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Nervöse ÜberreaktionenKOMMENTAR VON CHRISTIAN RATH

Am Ende lief der Polizeieinsatz glimpflicher ab als zunächst befürchtet. Es wurde nicht die Post ganzer Hamburger Stadtviertel durchleuchtet oder geöffnet. Vielmehr wurden die Briefe nur „äußerlich“ angesehen und daraufhin überprüft, ob es sich um ein Bekennerschreiben handeln könnte – wie auch immer unsere Voodoo-Polizisten das machen. Konkret geöffnet wurde genau ein Brief, so die Versicherung der Bundesanwaltschaft.

Großer Aufwand, kleine Wirkung, kann man da nur sagen. Immerhin nisteten sich zahlreiche Polizisten über Tage hinweg im Hamburger Briefzentrum 20 ein. Es ist schon erstaunlich, wie nervös die Polizei derzeit agiert. Man kann nur hoffen, dass hier nicht Angst vor der Bild-Zeitung der Antrieb war (nachdem jüngst das Auto von Bild-Chefredakteur Kai Diekmann angezündet wurde).

Die allgemeine Nervosität ist aber auch schuld an allen vorschnellen Stasi-Vergleichen. Während die unkontrollierten DDR-Schnüffler die Post zwischen Ost und West flächendeckend öffneten, hat die Polizei in Hamburg nach gezielten Schreiben gesucht und von ihren Befugnissen im Ergebnis eher maßvoll Gebrauch gemacht. Selbst die Abnahme von fünf Geruchsproben bei konkret Beschuldigten ist in keiner Weise mit der präventiven Geruchssammlung der Stasi zu vergleichen. In Hamburg sollte abgeklärt werden, ob bestimmte Tatortspuren einzelnen Verdächtigen zugerechnet werden können. Das ist normale Polizeiarbeit – wenn auch mit einem ungewöhnlichen Mittel.

Dass die Polizei versucht, die Serie von Brandanschlägen in Hamburg aufzuklären und zu stoppen, ist legitim. Brandsätze, vor allem wenn sie individuelle Personen in ihrer Privatsphäre treffen, können kein Mittel des politischen Protests sein. Fraglich ist nur, ob hier schon der große Hammer des Terror-Vorwurfs angebracht ist.

Mit den Protesten in Heiligendamm hat all dies so gut wie nichts zu tun. Den Zusammenhang haben erst Innenminister Schäuble und die Bundesanwaltschaft hergestellt. Insofern brauchen sie sich nicht zu wundern, dass sich auch ganz normale Gipfel-Demonstranten von den Polizeimaßnahmen in Hamburg betroffen fühlen.

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