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im provinztheater von SUSANNE FISCHER

Der Altersdurchschnitt im Provinztheater wurde von mir stark gedrückt, und das will etwas heißen, denn ich kann mich mühelos an Schwarzweißfernsehen und Telegramme erinnern. Noch ehe der Vorhang ganz oben war, beugte sich eine grauköpfige, gutgekleidete Person in der Reihe vor mir zu ihrer Nachbarin und sagte sehr laut: „Ich hatte ja neulich eine Darmspiegelung.“ Erst dachte ich, das gehört zum Stück, aber Don Quichote hatte, glaube ich, niemals eine Darmspiegelung, und falls doch, hätte er sie für das Ungeheuer von Loch Ness gehalten und niedergesäbelt.

Allerdings wankte Quichote dann auf die Bühne, als hätte er gerade eine Darmspiegelung hinter sich gebracht. Grau und blass – der Mann hätte im Leben die Kraft nicht aufgebracht, Windmühlenflügel mit irgendwas anderem, Anstrengenderem zu verwechseln, was ich gerade vergessen habe, weil mir die Kraft zum Erinnern fehlt. Ich hätte ja neulich gern eine Hirnspiegelung gehabt; leider wurde das noch nicht erfunden.

Quichote stand heroisch guckend an der Rampe und liebte eine Schweinemagd, die er für eine große Dame hielt. Das war nicht zeitgemäß, heute ist es meistens umgekehrt. Jedenfalls benehmen sich die großen Damen irgendwann wie die Schweinemägde oder es sind sogar welche, aber die kleinen Damen sind auch nicht besser.

Um Quichote herum sprang Sancho Pansa und verkörperte das Realitätsprinzip, indem er dick war und grinste. Wer von beiden besser singen konnte, weiß ich nicht, ich bekam Kopfschmerzen. Vielleicht wurde die Hirnspiegelung doch schon erfunden, aber sie ist bestimmt keine Kassenleistung. In der Pause stellte sich heraus, dass meine Sitznachbarin zufällig dasselbe Stück schon in Berlin und in London gesehen hatte. Durch den heftigen Gesang der braven Darsteller waren wir inzwischen derart mitgenommen, dass wir uns fragten, ob überhaupt je irgendwo auf der Welt ein anderes Stück gespielt wird.

Paris Hilton hätte übrigens sehr gut zu diesem Quichote gepasst, weil sie, egal zu welcher Tageszeit, aussieht, als sei sie zu träge, um die Augen ganz zu öffnen, und außerdem hat sie auch schon mal zum Spaß Schweine gehütet, was vermutlich lustiger ist, als den ganzen Tag immer bloß Diät zu machen. Obwohl ich damit keine Erfahrung habe, mit beidem nicht. Ich hätte aber Diät machen sollen, denn historische Theaterstühlchen sind doch eher spärlich bemessen, weil die Leute früher kleiner waren. Andererseits trugen sie riesige Reifröcke, jedenfalls die Weibchen. Vielleicht sind die Stühle so zierlich, weil die Leute damals gar nicht ins Theater gingen, sondern etwas anderes zu tun hatten.

Deswegen konnten sie dann nicht sehen, wie Don Quijote ein Sendschreiben an seine Schweinemagd schickte, die nicht lesen konnte. Das wird in Zukunft auch wieder so sein. Lesen kann sowieso keiner mehr, Telegramme sind abgeschafft,und der Service der Deutschen Post legt heute schon nahe, dass man sich morgen seine Briefe selbst abholen muss. Und zwar beim Absender. Das läuft dann unter Sport: Letterfetching. Man zieht sich dazu etwas Gelbes an und zahlt der Deutschen Post ein paar Gebühren. Wenn’s was kostet, wird’s ja auch zu was gut sein.

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