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Urbane Pollutionen

Berlin Scanner: Aus dem freien Kapitalfluss werden geordnete Verkehrsströme, der Klassenkampf entscheidet sich heute an Blumenkübeln, Ampeln und Parkautomaten. Vor den Toren der Bundesdruckerei war  ■   Helmut Höge

Zu dem für mich herausragensten Event der letzten Zeit zählt ohne Zweifel der Austausch der zwei Poller vor dem Eingangstor der Bundesdruckerei in der Kreuzberger Kochstraße. Durch die schwer bewachte Einfahrt gehen täglich auch die Angestellten dieser nunmehr gesamtdeutschen Geldfabrik.

Es ist immer wieder ein extrem entwürdigender Anblick, wenn die Drucker und Sekretärinnen bei Schichtende noch hinter dem Gittertor warten müssen – bis es auf die Sekunde genau 15 Uhr oder was weiß ich schlägt. Während die großteils üppig gewordenen Bürodamen in den 129er-Bus drängen, schwingen sich die sportlichen Arbeiter auf ihre Motorräder. Die Bundesdruckerei gehört zur Hälfte einem süddeutschen Multiunternehmer – mit Kapitäns-, d. h. Bugarchitektur-Ambitionen –, sie ist also nur noch halbstaatlich. Derzeit ringt das Unternehmen um den Großdruckauftrag „Euro“ und überlegt zugleich, ob es nicht Paketlösungen mit Geldzählmaschinen und Schreddern anbieten soll.

Nun zu den jüngsten Pollern vor der Bundesdruckerei: Blumenkübel. 1988 hatte mich bereits eine längere Poller-Recherche vor die Tore der Bundesdruckerei geführt. Damals sprach ich über diese meiner Meinung nach staatsterroristische „Verpollerung“ der Stadt mit Stadtsoziologen, Urbanisten, Pollerdesignern und -herstellern. Zwar waren wir uns im wesentlichen einig, dass die „stummen Polizisten“ eine wahre „Eigendynamik“ entfaltet hätten. Bei der Zwangstransformierung der Bewegungen des Klassenkampfes in gegeneinanderstrebige Verkehrsteilnehmerströme komme man aber nun mal nicht um die „Sachzwänge“ herum: Siemens-Ampel, Zeiss-Überwachungskameras und Wellmann-Poller. Immerhin meinte einer der am Institut für Urbanisten von mir befragten Verkehrsexperten (mit expliziter Neigung zu grünen Alternativen): „Blumenkübel sind out!“

Infolge der Wiedervereinigung spitzte sich die Pollerfrage dann noch einmal zu: Im Osten wurden gleich nach der Wende alle Straßen und Plätze „abgepollert“. Im Gegensatz zu Kreuzberg, wohin der dortige „Penis“-Poller extra – wegen der Autonomen und linken Türken – ankerverstärkt geliefert wird, forderten im Osten die Bürger selbst „Mehr Poller!“. Dort wird der Verkehrsteilnehmer jetzt auch weitaus faschistischer gegängelt als zuvor: mit jede Menge Ketten zwischen den Pollern und kilometerlangen Straßenabgrenzungsgittern. Dazu kommen alle 100 Meter Ampeln und Parkautomaten, selbst auf Dörfern. Im Westen würde man sich so etwas nicht einmal in Ostfriesland gefallen lassen, wo man ganz besonders genau die Verkehrsregeln beachtet.

Das Poller-Ding war also gesamtdeutsch blitzschnell gelaufen, und die Straßenmöblierungs-Lieferanten verdienten sich dumm und dämlich. Zwei – aus Hessen – traf ich unlängst im Café Leopold in Bombay. Dort holten sie gerade zum ganz großen Schlag aus: Bombay hat 14 Millionen Einwohner – und so gut wie überhaupt keine Poller, die wenigen Ampeln werden souverän ignoriert. Die Deutschen hatten bereits Kontakt zum Führer der faschistischen Shiv-Sena-Kommunalisten Bal Thakeray aufgenommen, der seine Stadt-Utopie aus dem „frei fließenden Verkehr Chicagos“ bezieht: „That is how Bombay has to be!“ Die beiden Hessen spendierten mehrere Lokalrunden.

Schon etwas angeheitert verließ ich das Café – und geriet durch die Straßen stolpernd prompt ins Grübeln über den Verkehr dort: Fußgänger, Taxis, Lkws, Mopeds, Kühe, Katzen – alles ging und fuhr dort scheinbar hektisch durcheinander. Aber wenn man sich einmal in einem glücklichen Moment der Gelassenheit auf den dort an sich viel langsameren Verkehr einließ, hatte alles eine schier herzergreifende göttliche Ordnung – genauer: eine gottgleiche Würde.

Wieder zurück in Berlin begann ich dieses ganze hiesige Urbanistendenken wirklich zu hassen. Dieser ganze Verkehrsordnungs-, Ampel-, Sicherheits-, Beleuchtungs- und Pollerwahn hat uns völlig verroht – und entmündigt. Immerhin hatte so rückblickend der indische Verkehr den stärksten und überzeugendsten Eindruck auf mich gemacht. Und selbst das Taxifahren: Was für eine öde Veranstaltung ist das hier. Und was für ein Vergnügen dagegen, mit den kleinen zerbeulten Bombay-Taxis mittendrin im Verkehr zu stecken – und dabei laut Musik zu hören! Das alles wollte ich nur noch einmal im Zusammenhang der brandneuen Poller vor der Bundesdruckerei gesagt haben: Da ruht kein Segen drauf!

Bundesdruckerei, Oranienstraße 91

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