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■ Heute feiert sich die SPD auf ihrem Parteitag. Doch für Euphorie ist es zu früh. Die Wahl hat die Partei noch längst nicht gewonnenWas kommt nach dem Jubel?

Daß es der SPD so gut geht, verdankt sie einer Mischung aus Glück und Verstand. Glück, weil die Verbindung von Niedersachsenwahl und Kanzlerkandidatur ein gewagtes Experiment war, das bei anderem Ausgang die SPD in eine völlig aussichtslose Lage gebracht hätte. Aber eben auch Verstand, denn die SPD nahm sich Tony Blairs New Labour genau dort zum Vorbild, wo sie auch wirklich etwas lernen konnte: beim unbedingten Siegeswillen und bei der Fähigkeit zur politischen Kommunikation. Ihre jüngsten Erfolge verdankt die Partei nicht nur dem strahlenden Helden Gerhard Schröder, sondern auch Oskar Lafontaine und Franz Müntefering, die der Partei eine kommunikationsfähige Wahlkampfzentrale und ein geschlossenes Auftreten verpaßt haben.

Die SPD inszeniert ihren Leipziger Parteitag als ein gewaltiges Medienereignis. Offen bleibt, ob die Partei ihre Strukturen auch dauerhaft verändert.

Vollzieht sie den entscheidenden Schritt zur Amerikanisierung: wähler- und medienorientiert, mit konturenarmer Ad-hoc-Programmatik und dem unbestrittenen Hauptziel der Stimmenmaximierung? Wettbewerbspartei also, die sich vor allem anderen auf Wählermärkten behaupten will? Oder bleibt dies eine Episode zwischen März und September 98, und die SPD kehrt zurück zur Programmpartei, die ihr wichtigstes Ziel in Erarbeitung und Vollzug von Programmen sieht? Der Parteitag schweigt und klatscht. Nach der Wahl wird die Partei uns dann sagen, worauf sie hinaus will.

Diese Frage ist nicht einfach nach Organisationsprinzipien, und sie ist auch nicht nur taktisch zu entscheiden, mit Geltungsdauer allein für den Wahlkampf. Schröder wird aus einem Wahlerfolg, den er sich zuschreibt, Machtansprüche einer plebiszitären Legitimation ableiten. Mr. Common sense, der alle und alles ein bißchen versteht, ein wenig rechts, ein wenig links, sparsam mit Überzeugungen.

Auch wenn es keine Schröder- Wähler gibt (noch sind sie, analog zu Schiller- oder Brandt-Wählern, nicht in Sicht), eine Stimmenverbesserung der Partei im Herbst wird Schröder als seinen Sieg verstehen und gegen die alteingesessenen Programmerwartungen der Partei geltend machen. Die SPD ist ins Personal-Plebiszite durch den Erfolg von Schröders niedersächsischem Wahlarrangement hineingeschliddert, geklärt hat sie in dieser Frage noch gar nichts.

Allerdings setzt ein Wandel der Parteistrukturen voraus, daß die SPD die Wahl gewinnt. Das freilich ist noch offen. Die SPD führt im Wahlkampfrennen nach der Hälfte der Distanz, aber die anderen werden noch aufholen. In sechs Monaten kann man viele Fehler machen. Anlässe gibt es genug.

So war das Magdeburger Modell im Wahlkampf 94 so fatal für die SPD, weil es die eigene Partei spaltete, den in dieser Frage geschlossenen Gegner mobilisierte. Sicher, je stärker die SPD bei den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt abschneidet, desto weniger ist sie mit einer Roten-Socken-Kampagne II angreifbar. Doch ist das Verhältnis zur PDS auch in den letzten vier Jahren nicht grundlegend geklärt worden. Die CDU, die ja von ihrer Vergangenheit lebt, wird sich keine Chance zu einem Angriff bei diesem Klassiker entgehen lassen. Kommt es in Sachsen-Anhalt zu einem Dreiparteiensystem ohne klare Mehrheit, wird die PDS als tolerierende Partei einer alleinregierenden SPD gefährlich nahe rücken. Ein schöner Stoff für die nach jedem Strohhalm suchenden Strategen im Adenauer-Haus, eine solche Zweierbeziehung als Vorspiel für eine Annäherung auch in Bonn anzuschwärzen.

Zweitens: Das Verhältnis zu den Grünen bleibt eine Gratwanderung. Die Grünen haben sich in den letzten Wochen auf ihre Kernwählerschaft von etwa sieben Prozent reduziert. Von den Fehlern der Grünen profitierte bisher die SPD. Aber diese Stimmen bleiben nur dann im selben Lager, wenn man anschließend gemeinsam regiert. Sonst helfen sie der SPD, den Kanzler in einer großen Koalition zu stellen (immerhin die zweite Präferenz nach Rot-Grün). Die CDU wird ihren Angriffswahlkampf gegen die Grünen noch weiter forcieren. Das verführt die SPD und insbesondere ihren selbsternannten Kandidaten der Mitte, dabei mitabzusahnen.

Allzugroß darf die Distanz zu den Grünen allerdings nicht werden. Zumindest bis zum Wahltag braucht man sie, um die Semantik eines Machtwechsels zu pflegen. Diese markiert eine Grenze der Abgrenzung gegenüber den Grünen. Ohne die Grünen marschiert die SPD direkt in Richtung große Koalition, oder sie hilft gar der alten Regierung wieder ins Amt. Abgrenzung in Einzelfragen und Flexibilität in der Koalitionsfrage gehören zum Wettbewerb. Mehr allerdings nicht, wenn der Machtwechsel glaubwürdig bleiben soll.

Drittens: Die SPD will noch konkret werden. Der Kandidat und einige erfolgreich besetzte Begriffe wie Innovation, Gerechtigkeit oder neue Mitte reichen am Ende nicht aus. Das freut die Interessierten, aber darin steckt auch eine Gefahr. Das Konkrete und gar Verbindliche schreckt jeden Wahlkämpfer. Denn jede konkrete Forderung hat einen Gegner. Die großen Begriffe aber sind ohne die Anschaulichkeit wichtiger Forderungen noch leer. Bisher hat man in diesem Wahlkampf alle bestraft, die etwas genauer wurden: die Grünen und Schäuble.

Auguren sehen die größte Gefahr für einen SPD-Wahlerfolg in der Kampagne mit der Konjunktur. Mehr noch als 1994 ist aber der Aufschwung überschattet von stabiler Arbeitslosigkeit. Sie läßt sich wohl nicht mehr alleine mit ökonomischem Licht beleuchten, was der CDU damals half. Diesmal ist stärker eine ökonomisch-soziale Kompetenz gefragt. Da hilft eine soziale Grundwelle heute dem Image der SPD.

Eigentlich geht es der SPD gut, auch dem Kandidaten. Wahrscheinlich wird dieser Wahlkampf Schröders glücklichste Zeit mit seiner Partei sein – weil sie schweigt. Die größten Probleme kommen nach der Wahl. Die Koalitionsfrage, der Erwartungsdruck, der geringe Handlungsspielraum, die mißtrauische Partei. Lafontaine könnte wichtiger werden als Schröder. Nur mit ihm folgt die Partei, nur mit ihm bleiben Grenzen zum Gegner markiert. Aber auch er ist nicht nur Makler nach innen und Agitator nach außen. Ihn begleiten Eigeninteressen als erster Nachfolgeanwärter eines potentiellen Kanzlers Schröder. Willy Brandt war schon Kanzler, als er der Integrator der Partei wurde, Lafontaine will es erst noch werden. Joachim Raschke/Andreas Timm

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