: Strafe für arbeitende Frauen
Das ungerechte Ehegattensplitting soll endlich aus dem Steuerrecht gestrichen werden. Doch Ursula von der Leyens Pläne für ein „Familiensplitting“ gehen nicht weit genug
Familienministerin Ursula von der Leyen will im Laufe des Jahres einen Gesetzesvorschlag für ein Familiensplitting einbringen, der das Ehegattensplitting ablösen soll. Sie setzt damit eine gute und eine schlechte Nachricht: Endlich ist die Politik bereit, das Thema Ehegattenbesteuerung anzupacken. Doch die Alternative, die der Ministerin vorschwebt, ist keine. In zu vielen Punkten reproduziert sie die Probleme und Ungerechtigkeiten des bestehenden Systems.
Das Ehegattensplitting ist schon lange in der Kritik, wird aber von Konservativen aller Parteien heftig verteidigt. Dabei berufen sich die Anwälte des Status quo ebenso umfassend wie fälschlich auf das Bundesverfassungsgericht. Doch die Defizite des Ehegattensplittings sind auch der Verfassungsgerichtsbarkeit nie verborgen geblieben.
Das Splitting begünstigt, erstens, einseitig Ehen, in denen nur ein Partner arbeitet und dabei viel verdient. Der Steuervorteil steigt wegen der Progression mit zunehmendem Einkommen – im Jahr 2005 bei einem Spitzeneinkommen in einer Ein-Verdienst-Ehe auf bis zu 9.000 Euro, mit der Einführung der sogenannten Reichensteuer 2007 sogar noch deutlich höher. Im Zusammenspiel mit der Regelung zu geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen, der nach wie vor nur begrenzten Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten und den Belastungen in Lohnsteuerklasse V hält das Ehegattensplitting viele Frauen von einer Erwerbstätigkeit ab – sie rechnet sich nicht.
Zweitens orientiert sich die Steuersubvention am Trauschein – und nicht daran, ob es in der Ehe Kinder gibt. So entfällt das Entlastungsvolumen von jährlich knapp 21 Milliarden Euro nur zu knapp zwei Dritteln auf Ehepaare mit Kindern. Drittens gehen unverheiratete Eltern und Alleinerziehende leer aus – obwohl diese Familienformen mittlerweile ein Viertel aller Eltern-Kind-Gemeinschaften ausmachen.
Mit einem Familiensplitting wird das gegenwärtige Ehegattensplitting nicht abgeschafft, sondern erweitert. Für Kinder würden dann zusätzliche Steuerentlastungen gewährt, indem das Gesamteinkommen fiktiv nicht mehr nur durch zwei, sondern durch mehr Köpfe geteilt wird. Dabei sind unterschiedliche Divisoren für Kinder denkbar: etwa 0,5, wie in Frankreich beim ersten und zweiten Kind, oder 1. Zentrale Kritikpunkte bleiben dennoch bestehen: Auch das Familiensplitting setzt negative Erwerbsanreize für Frauen. Damit ist es mit Blick auf das verfassungsrechtliche Gebot der Gleichberechtigung bedenklich. Und es bringt, ebenso wie das Ehegattensplitting, vor allem in hohen Einkommensgruppen Steuervorteile.
Inwieweit unverheiratete Eltern oder Lebenspartnerschaften mit Kindern in ein Familiensplitting einbezogen werden sollen, bleibt in der Diskussion bislang völlig außen vor. Doch auch sehr viele verheiratete Eltern, die nicht zu den Spitzenverdienern gehören, hätten wenig davon. Das zeigt eine Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung: Durch ein Familiensplitting nach dem in Frankreich praktizierten Modell kommt es in Ehen mit einem Kind (in Deutschland die Regel) erst oberhalb eines ehelichen Einkommens von 69.000 Euro zu höheren Entlastungen, als sie die gegenwärtigen Kinderfreibeträge gewähren. Bis zu einem Einkommen von 63.000 Euro ergeben sich im Vergleich mit Kindergeld und Kinderfreibetrag keine Veränderungen.
Bei einem Vollsplitting (Splittingfaktor pro Kind: 1; keine Deckelung) liegt die Entlastung bereits ab einem Einkommen von 29.000 Euro über dem derzeitigen Familienlastenausgleich und steigt mit zunehmendem Einkommen auf bis zu 4.400 Euro. Es ergäbe sich also eine deutlich höhere Entlastung als bisher – allerdings nur für hohe Einkommensgruppen und weit unterhalb der maximalen Entlastung, die Ehepaaren über das Ehegattensplitting zufließt. Vor allem aber wären die zusätzlichen Kosten so hoch, dass man sich nicht vorstellen kann, wie Frau von der Leyen die Haushaltspolitiker der Koalition überzeugen will: 13 Milliarden Euro.
Jenseits des Kostenarguments aber gilt grundsätzlich: Soweit der Staat Familien finanziell fördert, sollte das allen Familien in gleicher Weise zugute kommen beziehungsweise bedarfsabhängig sein. Mit dem Elterngeld und der Verkürzung der Bezugsdauer des Kindergelds geht der Trend derzeit aber in eine andere Richtung – hin zu einer finanziellen Unterstützung besser verdienender Eltern. Das sollte durch eine steuerliche Förderung nicht auch noch verstärkt werden.
Außerdem ist eine Unterstützung für Kinder und Kinderbetreuung im Steuerrecht nicht zielgenau: Steuerentlastungen gibt es nur für Personen mit Erwerbseinkommen. Das heißt: In Ein-Verdienst-Ehen würde auch beim Familiensplitting die finanzielle Entlastung für Kinder nicht der betreuenden Person zufließen, sondern in der Regel dem erwerbstätigen Ehemann. Die Frage, an wen ausgezahlt wird, hat aber nachweislich Auswirkungen darauf, wem das Geld letztendlich zugute kommt.
All das macht deutlich: Das Ehegattensplitting durch ein Familiensplitting zu ersetzen, führt nicht wirklich weiter. Es gibt aber ein Steuermodell, das diese Probleme vermeidet und durchaus den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts entspricht, die so gerne als Totschlagsargument gegen jede Änderung herangezogen werden: die Individualbesteuerung mit übertragbarem zweitem Grundfreibetrag.
Die Individualbesteuerung garantiert, dass jede(r) Ehepartner(in) unabhängig von der Erwerbstätigkeit und damit dem Grenzsteuersatz des Partners bzw. der Partnerin besteuert wird. Studien zeigen, dass mit Einführung einer Individualbesteuerung mehr Frauen eine Erwerbstätigkeit aufnehmen. Der übertragbare zweite Grundfreibetrag berücksichtigt die sozialrechtlich bedingten Unterhaltsverpflichtungen von Eheleuten. Das Modell genügt somit den Anforderungen der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts; für langjährige Ehen könnte es Übergangsregelungen geben.
Sozial problematische Verteilungswirkungen als Folge des progressiven Steuertarifs werden durch die Individualbesteuerung auf ein Minimum reduziert. Sie verschwinden allerdings nicht vollständig und sollten außerhalb des Steuersystems ausgeglichen werden. Nachteile für Familien mit niedrigen und mittleren Einkommen ließen sich durch eine Kindergelderhöhung kompensieren, die allen Familien, insbesondere aber der betreuenden Person, in gleicher Weise zukommt und die Schere zwischen Kindergeld und steuerlicher Entlastung durch Kinderfreibeträge schließt.
Geld für diesen Ausgleich ist genug da. Denn bei Einführung einer Individualbesteuerung mit übertragbarem Grundfreibetrag ist von Steuermehreinnahmen in Höhe von etwa 7 bis 8 Milliarden Euro auszugehen. Damit würden auch noch Mittel frei für ein anderes – und wirklich sinnvolles – Projekt der Familienministerin: den schnellen Ausbau der Betreuungseinrichtungen für Kleinkinder. HEIDE PFARR
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