal wieder Volkspartei sein, endlich ginge mal nichts ohne sie. Als strahlender Sieger wäre Scholz mit einem Schlag der Mann hinter Sigmar Gabriel, dem Bundesvorsitzenden.
Es ist die Aufstiegsgeschichte eines Mannes, der als konturloser Politmanager gilt. Er wurde als Scholzomat bekannt, als einer, der nur gestanzt nichtssagende Floskeln ausstoßen kann.
Er hat sich äußerlich verändert. Das strubbelige, dünne Haar ist konsequent kurz geschoren. Das Pummelige an ihm ist weg. Er joggt jetzt.
Früher hatte sein kräftiger Körper zusammen mit dem knautschigen Gesicht bisweilen unvorteilhafte Bilder produziert. Heute, mit 52, ist Scholz dünn. Das ist gut für ihn und bestimmt kein Zufall, denn Herausforderer dürfen niemals satt aussehen. Sie müssen hungrig sein.
Dass er nun auf dem Sprung nach oben ist, erklärt sich zu einem Teil aus seiner Art, mit Niederlagen umzugehen. Er hasst sie, und er versucht Situationen zu vermeiden, aus denen er als Verlierer hervorgehen kann. Und wenn es doch passiert? „Dann versuche ich daraus meine Schlüsse zu ziehen“, sagt er.
Olaf Scholz sitzt in seinem Büro im zweiten Stock der Parteizentrale, direkt über dem Raum 102, wo er damals die Macht übernahm. Man schaut aus dem Fenster heraus über die Hauptverkehrsstraße in St. Georg auf graue Häuser. Scholz spricht so ungern über Niederlagen, wie er sie erlebt, weicht aus, bevor er sagt: „Man handelt nie fehlerfrei.“ Redet er über diese Dinge, legt er eine Öffentlichkeitstonlage auf, in der jeder Satz auf politische Risiken geprüft scheint.
Manche Politiker geben sich anders, wenn die Kamera aus ist, sie freuen sich, dass sie endlich menscheln dürfen und sagen können, wenn sie etwas nervt. Scholz ist nicht so. Er sagt: „Ich muss damit rechnen, dass die im Hintergrund gesprochenen Dinge in die Öffentlichkeit kommen.“ Also schenkt er sie sich ganz. Er lässt sich nicht gern auf den Grund schauen, erst recht nicht bei Niederlagen.
Es hat ein wenig gedauert, bis Scholz die ersten Misserfolge erleidet. Er wächst als Sohn eines Textilunternehmers aus Hamburg-Altona auf, der Vater hat sich erfolgreich hochgearbeitet. Olaf war ein Einserschüler. Als „brav und nett“ hat seine Grundschullehrerin Annegret Raulfs ihn einmal beschrieben.
Während die Achtundsechziger Barrikaden errichten, adelt Raulfs den braven Elfjährigen in Hamburg-Großlohe per Zeugniseintrag zum Klassenprimus: „Allgemeine Haltung: Sehr gut.“
Michael Guggemos sitzt im Büro der IG Metall in Frankfurt am Main, als er über Scholz spricht. Guggemos war in den Achtzigern Bundesvorsitzender der Jusos. Scholz, damals junger Rechtsanwalt mit grün karierten Hemden, war sein Stellvertreter. Wenn Guggemos erzählt, bekommt man nicht den Eindruck, als hätten sie die Politik da bitter ernst genommen. „Wir wollten ins reale Leben“, erzählt Guggemos, „wir fanden es komisch, dass Leute, die ihr Studium noch nicht fertig haben, im Bundestag sitzen“. Scholz habe sich nie als sein Konkurrent geriert, all die Jahre habe der sich brav hinter ihm eingereiht.
Auf Kampfkandidaturen um den Juso-Vorsitz hat er verzichtet. Er geht nicht gern in eine Abstimmung mit Risiko, denn sie schaffen Feinde und Niederlagen. Er drängt erst dann an die Spitze, wenn es keine Alternative mehr zu ihm gibt.
So wird er 2001 auch Innensenator von Hamburg. Die Stadt fühlt sich auf einmal bedroht von Drogendealern, Ausländern und Schlägern und ruft nach Polizei und scharfen Gesetzen. Mit Ronald Barnabas Schill schürt ein Rechtspopulist die Stimmung und steht in Umfragen bald bei mehr als 10 Prozent.
Senator Scholz: „Ich bin liberal, aber nicht doof“
Die SPD-Regierung ist in Gefahr. Vier Monate vor der Wahl muss sie mit einem neuen Innensenator reagieren. Infrage kommt eigentlich nur Scholz.
Jetzt geschieht etwas Eigenartiges, denn der einst linke Juso wandelt sich zum Hardliner. Er ordnet an, dass Dealern Brechmittel verabreicht werden kann, wenn sie aus Angst vor der Abschiebung ihre Drogen herunterschlucken. Scholz sagt dazu: „Ich bin liberal, aber nicht doof.“
Bis zum 23. September, dem Wahltag, holt er mit dem Kurs auf, aber die SPD verliert die Macht trotzdem. Nach vier Jahrzehnten Regierung ist das eine historische Pleite. Er sieht das heute nicht als persönliche Niederlage. „Die Zeit hat mir Ansehen verschafft“, sagt er. Aber die Parteilinke ist verstört. Die Koalitionspartnerin, die Grün-Alternative Liste, ist paralysiert von der Politik, die sie mittragen muss, so kurz vor der Wahl. „Das hat Verletzungen hinterlassen“, sagt Antje Möller, die damalige Fraktionschefin, heute: „Im Nachhinein hätten wir die Koalition damals beenden müssen.“
SCHOLZ VOR HAMBURGS SPD-SPITZE
Sie steht auf dem Neujahrsempfang der Hamburger Grünen im Rathaus, gerade hat sie sich mit Scholz unterhalten, zehn Jahre sind vergangen seit den Verletzungen. Natürlich ist der Sozialdemokrat an diesem Abend bei den Grünen, weil die seine möglichen Partner in einer Regierung sind. Ein DJ legt auf, Sekt wird ausgeschenkt. Die Kameras folgen Scholz, dem entspannten Wahlkämpfer. Er hat immer betont, wie gut das Verhältnis zu den Grünen ist.
Was ihn nicht davon abhält, sie zu düpieren. Er will das grüne Wunschobjekt Stadtbahn nicht, er will – Fauna und Flora hin oder her – die Elbe vertiefen. Und er hat einen Wirtschaftslobbyisten in sein Schattenkabinett geholt. Doch jetzt antichambriert er, plaudert, flachst – und die Grünen reagieren, als wäre auf ihrem Empfang ein alter Lieblingsonkel erschienen, dessen miese Szenen vom letzten Familienfest man gern vergisst. „Ein gern gesehener Gast“, würdigt ihn die Spitzenkandidatin Anja Hajduk.
Als Scholz zehn Jahre zuvor die liberale Seele der SPD verbogen und dann noch die Wahl verloren hat, hätte er eigentlich angeschlagen sein müssen. Aber er bekommt ein Jahr später schon die Möglichkeit, ein noch höheres Amt auszuüben. Ein Amt, das ihn später noch brutaler abstürzen lassen wird.
Scholz wird Gerhard Schröders Generalsekretär. Die rot-grüne Koalition in Berlin hat sich 2002 gerade so in eine zweite Runde gekämpft. Nach einem weiteren Stolperstart gehen die Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen verloren, Schröder ruft die Agenda 2010 aus.
Olaf Scholz muss für den sozialpolitischen Sündenfall eintreten, für Hartz IV. Im Willy-Brandt-Haus sagt er: „Die Agenda ist mutig, notwendig und richtig.“ Er kennt keine Zweifel. Seine Aufgabe ist es, dem Kanzler zu dienen. Die Basis verachtet ihn.
Bochum, 18. November 2003, die Agenda 2010 gibt es seit einem halben Jahr. SPD-Bundesparteitag, Tag der Abrechnung. Vor dem Parteitag wird klar, dass die Basis ein Ventil braucht. Die Wut einer kranken SPD, die ihr politisches Erbe verraten sieht, soll sich an zwei Personen entladen. An Wirtschaftsminister Clement. Und an Scholz.
Der schickt seine Späher in die Landesverbände aus, um prüfen zu lassen, wie die Mehrheiten stehen. Es gibt einen mächtigen Block um die Niedersachsen, der den Generalsekretär opfern will. Er rechnet viel herum in diesen Tagen. „Es war schnell klar, dass es eng wird“, sagt er heute.
Er sitzt mit Vertrauten zusammen, analysiert, überlegt. Die Tage vor Bochum, die Auszählungen, die Berichte seiner Leute aus den Landesverbänden: Es sind die Momente, die er heute als einen Tiefpunkt seiner Karriere beschreibt. „Man darf seine Würde nicht verlieren“, sagt er. Die Frage sei in diesen Momenten, ob man sich damit anfreunden könne, dass es möglicherweise nach dem Parteitag vorbei sei. „Wenn man das kann, ist es okay.“
In Bochum geben ihm 52,6 Prozent der Delegierten ihre Stimme. Er sagt: „Ich war beeindruckt, dass ich durchgekommen bin, es hätte auch anders kommen können.“ Er hat das miserable Ergebnis nicht abgewendet, aber er hat sich darauf vorbereitet, bevor es da war.
Trotzdem ist er von nun an der Generalsekretär, an dem sich die Partei in zwei Hälften spaltet. Anfang 2004 räumt Gerhard Schröder die Parteispitze. Dass auch Scholz abtritt, muss da gar nicht mehr diskutiert werden.
Wenn man mit SPD-Maßstäben misst, ist Scholz erledigt. Als Innensenator die Freiheit verkauft, als Generalsekretär die Gerechtigkeit. Alles, was links ist, alles, womit sich Sozialdemokraten identifizieren.
Als Schröders Prügelknabe heulen? Macht er nicht
„In Zeiten größter Bedrängung ist die Neigung groß, sich auf Kosten anderer zu retten“, sagt Scholz über diese Zeit. „Das ist nicht meine Art.“ Er hat sich nicht gegen Schröder profiliert wie Sigmar Gabriel damals, sondern seine Agenda verteidigt.
Er bekam danach Angebote, sich in Talkshows als Schröders Prügelknabe auszuheulen, aber er hat abgelehnt. Sein Motto beschreibt er so: „Don’t explain, don’t complain“.
Nichts erklären. Nicht beschweren.
Mit dieser Mischung aus Selbstdisziplin und Berechnung punktet er bei Parteifreunden. „Scholz ist ein Steher“, heißt es heute aus der Bundesspitze der SPD. „Wenn man mit ihm eine Abmachung hat, kann man sich darauf verlassen“, sagt fast jeder, der mit ihm zu tun hatte.
Es dauert nur anderthalb Jahre, da ist er schon wieder parlamentarischer Geschäftsführer der SPD im Bundestag. Und noch mal zwei Jahre, bis er als Bundesarbeitsminister seinen Amtseid schwören darf.
■ Termin: Die Wahl des Hamburger Parlaments am 20. Februar ist Auftakt des Wahljahrs mit mindestens 6 weiteren Landtagswahlen.
■ Umfragen: SPD über 40 Prozent, CDU um 25, Grüne 14, FDP und Linke je um fünf. Sympathiewerte: SPD-Mann Olaf Scholz deutlich vor Christoph Ahlhaus, Erster Bürgermeister von der CDU.
■ Optionen: Die SPD könnte sogar die absolute Mehrheit schaffen. Ansonsten wäre eine rot-grüne Regierung wahrscheinlich, die Scholz favorisieren würde. Der Ex-SPD-Bürgermeister Henning Voscherau hat kürzlich noch mit der Möglichkeit einer SPD-FDP-Koalition gespielt und die CDU als Juniorpartnerin gäbe es auch noch.
Er hat sich in der Partei über die Jahre ein Netzwerk aufgebaut, das keiner Lagerlogik folgt. Eine Hausmacht haben Andrea Nahles, die Linke, und Frank-Walter Steinmeier, der Konservative. Sie können sich auf ihre Leute verlassen. Und sie können sich darauf verlassen, dass die andere Seite sie bis zum Ende bekämpft. Deshalb werden beide wahrscheinlich nie SPD-Vorsitzende.
Olaf Scholz ist anders. Er vertritt pragmatische Politik, er ist der Mann von Hartz IV und gibt sich im Hamburger Wahlkampf so wirtschaftsliberal wie kein SPDler im Moment. Aber er kann sich das leisten. Denn dafür pampert er die Linken durch seine Personalpolitik. Das ist der verschlagene Scholz, der Strippenzieher, der hinter verschlossenen Türen arbeitet und draußen vor den Journalisten den Mund halten kann. Eine Reihe von Linken hat er in gute Ämter gehoben oder sie da belassen. Die Hamburger SPD-Vize Inka Damerau, seinen Staatssekretär Detlef Scheele im Arbeitsministerium, seinen Mitarbeiter Wolfgang Schmidt. „Olaf hat die Zeit als Arbeitsminister gut genutzt“, sagt einer aus der Führung der Bundespartei verächtlich. Er müsse die Schmutzarbeit nicht erledigen, er habe überall seine Leute.
Von Verbündeten verlangt er, dass sie so gut schweigen können wie er. Er lädt Reporter nicht zu sich nach Hause ein und erzählt nichts über seine Familie. Einzig seine Frau ist öffentlich: Britta Ernst, die Geschäftsführerin der SPD in der Bürgerschaft. Auf einem Wahlparteitag hat er kürzlich vor Publikum erzählt, dass er sie in Hamburg kennengelernt hat. „Ich habe mich hier unsterblich in meine Frau verliebt.“ Ein kluger Zug: Ein Satz für die Herzen und trotzdem die Panzerung kein Stück geöffnet. Natürlich kann Britta Ernst in Hamburgs SPD nichts mehr werden. Das würde ihn angreifbar machen.
Kurt Beck hätte ihn gern als SPD-Chef gesehen
In der Bundes-SPD weiß Sigmar Gabriel, dass der Scholz-Aufstieg für ihn Konkurrenz bedeutet. Dass dieser Mann akribisch und fleißig ist und irgendwann ganz nach oben will. 2008 bereits hatte der damalige Parteichef Kurt Beck den Hamburger als seinen Nachfolger durchsetzen wollen – ohne Erfolg. „Er hätte es gekonnt“, sagt Beck heute. Auch als Gabriel 2009 Parteichef wurde, war Scholz ein Kandidat. Er hat immer gewartet, er lauert weiter. „Die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, ist bei Olaf Scholz da“, sagt Kurt Beck.
Die SPD hat sich eigentlich vorgenommen, nach der Basta-Zeit von Schröder und Müntefering eine streitfähige Partei zu werden, offener für Diskussionen mit Zukunftswerkstätten und Bürgerkonferenzen. Mit Olaf Scholz ist wieder ein Hinterzimmermanager auf dem Weg nach oben. „Der größte Basta-Politiker seit Schröder“, charakterisiert ihn ein SPD-Bundestagsabgeordneter. Aber dass er sich an Zusagen hält, verlässlich ist, nicht lästert – das ist in der Lästerpartei SPD viel wert. Ist dieser Mann das, wonach sich die Partei Willy Brandts sehnt? Einer, der sich immer und immer perfektioniert und kontrolliert?
Begleitet man Scholz eine Weile, erlebt man doch Momente, in denen er seine Öffentlichkeitstonlage verlässt. Das sind die, in denen er etwas lustig findet, etwa wenn er sich freut, jemanden rhetorisch flachgelegt zu haben. In diesen Momenten verwandelt sich der kontrollierte Arbeitsrechtler in eine Art kleines Kind. Seine Körpersprache kündigt schon Bruchteile vor dem Loslachen den Stimmungswechsel an. Seine Augen schließen sich dann fast vollständig, sein Gesicht zieht sich zusammen, Scholz lacht nicht offen, er kichert, er heult fast vor Kichern.
Dann fasst er sich und spricht wieder ganz diszipliniert.
Er kann warten, er kann Hamburg machen, und dann kommt seine Stunde. Er kann sich wieder bitten lassen. Und seine Bedingungen vortragen.
■ Gordon Repinski, 33, taz-Parlamentskorrespondent, verließ Hamburg 2001 – bevor Scholz kam
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