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„Unglaublich, wie viele Vorurteile es noch gibt“

DEUTSCH ODER TÜRKISCH Die Übersetzerin und Autorin Sabine Adatepe ist mit einem Türken verheiratet und spricht beide Sprachen fließend. Sie hat ein Buch über Ehrenmord geschrieben – um Klischees aufzubrechen

Sabine Adatepe

51, wurde in Hamburg geboren und studierte dort Turkologie, Iranistik und Germanistik. Danach arbeitete sie einige Jahre in Istanbul. Sie war als Dozentin für Deutsch als Fremdsprache in Wilhelmsburg tätig. Seit 1990 übersetzt sie freiberuflich aus dem Türkischen.

„Kein Frühling für Bahar“ ist ihr erster Roman. In diesem Jahr gab sie einen Sammelband über die Protestbewegung in Istanbul heraus: „Gezi – Eine literarische Anthologie“ (Binooki-Verlag, 2014, 180 S. 9,99 Euro), in dem 19 türkische AutorInnen über die Gezi-Bewegung reflektieren.

Außerdem schreibt Sabine Adatepe den Literatur-Blog „Angeschwemmt“. Momentan arbeitet sie an einem weiteren Roman, der auch einen Türkei-Bezug hat.

INTERVIEW MAI-BRITT WULF

taz: Frau Adatepe, wie kamen Sie dazu, sich für die türkische Sprache zu interessieren?

Sabine Adatepe: In den Sommerferien arbeitete ich in einer Fabrik und war neugierig auf die Sprache meiner türkischen Kollegen. Bei den anderen Mitarbeitern konnte ich zumindest einordnen, worum es ging, aber bei Türkisch verstand ich nichts. Auf einer langen Bahnfahrt lernten meine Freundin und ich einen türkischen Arbeiterverein aus Hamburg kennen. Ich war 18 Jahre alt, habe Sprachenlernen geliebt und hatte Lust, Türkisch zu lernen. Damals gab es noch keine Türkischkurse. Aber in dem Verein war ein Lehrer, der als politischer Flüchtling nach Deutschland gekommen war und anbot, uns die Sprache beizubringen. Obwohl der Unterricht dann nur zweimal stattfand, gelangte ich in den Verein.

Und wie haben Sie dann die Sprache gelernt?

Ich habe von den Menschen Türkisch gelernt. Zusätzlich habe ich mit einem Deutschlehrbuch für Türken gearbeitet. Die ersten drei Jahre habe ich mich kaum getraut, Türkisch zu sprechen. Heute komme ich mit dem Reden gut klar. Dabei habe ich gemerkt, dass ich durch das Übersetzen eine Sprache gut lernen kann. Ich finde es wichtig, die Sprache zu können von Menschen, mit denen ich zusammenlebe.

Welche Erfahrungen machen Sie als Türkischübersetzerin?

Ich erlebe es häufig, dass Leute fragen, ob es tatsächlich türkische Literatur gibt, oder kein Interesse an Türkisch da ist. Dabei ist türkische Literatur auf dem gleichen Niveau wie andere Weltliteratur. Viele Biodeutsche denken, dass türkische Literatur nur Türken lesen. Englisch wird immer noch mehr geschätzt. Nach 50 Jahren Migration finde ich das dramatisch. Es gibt erst seit einigen Jahren türkischen Unterricht an einigen Schulen. Die Türkischlehrer-Ausbildung, die hart erkämpft wurde, wird nun in Hamburg wieder abgeschafft. Ich bin sehr traurig darüber, dass Türkisch nicht die gleiche Wertigkeit hat wie andere Sprachen. Türkisch muss endlich richtig anerkannt werden. Das ist ein großes Problem, dass Deutschland schleunigst bewältigen muss.

Sie sind mit einem Türken verheiratet und haben einen türkischen Nachnamen. Begegnen Sie deshalb Vorurteilen?

Mir passiert es nach wie vor, dass ich gefragt werde, ob mein Mann es erlaubt, dass ich ohne Kopftuch herumlaufe. Hören die Leute, dass ich mit einem Türken verheiratet bin, dann kommen gleich die Klischees: Der Mann ist Muslim, das heißt, sie ist unterdrückt und die Schwägerin geht irgendwo putzen. Es ist unglaublich, wie viele Vorurteile es nach 50 Jahren Migration noch gibt.

Na ja, in Ihrem Roman „Kein Frühling für Bahar“ geht es um Ehrenmord.

Ich habe das Thema Ehrenmord bewusst gewählt, um dagegenzuhalten. Ich wollte Interesse wecken, um das Klischee umzudrehen und aufzubrechen. Ich merke, dass es gelingt. Ich erreiche eine breite Leserschaft. Interessanterweise waren die ersten Leser Leute mit Migrationshintergrund. An die habe ich nicht gedacht, ich dachte, die kennen ja, was ich beschreibe. Aber Migranten sind an dem Thema Migration interessiert. Besonders an der Frage, wie erleben die anderen das?

Wie viel von Ihnen steckt in Ina, der Erzählerin des Romans?

Eine Menge. Aber in vielen Figuren steckt einiges von mir, doch ich bin keine ganz. Wie Ina habe ich auch in Wilhelmsburg gearbeitet, aber als Dozentin für Deutsch in einer Begegnungsstätte. Mein Roman entstand als Abschied. Ich wollte mir meine Erfahrungen aus Wilhelmsburg und den Deutschkursen von der Seele schreiben.

Wie war die Arbeit dort?

Es war berührend. Ich habe die Menschen aus den Deutschkursen sehr gemocht und sie fehlen mir bis heute. Deutschkurse sind mehr als nur Sprachvermittlung.

Geraten Sie aufgrund Ihrer Sprachkenntnisse mal in ungewöhnliche Situationen?

Wenn ich als Deutsche Türkisch rede, dann gehöre ich sehr viel schneller zu dem „wir“ dazu und komme schneller in Kontakt. Mir passieren oft komische oder lustige Sachen, aber meistens sind das schöne Begegnungen.

Zum Beispiel?

Manchmal höre ich in der Bahn Gespräche und ich muss darüber schmunzeln. Dann rätseln die Leute auf Türkisch, ob ich sie verstehen könnte. Ich sage dann meist etwas wie: „Meine Ohren waren gerade zu Gast bei euch.“ Und dann lachen alle. Es gibt ein Café, in das ich sehr gerne gehe. Dort arbeiten auch türkische Mitarbeiter. Sie haben mitbekommen, dass ich Türkisch kann. Seitdem haben wir ein anderes Verhältnis zueinander. Wir reden über Themen, über die man sonst nicht reden würde, wenn man nur Deutsch spricht.

Ermöglichen Ihre Türkischkenntnisse es Ihnen, zwischen Welten zu wandeln?

Sprachkenntnisse sind mir wichtig, aber man braucht sie nicht unbedingt, um sich zwischen den Kulturen zu bewegen. Das liegt an einem selbst. Wenn man offen ist und sich umguckt, wer an der Bushaltestelle neben einem steht, kann man schon viel erleben. Ich bin sehr behütet in Hamburgs Speckgürtel, in Pinneberg, aufgewachsen. An meiner Schule gab es keine Migranten. Heute lebe in einem Mietshaus mit vier Parteien aus Ghana, Deutschland, Griechenland und der Türkei. So stelle ich mir das vor und ich will nie wieder zu dieser Monokultur zurück.

Sabine Adatepe, „Kein Frühling für Bahar. Mehr als eine Hamburger Migrationsgeschichte“. Acabus-Verlag 2013, 234 S., 11,90 Euro

Lesung mit Sabine Adatepe: Sa, 19. 7., 17 Uhr, Buchhandlung Lüdemann, Fährstraße 26, Hamburg-Wilhelmsburg

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