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Opulent wie eine Festtagstafel

■ Flucht vor Heiligabend auf eine Tropeninsel oder Besäufnis in einer trostlosen Pinte: Wie Comic-Helden Weihnachten feiern

Streng betrachtet gibt es nur zwei Arten, Weihnachten zu feiern: Entweder im trauten Kreis der Familie – versammelt um den Kamin (oder seinem modernen Äquivalent, dem Fernseher) wartet man aufs Christkind. Oder man zieht sich irgendwohin zurück, wo einem der Festtagsrummel nicht allzu sehr auf den Sack geht. Passend zu diesen beiden Fraktionen gibt es   auch   Weihnachtscomics   und -bücher.

Nun gibt es ja Familien, die schmücken nicht nur den Weihnachtsbaum bis auf den letzten Millimeter mit Lametta aus, sondern dekorieren gleich auch noch die gesamte Einrichtung, inklusive Fenster, passend zur Jahreszeit. Diesen Overkill-Artisten sei Mike Ploogs inzwischen verramschter „Santa Claus“ ans Herz gelegt. Bilder, so süßlich wie die Coca-Cola-Reklame, und eine Story, die einem die Schuhe auszieht.

Dagegen wendet sich der Franzose Frank Le Gall mit seinem Comic „Ein Fest für den Weihnachtsmann“ an nicht so schlichte Gemüter, zwar kindgerecht, aber keineswegs naiv gezeichnet: Nach einem Poststreik kommen 126.479 Wunschzettel verspätet in der Weihnachtsmannwerkstatt an. Vollkommen entnervt wirft daraufhin der Grünwichtel, einer der Helfer des Rotgekleideten, die Brocken hin und verzieht sich auf eine Tropeninsel. Und als neuen Helfer rekrutiert der Weihnachtsmann den ebenso dummen wie hässlichen Troll. Le Gall verhält sich zu Ploog wie ein schlichter Mistelzweig zum Glitzerbaum: einfach zum Knutschen.

So schwer im Magen wie eine fette Weihnachtsgans liegt der Stählerne mit einem Album, in dem es um nichts geringeres als den Weltfrieden geht: Fan-Liebling Alex Ross hat sein überformatiges Comic „Superman: Friede auf Erden“ so opulent wie eine Festtagstafel angelegt: In riesigen, gemalten Bildern, keine Sprechblase stört den Blickgenuss, die Texte sind dezent in die Kunstwerke eingefügt. Um so tragischer, dass ausgerechnet der Welt größter Pfadfinder letztendlich scheitert. Mehr als den Keim einer Hoffnung vermag auch er nicht zu pflanzen. Ein durchaus realistischer Schluss für eine Story, die hemmungslos auf die Tränendrüse drückt.

An die Fraktion, die Weihnachten im schmucklosen Zimmer verbringt, wendet sich eine Sammlung von Kurzgeschichten, das „Vertigo Winter Special“. Vertigo, der Psychohorror-Imprint (eine Art Verlag im Verlag) des Superman-Universums, hat in den letzten fünf Jahren einige der anspruchsvollsten US-Comic-Serien überhaupt veröffentlicht.

Der Winter-Special-Band versammelt nun die besten Shorties um die verschiedenen Sandmänner, den zynischen Zauberer John Constantine, den fiesen Journalisten Spider Jerusalem und Tim Hunters Bücher der Magie. Die beiden Briten Garth Ennis und Warren Ellis etwa sind Garanten für die etwas zynischeren Weihnachtsgeschichten, und selbst der Großmeister des Kitschs, Neil Gaiman, hält sich angenehm zurück. Lustige, abgründige und manchmal etwas bittere Storys, die für ein etwas prosaischeres Weihnachtsfest stehen.

Und dann wären da noch die Kneipengänger: Gibt es etwas trostloseres als eine lieblos geschmückte, halb gefüllte Pinte am Weihnachtsabend? Alle Außenseiter der menschlichen Gesellschaft scheinen sich an diesem Abend hier einzufinden, einsam, auf der Suche nach menschlicher Nähe. In so einem Schuppen findet sich Matt „Daredevil“ Murdock in einem Weihnachtsheft seiner Serie, geschrieben von der begnadeten Journalistin Ann Nocenti, gezeichnet vom unvergleichlichen John Romita Jr., und gibt sich hier die Kante. Um ihn herum zerfällt langsam, aber sicher die menschliche Gemeinschaft, eine alternde Diva lässt alle Masken fallen, ein Brüderpaar geht aufeinander los, und die umwerfende Frau, die am Tresen neben ihm steht, entpuppt sich am Ende als Mephisto. Nachdem Satan dem guten Matt eine geschwalbt hat, wird dieser von zwei Freunden aufgelesen, und zum versöhnlichen Schluss besuchen alle die Armenküche. Frohes Fest. In diesem Sinne ...

Lutz Göllner

Vertigo One Shot #2: Vertigo Winter Special. Verschiedene Autoren und Zeichner. Aus dem Amerikanischen von Claudia Fliege u.a. Verlag Thomas Tilsner/Speed, Bad Tölz/Bielefeld 1999. 68 Seiten, 12,95 DM

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