: Sonderangebote statt Almosen
Heute eröffnet der erste CARIsatt-Laden in Neukölln: Menschen mit wenig Geld können zu Niedrigpreisen einkaufen, wenn sie einen Sozialausweis vorlegen. In Güstrow gibt es das seit langem. Doch dem Projekt dort droht das Aus
Bei den CARIsatt-Mitarbeitern herrscht Freude: Gerade sind Dutzende Paletten mit Schokoladenweihnachtsmännern angekommen. Zwar würde die Saison eher Osterhasen vorschreiben, aber im Laden in der Aronstraße gelten andere Regeln.
„Wir nehmen hier, was wir bekommen“, sagt Bleyleven-Homann, die Projektinitiatorin. Das bedeute eben auch, dass man nie so genau weiß, was geliefert wird. Heute eine Kiste mit Obst, morgen dreißig Pakete Waschpulver. Der Kunde passt sich dem Warenangebot an, nicht umgekehrt – Regel Nummer eins. Regel Nummer zwei: Hier kann jeder einkaufen, der Anspruch auf Sozialhilfe hat oder Hartz-IV-Empfänger ist. Ein Ausweis, den das Sozialamt oder eine Beratungsstelle ausstellt, genügt. Nur ohne Einkaufsberechtigungsschein keine Ware.
In den Räumen des Diakonischen Werks erinnert nur das Kreuz an der Wand an eine kirchliche Einrichtung, sonst sieht es aus wie in einem Tante-Emma-Laden: In den Regalen stehen angebeulte Tomatendosen, falsch etikettierte Müslis, leicht lädierte Bücher und Schreibwaren. Was sonst auf die Müllkippe wandern würde, wird hier an Bedürftige bis um die Hälfte billiger weiterverkauft. Ein halbes Kilo Nudeln kostet 50 Cent.
Die Waren stammen aus Überproduktionen, Ankäufen zu Tiefstpreisen und Spenden. Fruchthof zum Beispiel spendet Obst und Gemüse. Einige Bäcker in der Nähe bringen Brot oder Kuchen vorbei. „Mit einem überregionalen Lebensmittelkonzern sind wir gerade am Verhandeln“, sagt Maria Streichert, die bei dem Projekt für die betriebswirtschaftlichen Fragen zuständig ist. Zwar habe man in der Übungsphase der letzten drei Monate die meisten Waren ankaufen müssen, aber in Zukunft soll sich das Projekt nur durch Spenden tragen.
Jeder Fünfte arbeitslos
Der CARIsatt-Laden Neukölln liegt in der „weißen Siedlung“ , benannt nach den weißen Sozialbauten der 70er-Jahre. In den letzten Jahren haben viele Bewohner den Kiez verlassen. Gekommen sind Familien mit geringem Einkommen, Rentner und Menschen ausländischer Herkunft. Jeder Fünfte hier ist arbeitslos. Das Modellprojekt ist mehr als ein Discounter für die Ärmsten, es soll auch eine soziale Anlaufstelle im Kiez um die Sonnenallee werden. An der Ladentheke gibt es nicht nur Wechselgeld, sondern auch mal einen Tipp zu den Angeboten von Beratungsstellen in der Nähe. Neben ehrenamtlichen Helfern arbeiten auch ABM-Kräfte deutscher und nichtdeutscher Herkunft. Streichert hofft, dass sie betriebswirtschaftliche Handlungsabläufe kennenlernen und dadurch wieder den Sprung in den ersten Arbeitsmarkt schaffen.
Das Grundkonzept der CARIsatt-Läden wurde im schweizerischen Basel geboren und ist ganz einfach: Bedürftige Menschen wollen sich nicht als Almosenempfänger fühlen, sondern gleichberechtigt an der Gesellschaft teilnehmen. Dazu gehört auch, mit dem wenigen Geld selber zu haushalten und sich nicht passiv bedienen zu lassen.
1996 wurde in Deutschland der erste CARIsatt-Laden im mecklenburgischen Güstrow eröffnet. Anfangs gab es noch Spenden, dann verbilligte Angebote. Obst und Gemüse liefert Lidl jeden Freitag für 50 Cent das Kilo. Dosenware, Kaffee und Toilettenpapier sind teurer. Ein paar Cent schlägt Projektleiterin Ursula van Elsleben auf ihre Preise drauf. Von dem Gewinn, den man eigentlich nicht so nennen darf, kauft sie weitere Produkte an. Aber seit die Molkerei Küstenland den Standort Rostock dichtgemacht hat, gibt es im CARIsatt-Laden keinen Joghurt und keinen Quark mehr, denn die anderen Anbieter für Milchprodukte sind zu teuer. „Als das mit Hartz IV im letzten Jahr kam“, erzählt van Elsleben, seien noch mehr Kunden in den Güstrower Laden gekommen. Und gleichzeitig wurde es immer schwieriger, den CARIsatt-Laden vor der Pleite zu bewahren.
„Berlin hat andere Dimensionen“, sagt Betriebswirtin Streichert zuversichtlich, „hier gibt es viele Anbieter.“ Und Ideen gebe es genug – Kochkurse anzubieten zum Beispiel, „damit die Leute lernen, wieder mit einfachen und billigen Grundnahrungsmitteln umzugehen“, sagt Bleyleven-Homann. Doch zuerst werden die CARIsatt-Mitarbeiter experimentieren, was in ihrem Laden angenommen wird. Vielleicht gehören ja Schokoladenweihnachtsmänner dazu.
ANNE HERZLIEB
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