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Herr Marseille und die Kroketten

Der Bremer Klinikskandal zieht seine Kreise bis ins Hamburger Klinik-Imperium von Ulrich Marseille. Statt über seine Beziehung zum dubiosen Bremer Klinik-Chef plaudert der im Untersuchungsausschuss aber lieber über die Dummheit der Bremer Politik

AUS BREMEN ARMIN SIMON

Er fühlt sich beschuldigt, irgendwie angeklagt, und das ganz zu Unrecht. „Sie haben mich hier herbestellt zu einer Sache, die ich nicht zu verantworten habe“, pflaumt er. Nein, damit will Ulrich Marseille nichts zu tun haben: mit dem Bremer Klinikskandal, der die kommunalen Krankenhäuser um Millionen brachte. Auch nicht mit diesem vorbestraften Klinik-Geschäftsführer, den die Bremer da eingestellt hatten, ohne eine Referenz über ihn einzuholen, und dem sie überdies die Alleinvertretungsvollmacht übertragen haben, „für einen 200-Millionen-Etat“. „Jeder in der Branche weiß, dass man sowas nicht tut“, hält der Klinik-Imperator aus Hamburg den Bremer Abgeordneten vor, die ihn als Zeugen vor ihren Untersuchungsausschuss geladen haben – „weil Sie selber versagt haben“, wie er stetig betont. Ulrich Marseille fühlt sich als Ankläger am wohlsten.

Und er ist auf Distinktion bedacht. Er, der Aufsichtsratsvorsitzende: von der Marseille-Kliniken AG, der Karlsruher Sanatorium AG, der SCS-Standard Computer Systeme AG. Der Mann, bei dem Gesundheitsminister aus aller Welt ein- und ausgehen und der von Hans-Dietrich Genscher zum 80. Geburtstag eingeladen wird. An die 120 Tochtergesellschaften umfasst Marseilles Imperium, ein erfolgreicher Unternehmer sei er, bestätigt er.

Mit dem „Tagesgeschäft“ seiner Firmen aber will er nichts zu tun haben. Erst recht nicht mit dem „Spielgeld“, das für den inzwischen wegen Verdunkelungsgefahr in Untersuchungshaft sitzenden Bremer Ex-Klinikchef Andreas Lindner bestimmt gewesen sein soll. Mit der vertrauten Anrede „Lieber Andreas“, beginnt etwa ein Schreiben, das die Staatsanwaltschaft Anfang Januar bei der Lindner Management GmbH in Fulda beschlagnahmt hat und dem vier undatierte Rechnungen beigelegt sind. 58.783 Euro sollen sie einbringen, für Dinge wie „Konzepterstellung“. Bestimmt sind die Rechnungen für „die Kartoffelkrokette“; gemeint ist offenbar ein Angestellter im Marseille-Imperium. „Aufblasen wäre möglich“, ist handschriftlich neben den Zahlen vermerkt – „Liebe Grüße, Leo“. Hans-Leo Schumacher saß in der Geschäftsführung der Siekertal-Klinik Betriebs GmbH, die wiederum gehörte Lindner.

Immer wieder Lindner. Ob er den kenne, will die Ausschussvorsitzende Karoline Linnert (Grüne) von Marseille wissen. „Deutlich länger, als sie ihn in Bremen eingestellt hatten“, gibt Marseille zu Protokoll. „Geschäftliche Kontakte“ mit dem Geschäftsmann aber, dem die Bremer Staatsanwaltschaft Untreue in mindestens 18 Fällen vorwirft, habe er „gar keine“.

Das darf getrost als eine neuere Entwicklung bezeichnet werden. Lindner habe ab und an Konzepte für seine Firmen erstellt, räumt Marseille ein. Lindners Siekertal-Klinik hatte ihr Gebäude in Bad Oeynhausen von Marseilles Karlsruher-Sanatorium-AG gemietet. Zum Marseille-Imperium zählende Dienstleister kochten und putzten dort. Lindner schickte Berater, die er in seiner Funktion als Geschäftsführer im Klinikum Bremen-Ost engagiert hatte, zu Marseille-Kliniken nach Hamburg. Und als Linder in Bremen Knall auf Fall gefeuert wurde, fand sich im Marseille-Konzern ein neuer Job für ihn: Er wurde Geschäftsführer von zehn Reha-Kliniken.

Ob Marseille zu jenen vier dubiosen Rechnungen „an die Kartoffelkrokette“ und dem im Begleitschreiben erwähnten „Spielgeld“ etwas sagen könne, will Linnert wissen. Marseille kann. „Spielgeld kenne ich aus der Spielbank“, sagt er etwa. Oder: „Wir verfügen nicht über Spielgeld.“ Und: „Solche Rechnungen, die sich auf Kartoffelkroketten beziehen, werden in unserem Unternehmen nicht bezahlt.“ Im Übrigen, fügt er noch hinzu, sei besagte Beilage „heiß und fettig“ – und das „mag ich selber überhaupt nicht“.

Umso mehr interessiert ist Marseille an einer Kopie der beschlagnahmten Unterlagen. Wie solle er sonst herausfinden, ob die Rechnungen etwa bezahlt wurden, argumentiert er. „Machen Sie sich Notizen“, rät Linnert. „Ich bin Aufsichtsratsvorsitzender und nicht Sekretär“, blafft Marseille zurück.

Forderungen in Höhe von 3,2 Millionen Euro hat sich die Marseille-Kliniken AG von Lindner verpfänden lassen. Dass sie je Geld dafür sieht, glaubt Marseille selbst nicht mehr. Aber er gewinnt wieder Oberwasser. Schuld an der Misere, auch an seinem „großen Verlust“, sei der Bremer Senat, erklärt er. Der habe Lindner schließlich eingestellt, ohne dessen Zeugnisse und Vorstrafenregister zu prüfen. Er habe dies, nach Linders Rausschmiss, als erstklassige Referenz gewertet. „Wir sind davon ausgegangen, dass er über jeden Zweifel erhaben ist.“

„Schadensersatz“ müsse er deswegen eigentlich fordern, von Bremen, sagt Marseille, einst größter Geldgeber der Schill-Partei. Und dass es „schlimm um den Staat bestellt“ sei, „wenn man einem Uniformierten nicht mehr glauben kann“.

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