AMBROS WAIBEL ÜBER DEUTSCHE POLITIK UND ARABISCHE REVOLUTION
: Angst und Abwehr

Stellen wir uns einmal vor, Helmut Kohl hätte 1989 schlicht „nein“ gesagt: Es könnten jetzt nicht alle Menschen aus der DDR in den Westen kommen. Denn nun, da der Osten frei sei, gebe es wenig Gründe, Asyl zu gewähren. Und stellen wir uns weiter vor, der damalige Verteidigungsminister Stoltenberg hätte in Bezug auf die demokratische Revolution Osteuropas vom „Risiko eines infektiösen Momentums“ gesprochen, sein Kollege Innenminister Schäuble dagegen wäre im „heute-journal“ – anstehende Landtagswahlen fest im Blick – mit dem markigen Satz angetreten: „Wir können nicht die Probleme der ganzen Welt lösen.“

Nun: Genauso haben die heute Verantwortlichen in den jeweiligen Ämtern Verlauf und Auswirkungen der Revolutionen in Tunesien und in Ägypten kommentiert. Guttenbergs „infektiöses Momentum“ darf als Tiefpunkt gelten. Der nur allzu verständliche Akt vieler junger Tunesier, sich auf den Weg in ein vermeintlich besseres Leben zu machen, hat dann Kanzlerin Merkel und Innenminister de Maizière zum rhetorischen Offenbarungseid getrieben. Man sah es de Mazière im „heute-journal“ an: So ganz wohl war ihm beim primitiven Wahlkampfgeschwätz nicht. Denn wenn Deutschland die Probleme der Welt nicht lösen kann, fragt sich möglicherweise sogar der letzte rechtskonservative Union-Wähler, warum wir gleichzeitig unsere Freiheit am Hindukusch verteidigen müssen.

Die deutsche Politik wird hier um Antworten gewiss nicht verlegen sein. Den Ereignissen aber hinkt sie nicht nur einfach hinterher; sie ähnelt in ihrer Angstbeißerei vielmehr fatal den gerade verabschiedeten Despoten. Dabei gibt es durchaus realpolitische Ideen: Etwa, dass die EU – wie der frühere SPD-Außenstaatssekretär Gloser anregt – eine temporäre Immigration zulässt, um den Druck aus den Arbeitsmärkten zu nehmen.