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„Man muss die Tarifparteien abschaffen“

Die Lohnerhöhungen sollten moderat ausfallen – und vor allem von Betrieb zu Betrieb verschieden sein, meint der Ökonom Thomas Straubhaar. Überhaupt sind kollektive Tarifverträge nur ein Hindernis für die Marktmechanismen

taz: Herr Straubhaar, die Gewerkschaft IG Bau fordert 5,5 Prozent mehr Lohn. Am Dienstag wird der Vorstand der IG Metall eine Erhöhung zwischen 6 und 7 Prozent empfehlen. Bekommen nach jahrelanger Lohnzurückhaltung die Gewerkschaften jetzt endlich Gerechtigkeit?

Thomas Straubhaar: Ich vermute: Ja. Die Arbeitgeber werden bei den sicherlich hart geführten Tarifauseinandersetzungen in diesem Jahr einen schweren Stand haben. Vielen Firmen geht es ausgesprochen gut, ihre Auftragsbücher sind voll, da können sie sich keinen Konflikt mit ihren Belegschaften leisten. Diesen Konflikt werden sie nicht wegen einem Prozentpunkt mehr oder weniger riskieren wollen. Außerdem haben die Unternehmen mittlerweile gelernt, höhere Tarifabschlüsse kurzfristig zu kompensieren. Sie werden die Kosten auf ihre Produkte abwälzen, sie werden rationalisieren, sie werden betriebliche Sondergratifikationen kürzen.

Das Statistische Bundesamt hat diese Woche erklärt, dass die Tariflöhne 2006 in geringerem Maße gestiegen sind als die Inflation. Können Sie nicht verstehen, dass die Belegschaften jetzt endlich mehr Lohn erhalten wollen?

Ich kann durchaus nachvollziehen, dass die Arbeitnehmer an der guten Konjunktur beteiligt werden wollen. Aber die Frage ist doch, mit welchem Instrument.

Was schlagen Sie vor?

Der bessere Weg wäre ein zweigeteilter Abschluss. Es könnte eine generelle Sockelerhöhung geben, die vergleichsweise gering ausfallen sollte. Sagen wir 2 Prozent. Und alles, was darüber hinausgeht, müssten die Betriebe je nach deren unterschiedlicher wirtschaftlicher Lage aushandeln. In Form von Einmalzahlungen. Von mir aus kann eine solche Einmalzahlung Ende 2007 sogar ein zweites Mal erfolgen, wenn man absehen kann, ob dieses Jahr erneut ein wirtschaftlich gutes Jahr wird.

Zweigeteilter Tarifabschluss. Einmalzahlungen. Sie könnten glatt die Tarifverhandlungen für den Arbeitgeberverband Gesamtmetall übernehmen. Denn genau das wollen die Arbeitgeber in der Metall- und Elektrobranche.

Das wundert mich jetzt nicht. Denn das ist eine vollkommen vernünftige Position, wenn es um eine nachhaltige Beschäftigungspolitik in Deutschland gehen soll.

Die Gewerkschaften argumentieren bei ihrer Lohnforderung beschäftigungspolitisch damit, dass Deutschland zwar Exportweltmeister sei, die Binnennachfrage dagegen auf gleichbleibend niedrigem Niveau liegen würde. Das ist doch einleuchtend.

Nein, das ist so nicht korrekt. Die Binnennachfrage umfasst nicht nur den Konsum, sondern auch das Maß der Binneninvestitionen durch die Unternehmen. Und da haben die Firmen über das normale Maß hinaus investiert. Die Wurzel des Aufschwungs, den wir heute erleben, basiert nicht nur auf dem extrem guten Export, sondern ebenso in der wieder erstarkten Investitionsbereitschaft. Das hat 2005 angefangen – und wirkt sich heute mit einer sinkenden Arbeitslosenquote aus.

Der Lieblingssatz der IG Metall lautet: „Autos kaufen keine Autos.“ Was ist daran denn falsch?

Dieser Satz ist so trivial wie makroökonomisch falsch. Der Aufschwung wurde gerade nicht durch die Stimulierung des Konsums erwirkt, sondern durch die Lohnzurückhaltung der Gewerkschaften. Das Investitionsplus der Unternehmen ist viel nachhaltiger. Dadurch wird Beschäftigung geschaffen. Das zeigt auch, dass bei der von den Gewerkschaften so hochgehaltenen Binnennachfrage auch überhaupt nicht die Höhe der Lohnsätze entscheidend ist, sondern die Lohnsumme insgesamt.

Das heißt?

Das ist mathematisch ganz einfach: Wenn die Gewerkschaften jetzt höhere Löhne durchsetzen, was aber zu einem stärkeren Beschäftigungsrückgang führt, dann schrumpft die Lohnsumme und im Ergebnis damit auch der Konsum.

Sie machen also einzig die Gewerkschaften für die Beschäftigung in Deutschland verantwortlich. Aber Tarifpolitik kann doch keine Arbeitsmarktpolitik ersetzen.

Das ist richtig. Aber es geht hier doch auch um die gesellschaftliche Funktion einer Gewerkschaft. Die Gewerkschaften haben von ihrer Konstruktion her primär die Insider im Auge.

Insider?

Diejenigen, die Arbeitsplätze besitzen. Aber was ist mit den Outsidern, also den Arbeitslosen? Für die ist eine moderate Lohnpolitik die beste Arbeitsmarktpolitik.

Ist Ihre Kritik an den Gewerkschaften nicht ein bisschen einseitig?

Sie haben mich nach den Gewerkschaften gefragt. Aber die Arbeitgeberverbände sind selbstverständlich in gleichem Maße verantwortlich. Weil sie genauso krampfhaft am Flächentarifvertrag festhalten. Also dem Durchschnitt. Dem Konsens. Und dem größtmöglichen Frieden.

Sagen Sie’s schon: Sie würden die Tarifpartner in der jetzigen Form am liebsten abschaffen.

Ja, mit Blick auf Lohnverhandlungen, in der jetzigen Verfasstheit von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden schon.

Und für welche Alternative plädieren Sie?

Der Arbeitsmarkt sollte ein Markt sein, bei dem sich Löhne aufgrund von Angebot und Nachfrage unter Konkurrenzsituation ergeben. Die Realität ist aber, dass marktmächtige Kartelle …

damit meinen Sie die Gewerkschaften und die Arbeitgeberverbände …

… dass sich diese marktmächtigen Gruppen immer zu Lasten Dritter durchsetzen. Zu Lasten der Arbeitslosen. Ich glaube, dass die Lohnfindung in absehbarer Zeit nicht mehr das zentrale Aktionsfeld von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden sein wird. Sie werden künftig vielleicht noch einen Rahmen definieren. Mehr aber auch nicht mehr.

Sie wollen mehr Macht für die Betriebe?

Ja, das Lohnfindungskartell ist nicht mehr zeitgemäß. Löhne sollten dezentral, in den Betrieben ausgehandelt werden. Die Lohnentwicklung muss sich an den Realitäten in den Betrieben orientieren. Und nicht an einem Durchschnitt, der die ganze wirtschaftliche Vielfalt der unterschiedlichen Branchen und Firmen missachtet.

Aber es gibt längst Tarifverträge, die betriebliche Abweichungen sowohl in der Arbeitszeit als auch bei den Löhnen zulassen. Und zwar nicht nur, wenn eine Firma in die Krise geraten ist, sondern auch, wenn eine Firma neue Produkte einführen, neue Innovationen durchführen will.

Bravo. Wunderbar. Das ist die richtige Entwicklung. Ich bin mir ja auch sicher, dass die Gewerkschaften mittlerweile haargenau wissen, dass sie sich nicht an der Lohnfindung festbeißen dürfen. Die tatsächliche Entwicklung der Arbeitswelt stellt längst Themen wie demografischer Wandel, Ausbildung und lebenslange Bildung in den Mittelpunkt. Die Dynamik der Arbeitswelt erfordert es, dass Gewerkschaften viel mehr beratende, informierende und moderierende Funktionen übernehmen müssen. Das sind die künftigen Herausforderungen für moderne Gewerkschaften – und auch für moderne Arbeitgeberverbände.

INTERVIEW: THILO KNOTT

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