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die taz vor elf jahren über den mord an israels premierminister jitzhak rabin

Israel steht unter Schock. Die Bilder von weinenden Menschen in den Straßen von Tel Aviv zeigen, daß das Entsetzen über den Mord an dem israelischen Ministerpräsidenten Jitzhak Rabin über die Betroffenheit hinausgeht, die ein solches Attentat in den meisten anderen Ländern ausgelöst hätte. Die Tatsache, daß es weder ein radikaler Palästinenser noch ein von einem arabischen Geheimdienst bezahlter Killer war, der die tödlichen Schüsse abfeuerte, sondern ein junger israelischer Staatsbürger, hat diese tiefgreifende Erschütterung ausgelöst.

Das Selbstbild Israels, bestimmt von dem Gedanken „Israel ist das Ghetto“ (Elie Wiesel), wurde seit seiner Gründung vom Kampf um Leben und Tod geprägt, vom Kampf um das Überleben in einer feindlichen Umwelt; umgekehrt wurde der jüdische Staat im Nahen Osten als Fremdkörper wahrgenommen. Daher wird der Mord an Rabin als die ungeheuerliche Verletzung eines Tabus empfunden: daß kein Jude einen anderen tötet, ungeachtet aller politischen Gegensätzlichkeiten.

Spätestens mit den ersten Anfängen der israelisch-palästinensischen Verhandlungen Ende Oktober 1991 in Madrid wurde deutlich, daß Israel sich von diesem Selbstbild verabschieden muß, wenn der Friedensprozeß eine wirkliche Chance haben soll – so, wie auch seine Nachbarstaaten ihren falschverstandenen Ehrbegriff aufgeben müssen, der das Existenzrecht anderer in Frage stellt. Die scharfe innenpolitische Kontroverse, die der Friedensprozeß in Israel ausgelöst hat, kommt angesichts einer Geschichte, die über Jahrzehnte hinweg von Gewalt und Mythen geprägt wurde, nicht überraschend. Daß dieser politische Streit nun zu der Ermordung Rabins geführt hat, ein Attentat auf einen politischen Führer also, das man eher in einem der Nachbarstaaten oder unter den Palästinensern erwartet hätte, macht die Verunsicherung vieler Israelis komplett – und aus der Verunsicherung einen Schock. Beate Seel, 6. 11. 1995

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