: Hamburgs alte Liebe
KANDIDAT Cuxhaven an der Elbmündung wäre zweimal beinahe zum Standort für einen Tiefwasserhafen geworden: vor zwölf Jahren, als die Stadt das Bewerbungsverfahren gegen Wilhelmshaven verlor. Und in den Sechzigern, als die Hamburger Politik von einem Vorposten für ihren Hafen im Wattenmeer träumte. In beiden Fällen sähe die Diskussion um die Elbvertiefung anders aus
Die jetzt geplante Vertiefung der Unterelbe wäre die neunte seit Beginn des 19. Jahrhunderts. Damals war der Fluss etwa vier Meter tief (bezogen auf Normalnull). Die Liste der vergangenen Ausbaggerungen:
■ 1818–1825: auf 5,4 Meter
■ 1850–1862: auf 6,7 Meter
■ 1909–1910: auf 9,4 Meter
■ 1922–1937: auf 11,4 Meter
■ 1957–1964: auf 12,4 Meter
■ 1964–1969: auf 13,4 Meter
■ 1974–1978: auf 14,9 Meter
■ 1998–1999: auf 16,8 Meter
■ geplant: auf 19,0 Meter
VON MERET MICHEL
Die „Alte Liebe“ ist eine Seebrücke in Cuxhaven, von der man gerade noch das andere Ufer der Elbe sehen kann. Hier, wo die Elbe in die Nordsee fließt, fahren die Frachtschiffe vom Hamburger Hafen Richtung Übersee so dicht vorbei, dass man sie fast berühren kann. An dem Aussichtspunkt beenden die Cuxhavener ihre Sonntagsspaziergänge, die Touristen halten ihre Wattferien fotografisch fest. Und einmal im Monat findet eine Mahnwache gegen die Elbvertiefung statt.
Wenn Niedersachsen und Hamburg gewollt hätten, würde es hier ganz anders aussehen: Statt aufs Watt würde man auf Container blicken, die sich auf weiten Flächen türmen. Auf Kräne, die am Ufer aufgereiht stehen und auf gigantische Hafenbrücken, die die Container auf große Schiffe stapeln. Die Frachter würden nicht vorbeifahren, sondern in Cuxhaven anlegen.
Zwölf Jahre ist es her, dass Sigmar Gabriel, damals Ministerpräsident Niedersachsens, diesen Träumen für Cuxhaven endgültig ein Ende setzte: Der erste Tiefwasserhafen für Deutschland wurde in Wilhelmshaven gebaut. Cuxhaven, zweiter Anwärter als Standort, war aus dem Rennen.
Während sich Niedersachsen und Bremen zu dem Entscheid für Wilhelmshaven beglückwünschten, schmollten die Politiker in Hamburg: Sie hätten Cuxhaven vorgezogen, weil sie von dem dort zu erwartenden Containerumschlag zu profitieren hofften. Wilhelmshaven wollten die Hamburger nicht mitfinanzieren, stattdessen setzten sie auf die Erweiterung des eigenen Hafens – die nächste Elbvertiefung wurde damit unausweichlich.
Enttäuscht waren aber vor allem die Cuxhavener. Von CDU bis Grüne hatte die Lokalpolitik das Projekt Tiefwasserhafen unterstützt. Und jetzt?
Im Café vor der Alten Liebe sitzt Robert Zimmermann. An seinem olivfarbenen Jackett steckt ein Button mit der Aufschrift „Elbvertiefung stoppen!“ – der Grüne kämpft seit Jahren gegen jedes weitere Ausbaggern der Elbe. Er redet ohne Punkt und Komma, eineinhalb Stunden lang: von den Schulden, die Cuxhaven hat, vom Tiefwasserhafen in Wilhelmshaven, der leer steht, und von der Politik in Hamburg, die die Elbe immer weiter ausbuddeln will, egal, was das für den Fluss und die Deichsicherheit bedeutet.
Für einen Tiefwasserhafen in Cuxhaven wäre er heute aber auch nicht mehr. Der existierende Hafen, den Cuxhaven seit 1997 hat, bringe der Stadt mehr als der Tiefwasserhafen gebracht hätte, meint Zimmermann.
Für die Elbvertiefung müssen etwa 40 Millionen Kubikmeter Schlick mit Saugbaggern aus dem Flussbett geholt werden. Das entspricht rund 2,5 Millionen LKW-Ladungen.
■ Übern Daumen I: Bei der ersten Planung vor zehn Jahren waren die Kosten auf knapp 200 Millionen Euro geschätzt worden. Ein Drittel müsste Hamburg zahlen, zwei Drittel der Bund.
■ Übern Daumen II: Bei der Planfeststellung 2012 wurden die Kosten mit 385 Millionen Euro angegeben, davon entfielen auf Hamburg 137 Millionen.
■ Übern Daumen III: Aktuell beziffert der Senat die Kosten für Hamburg mit 204 Millionen Euro. Der Bund hat noch keine Neuberechnung vorgelegt. Zu erwarten sind aufgrund der Hamburger Drittelschätzung Gesamtkosten von 612 Millionen Euro.
■ Übern Daumen IV: Hinzu kommen zusätzliche Kosten von rund 160 Millionen Euro für weitere Maßnahmen für Naturschutz und zur Deichsicherung in Niedersachsen und Schleswig-Holstein.
■ Unterm Strich: Mit 772 Millionen auf einem Niveau mit der 789 Millionen Euro teuren Elbphilharmonie.
Der heutige Hafen wird von der Firma Cuxport betrieben, eine Tochter des Düsseldorfer Logistikunernehmens Rhenus, an dem auch die Hamburger HHLA zu 25 Prozent beteiligt ist. Das Prinzip: Nischenmärkte. Der Hafen ist spezialisiert auf Roll-on-Roll-off – eine Ladetechnik, mit der man besonders schwere und sperrige Objekte schnell auf die Schiffe laden kann.
Dabei hatte das benachbarte Hamburg lange große Pläne mit Cuxhaven gehabt, das bis 1937 zur Hansestadt gehörte. Hamburg sicherte sich so die militärische Kontrolle über die Elbmündung, gleichzeitig war die Exklave an der Küste aber auch Standort für einen Vorhafen. Für die Hochseefischerei, zum Beispiel. Oder als Anfang des 20. Jahrhunderts die Passagierschiffe so groß wurden, dass sie zu tief für den Weg durch die seichte Elbe nach Hamburg wurden, und Hamburg in Cuxhaven den Amerikahafen für die Auswandererschiffe baute. Zwischen Hamburg und Cuxhaven reisten die Passagiere dann per Bahn.
Als Hamburg Cuxhaven 1937 gegen Harburg, Wilhelmsburg und Altona eintauschte, blieb der Amerikahafen hamburgisch – aus Furcht, Niedersachsen könnte dem Hamburger Hafen an der Elbmündung Konkurrenz machen. In den 1960ern gingen die vor Cuxhaven gelegenen Inseln Neuwerk und Scharhörn in Hamburger Besitz über – erneut mit dem Ziel, einen Vorhafen für Hamburg zu errichten.
Ein Hafen für die 100.000 Tonnen-Pötte, ein Damm durchs Watt mit einer sechsspurigen Autobahn drauf – so visionierte der damalige Hamburger Bürgermeister Herbert Weichmann den ersten Tiefwasserhafen für Deutschland. Das größenwahnsinnige Projekt wurde begraben, auch wegen starker ökologischer Bedenken. „Hätte sich die Weichmann-Vision durchgesetzt“, sagt Henning Voscherau, Hamburger Bürgermeister (SPD) zwischen 1988 und 1997, „dann hätten wir heute keine Diskussion um die Elbvertiefung.“
Doch es sollte anders kommen, und so ist Cuxhaven heute ein verschlafenes Städtchen mit sauber gereihten Backsteinhäusern. Das Leben spielt an der Küstenkante, wo Touristen zwischen Fischrestaurants und Souvenirshops bummeln. Der Zug nach Hamburg fährt einmal die Stunde. Die Autobahn führt nach Bremerhaven, nach Hamburg gibt es lediglich eine Bundesstraße.
Bürgermeister Ulrich Getsch öffnet per Knopfdruck das Dachfenster seines VWs und zündet sich eine Zigarette an, während er langsam durch die Touristenmeile kurvt. „Sollte man eigentlich nicht machen“, sagt er. Die Touristen versuchten ständig, mit ihren Autos so nahe wie möglich ans Wasser zu fahren und verstellten so die Wege für die Passanten.
Auch die Weser soll vertieft werden. Darüber verhandelt zurzeit der Europäische Gerichtshof (EuGH).
■ Der Plan: Die rund 65 Kilometer lange Außenweser soll so ausgebaggert werden, dass künftig Containerschiffe mit einem Tiefgang von 13,5 Metern Bremerhaven erreichen können. Die anschließende Unterweser soll auf 57 Kilometer Länge vertieft werden. Tideabhängig soll das niedersächsische Brake von Schiffen mit 12,80 Meter Tiefgang erreichbar sein, für Bremen selbst sind 11,10 Meter vorgesehen.
■ Die Klagen: Im Grundsatz haben Umweltverbände unter Berufung auf europäische Naturschutzrechte die gleichen ökologischen Einwände wie bei der Vertiefung der Elbe.
■ Das Verfahren: Vor einem Jahr hatte das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig seine Verhandlung über die Weservertiefung unterbrochen und dem EuGH einen Fragenkatalog zu den naturschutzrechtlichen Bestimmungen übermittelt.
■ Das Urteil: Der EuGH verhandelt seit vorigen Dienstag. Mit einem Urteil wird Anfang nächsten Jahres gerechnet.
Wie er in seinem beigen Ledersitz hängt, sieht Ulrich Getsch ein bisschen aus wie ein jüngerer Gérard Depardieu. Er habe lange in der Autobranche gearbeitet, sagt er. Bevor ihn CDU, FDP und Grüne zum Bürgermeister wählten, habe er mit Politik nichts am Hut gehabt. Der Tiefwasserhafen hätte für Cuxhaven keinen Vorteil bedeutet, davon ist er überzeugt: „Ein Tiefwasserhafen wäre der Todesstoß für den Tourismus in Cuxhaven.“
Einen Drittel macht der Tourismus an der Cuxhavener Wirtschaftsleistung aus – und trägt die Stadt damit über Zeiten konjunktureller Dellen hinweg. Zum Beispiel, als Deutschland bei der Neuverteilung der Fangquoten durch die EU diverse Fischgründe an Island und die Färöer-Inseln abgeben musste und die Fischerei in Cuxhaven in eine Krise geriet.
Wenn sich Bürgermeister Getsch was wünschen könnte, wäre das zum Beispiel eine Autobahn nach Hamburg. Es sei ja erwiesen, dass sich eine bessere Verkehrsanbindung positiv auf die Wirtschaft auswirke. Außerdem sollten mehr junge Leute nach Cuxhaven kommen, damit die Stadt nicht nur aus Rentnern und Touristen bestehe. Und er will die Offshore-Energie vorantreiben, ein Wirtschaftszweig, von dem sich Cuxhaven in Zukunft viel versprecht.
Vom Tiefwasserhafen träumt in Cuxhaven keiner mehr.
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