: „Möglichst nah an Hamburg heran“
HAFENKONKURRENZ Die Elbvertiefung sei sinnvoll, sagt Burkhard Lemper, Direktor am Bremer Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik. Der Jade-Weser-Port in Wilhelmshaven könne den Hamburger Hafen nicht ersetzen, auch wenn dieser mit steigenden Kosten kämpft
■ 47, lehrt als Professor an der Hochschule Bremen. Er analysiert und prognostiziert die Entwicklungen im maritimen Sektor einschließlich des Hinterlandverkehrs. Foto: dpa
INTERVIEW GERNOT KNÖDLER
taz: Herr Lemper, die Elbvertiefung könnte teurer werden als geplant, die Schätzungen gehen bis zu 600 Millionen Euro. Wäre das Grund genug, das Projekt zu überdenken?
Burkhard Lemper: Infrastrukturprojekte in Deutschland bergen oft das Risiko, dass sie teurer werden als geplant, insbesondere weil die Planungs- und Genehmigungszeiten lang sind. Überdenken und prüfen sollte man große Projekte immer. Aber einen Grund, das Projekt Fahrrinnenanpassung grundsätzlich infrage zu stellen, sehe ich nicht.
Die letzte Vertiefung liegt mehr als zehn Jahre zurück. Trotzdem ist im vergangenen Jahr beim Hamburger Hafen als einzigem der Nordseehäfen der Containerumschlag gewachsen. Wie erklärt sich das?
Hamburg hatte schon vor und insbesondere in der Krise Marktanteile verloren und nur unterproportional Mengen zurückgewonnen. Insofern war die letztjährige Entwicklung auch ein gewisser Nachholeffekt.
Die Hafenwirtschaft argumentiert, die Reeder bräuchten größtmögliche Flexibilität. Der Jade-Weser-Port in Wilhelmshaven bietet diese schon heute, wird aber nicht angenommen. Woher kommt das?
Der Hafen Wilhelmshaven ist bei den Kunden noch nicht im Kopf verankert. Der Reeder fährt erst mal dahin, wo die Kunden die Ladung haben wollen. Wenn auf dem Transportauftrag steht „von China nach Hamburg“ und der Reeder fährt nach Wilhelmshaven, muss er entweder den Kunden überzeugen, dass er ihm die Ladung in Wilhelmshaven abnimmt oder aber er muss sie auf eigene Rechnung weitertransportieren. Beides ist mit Kosten verbunden. Deswegen finden Marketingreisen statt, um auf dem wichtigen Markt China die Kunden zu überzeugen, Wilhelmshaven in ihre Pläne einzubeziehen.
Wer unternimmt diese Reisen?
Der Hafen und die Politik. Jede Umstellung von Liniendiensten ist mit Kosten verbunden, die man als Reeder dann auf sich nimmt, wenn die Unannehmlichkeiten an den bestehenden Standorten zu groß werden. Dem spielt in die Hände, dass Reeder aktuell sagen, sie hätten zunehmend Probleme, die Speditionen davon zu überzeugen, nach Hamburg zu gehen.
Wegen der Staus beim Abtransport, im Hinterlandverkehr.
Ja, und in diesem Zusammenhang werden Stimmen laut, die eine Verlagerung in andere Häfen empfehlen. Wenn die Probleme zu groß werden, gibt es eben das Risiko einer Verlagerung.
Aber wir sprechen eben nicht über den Fahrrinnenausbau sondern Probleme an Land.
Auch eine ausbleibende oder weiter verzögerte Elbfahrrinnen-Anpassung könnte ein solches Problem sein.
Ist es nicht absurd, über eine Elbvertiefung nachzudenken, solange die Probleme an Land so groß sind?
Die landseitigen Probleme gibt es natürlich im Moment, aber es gibt sie ja auch wegen der Baustellen, die das Ganze verbessern sollen.
Wäre der Jade-Weser-Port nicht eine prima Alternative zu einem Ausbau in Hamburg?
Der Jade-Weser-Port kann das gar nicht alles abfertigen. Bei voller Auslastung kann er gut drei Millionen Container bewältigen – gegenüber derzeit 9,3 Millionen in Hamburg.
Aber auch der Jade-Weser-Port könnte erweitert werden.
Grundsätzlich ja. Aber von Wilhelmshaven aus können Hamburg und die umliegenden Gebiete nur mit erheblich höheren Kosten bedient werden. Dabei bilden sei einen großen eigenen Markt. Der sinnvolle Transport für diesen Markt führt mit dem großen Schiff möglichst nah an den Ballungsraum Hamburg heran und möglichst weit in Richtung Osten zur Hinterlandanbindung nach Polen und Tschechien. Das ist am billigsten, spart Energie und erzeugt die wenigsten Abgase.
Wenn Hamburg so attraktiv ist, könnte man dann nicht von den Reedern erwarten, dass sie die Wartezeit für eine günstige Tide in Kauf nehmen?
Im Moment tun sie das, weil der Standort als solcher mit seiner großen lokalen Ladung und der Nähe zum Hinterland attraktiv ist. Die Frage ist nur: Wie lange sind die Kosten, die man hinzunehmen hat, noch tragbar im Vergleich zu dem Vorteil, den das Anlaufen Hamburgs bietet. Weil die Schiffe nicht nur größere Tiefgänge haben, sondern auch immer breiter werden, gibt es nicht nur Probleme bei der Nutzung des Tidefensters, sondern auch im Begegnungsverkehr. Deshalb geht es bei der Fahrrinnenanpassung nicht nur um Vertiefung der Fahrrinne, sondern auch um die Schaffung von Ausweichstellen. Müssen die Schiffe warten oder können sie nicht voll beladen werden, erhöht das die Kosten.
Hat jemand ausgerechnet, ab wann es nicht mehr attraktiv wäre, Hamburg anzufahren?
Nicht, dass ich wüsste. Das hängt von vielen variablen Parametern ab: den Ladungsstrukturen, den Kosten der Hinterlandtransporte – bis hin zu den Kapital- und Betriebskosten sowie den Dimensionen der Schiffe. Diese Schwelle auszurechnen ist daher schwierig und immer nur eine Momentaufnahme.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen