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Wir sind dann mal weg

Hape Kerkelings Bestseller „Ich bin dann mal weg“ hat die Renaissance der Pilgerreise auf dem Jakobsweg nicht ausgelöst, aber beschleunigt. Eine touristisch-literarische Sinnsuche

VON ULRIKE HERRMANN

Das war hart für die „pummelige Couch Potato“: Über 600 Kilometer ist der Fernsehkomiker Hape Kerkeling auf dem spanischen Jakobsweg gewandert, obwohl die Knie schmerzten und ihm das Laufen lästig war. Aber letztlich scheinen es gerade diese Qualen gewesen zu sein, die ihn bis nach Santiago de Compostela durchhalten ließen. „Der Weg stellt jedem nur eine Frage: Wer bist du?“

Wer also ist Hape Kerkeling? Das wollten bisher rund 1,25 Millionen Menschen wissen und haben seine Reisebeschreibung „Ich bin dann mal weg“ erstanden. Kein Buch war erfolgreicher im letzten Jahr und noch immer führt es die Bestsellerlisten an.

Wahrscheinlich wären die Leser genauso begeistert gewesen, wenn sich Kerkeling auf Sinnsuche begeben hätte, indem er Indien bereist oder einen Welpen erzieht. Die Fanpost auf seiner Homepage gibt eher selten her, dass sich die Leser fürs Pilgern oder Wandern interessieren. Der Weg ist nicht ihr Ziel. Sie wollen Hape Kerkeling nahe sein und Trost erfahren. „Hoffnung“, „Wärme“ und „Mitleiden“ sind die Worte, die sehr häufig fallen. Nichts versöhnt so sehr mit dem eigenen Leben wie die Erkenntnis, dass auch Prominente an sich selbst verzweifeln.

Kerkeling passt zu seinen Lesern; auch er hält es für einen Zufall, dass er im Sommer 2001 auf dem Jakobsweg gelandet ist. In einer Düsseldorfer Buchhandlung suchte er schlicht „nach einem passenden Reiseziel“. Ein Hörsturz und eine entfernte Gallenblase hatten ihm deutlich gemacht, dass sein Körper eine Auszeit braucht. „Das erste Buch, das mir mehr oder weniger vor die Füße fällt, trägt den Titel ‚Jakobsweg der Freude‘.“ Doch obwohl sich Kerkeling so spontan für den Fußmarsch nach Santiago entscheidet, steht er für einen neuen spirituellen Trend.

Zu dieser modernen Sinnsuche gehört, dass sich das eigene „Ich“ offenbar am besten in der Masse finden lässt. Jeder Pilger sucht nur sich selbst, aber gemeinsam überrennen sie den Jakobsweg. Letztes Jahr waren dort genau 8.097 Deutsche unterwegs, wie die offiziellen Pilger-Statistiken aus Santiago ermittelt haben. Vor zehn Jahren waren es erst 1.599. Allerdings hat die Pilgermode auch andere Nationen erfasst. So sind die Italiener nicht als ein besonders wanderfreudiges Volk bekannt, dennoch marschierten letzten Jahr exakt 10.013 von ihnen gen Santiago.

Insgesamt drängten sich 100.377 Pilger auf dem spanischen Jakobsweg. Aber strikt christlich sind nur noch die wenigsten. Mehrheitlich geben sie inzwischen auf den offiziellen Fragebögen an, aus „religiös-kulturellen“ Gründen unterwegs zu sein. Zu diesen Esoterikern im weitesten Sinne zählt auch Kerkeling, der sich selbst „als eine Art Buddhist mit christlichem Überbau bezeichnen würde“. Er sucht zwar nach Gott, aber es ist nicht mehr der Gott der Kirche.

Wie anders war es noch vor zehn Jahren: Damals dominierten die traditionellen Christen auf dem Jakobsweg; sie stellten etwa drei Viertel aller Pilger. Es war normal, Gläubigen wie der Portugiesin Carmo zu begegnen, die alle Cafés fotografierte, in denen sie eingekehrt war, „weil auf einer Pilgerreise jedes Getränk zu Nektar wird“. Eigentlich wollte die 28-jährige Englischübersetzerin zur Nonne konvertieren, bekam dann aber Angst vor dem strengen Klosterleben. Und um Gott versöhnlich zu stimmen, pilgerte sie nun nach Santiago. Für sie war es ein religiöser Akt und kein sportlicher Marsch und deswegen trug sie auch keine Wanderstiefel, sondern nur ihre normalen Halbschuhe, mit denen sie sonst die Kirche betrat. Carmo hatte Blasen an jedem Zeh.

Es passt zum Wandel des Jakobwegs, dass Kerkeling eher säkularisierte Pilger trifft: Als Allererstes begegnet er einer „jugendlichen Viermannkapelle aus Idaho“, die sich gut gelaunt auf Countrymusik spezialisiert hat. „Die schleppen doch tatsächlich ihre mordsschweren Instrumente mit; drei Gitarren und eine Was-auch-immer-Flöte.“ Das war Kerkeling dann doch „zu gesellig“, um es eine Nacht in der offiziellen Pilgerherberge auszuhalten. Er flieht in ein Nobelhotel und wird auch weiterhin vor allem in Pensionen wohnen, um nicht in 8-Betten-Zimmern direkt vor der Klotür schlafen zu müssen. „Meine Oma hat es schon immer gewusst: ‚Was nichts kostet, das ist auch nichts.‘ “

Kerkeling pilgert zwar, um sich endlich zu öffnen – tatsächlich jedoch beschreibt er eine Wanderschaft der Abgrenzung, ja der Verachtung. Wie ein Refrain zieht es sich durch sein Buch, dass „alle anderen Pilger heute wieder echte Schießbudenfiguren sind“. Stolz stellt er etwa fest, dass ihm „nach wie vor die hektische Verbissenheit der anderen Pilger fehlt“.

Sinnsuche ist ohne Aggressionen wahrscheinlich nicht zu haben. Es verunsichert, ins Ungewisse aufzubrechen. Und wenn man sich schon blöd fühlt, müssen andere eben noch blöder sein. Da freut dann jede Begegnung mit einem deutschen Besserwisser oder einem Geizpilger aus Österreich.

Die meisten Pilger starten auf der französischen Seite des Baskenlandes, im mittelalterlichen Saint-Jean-Pied-de-Port. Denn dort vereinigen sich alle nordeuropäischen Pilgerrouten zum Hauptweg nach Santiago, weil die Pyrenäen hier auf einer Höhe von nur 1.430 Metern besonders leicht zu überwinden sind. Aber was heißt schon leicht in den Pyrenäen: Steil geht es bergauf und Kerkeling notiert entnervt, dass sein „Rucksack ganz eindeutig wieder nach Hause will, so wie der zieht“.

Kurt Tucholsky wäre allerdings nie darauf verfallen, sich ausgerechnet in Saint-Jean-Pied-de-Port den Pass hoch zu quälen. Vor genau 80 Jahren erschien sein „Pyrenäenbuch“, das dem Fachwerkstädtchen ein ganzes Kapitel widmet. Doch seitenlang wird nur das baskische Ballspiel „Pelote“ geschildert. Der Jakobsweg bleibt unerwähnt, obwohl Tucholsky den Pilgerwahn im nahen Lourdes sehr liebevoll ironisiert. Eher zufällig notiert er, dass in Saint Jean „eine schnurgerade, grüne Allee auf die Berge zuführt“. Tucholsky war offenbar nicht bewusst, dass sich vor ihm eine der ältesten Pilgerrouten der Christenheit erstreckte.

Der Jakobsweg war tatsächlich lange vergessen. Seit dem 16. Jahrhundert machten es Kriege zunehmend schwierig für die Pilgerer, noch bis nach Nordspanien zu gelangen. Hinzu kam die kirchenkritische Aufklärung im 18. Jahrhundert, dann die französische Revolution. Immer weniger Gläubige pilgerten, und wer sich überhaupt noch auf eine Wallfahrt begab, der steuerte meist nur noch einen heiligen Ort in der Nähe seiner Heimat an.

Die heutigen Pilgerströme sind eigentlich eine Erfindung des Europarates, der das Projekt Jakobswege seit den 80ern betreibt. Zudem gab es EU-Zuschüsse für die Markierung der Wege, für Herbergen und die Renovierung von Dörfern. 1993 folgte dann die Unesco, die erstmals einen ganzen Weg zum Weltkulturerbe erklärte.

Dieser UN-Titel klingt verheißungsvoll, und wenn man will, lässt sich der Jakobsweg auch sehr idyllisch beschreiben. Er durchquert dunkle Buchenwälder und die Weinanbaugebiete von Rioja; er passiert Pamplona, Burgos, Leon und Astorga. Man kommt an Templerburgen vorbei und schläft in Klöstern. Doch meist ist der Jakobsweg gnadenlos hässlich: Industriegebiete, öde Äcker, Autobahnen. Jeder andere Fernwanderweg ist attraktiver.

Und nicht so überfüllt. Vor allem im Sommer ist inzwischen Wettwandern zur nächsten Herberge angesagt, denn Vor-ab-Reservierungen sind nicht möglich. Wer als Erstes eintrifft, bekommt das Bett. Fassungslos beobachtet Kerkeling die „Nachtschichtpilgerer“, die schon um zwei Uhr morgens aufbrechen, um sich für die nächste Etappe eine Lagerstatt zu sichern. Kerkeling vermutet bissig, „die haben wahrscheinlich Suchscheinwerfer dabei“.

Das Massenwandern erschöpft nicht nur die Pilger, sondern auch die vielen Freiwilligen, die sich in nationalen Jakobsgesellschaften zusammengeschlossen haben und für einige Wochen kostenlos die offiziellen Unterkünfte betreuen. Wer Pilger kennt, hört inzwischen von unerfreulichen Erfahrungen mit diesen Herbergsvätern. Hört zum Beispiel von Enrique, der eigentlich als Flugzeugingenieur in Madrid arbeitet. Der 50-Jährige hatte sich „spirituelle Begegnungen“ erhofft, doch dann war er von seinen vielen Gästen so überfordert, dass er Polen und Tschechen prinzipiell nicht mehr aufnahm: „Die wollen doch sowieso nur billig Urlaub machen.“

Diesen Kämpfen ist Kerkeling weitgehend ausgewichen, doch irgendwann wagt auch er sich wieder in eine offizielle Herberge, um Kontakte zu knüpfen: „Ich werde ja schon so lästig wie ein vereinsamter Rentner im Tante-Emma-Laden.“ Von Bett zu Bett lernt er dort Anne aus Liverpool kennen. Später stößt noch Sheelagh aus Neuseeland hinzu. Ihnen ist sein Buch gewidmet und mit ihnen verbringt er die letzten drei Wochen seiner Reise. Tag und Nacht, was ihn selbst erstaunt. Gemeinsam werden sie sogar noch zu Schichtpilgern und nehmen den Wettlauf gegen die anderen Wanderer auf.

Kerkeling hat sich selbst gesucht – und Freundschaft gefunden. Damit steht er für viele Pilger der neuen Generation: Das andere Wort für Gott lautet Begegnung. So bedingungslos und so rasant vertrauen Menschen jedoch nur, wenn allein Vertrauen weiterhilft. Der Jakobsweg ist oft extrem – hässlich, unwirtlich, überfüllt –, aber genau deswegen nur in Gemeinschaft zu überstehen. Dies macht ihn zum Weg für so viele, die keinen anderen Weg mehr gehen können.

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