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„Wir sind nur die Ausputzer“

Im jüngsten Unicef-Bericht belegt Bremen im Bereich Kindergesundheit bundesweit den letzten Platz. Dem Gesundheitsamt ist das Problem bewusst – doch die Verantwortung sieht man an anderer Stelle. Ein Gespräch mit Amtsleiter Heinz-Jochen Zenker

INTERVIEW FRIEDERIKE GRÄFF

taz: Herr Zenker, laut der neuen Unicef-Studie ist die gesundheitliche Situation der Kinder in Bremen bundesweit die schlechteste. Woran liegt das?

Heinz-Jochen Zenker: Ich würde die Daten mit Vorsicht genießen. Nehmen wir die Säuglingssterblichkeit: Wenn man das auf das Bundesland Bremen herunterbricht und sich da ein bestimmtes Jahr anguckt, begeht man möglicherweise den Fehler, mit zu kleinen Zahlen zu arbeiten. Wenn dann drei Säuglinge mehr sterben, reißt das sofort die Statistik herum. Viel entscheidender finde ich, dass Bremen nach wie vor Schlusslicht im Bereich relativer Kinderarmut ist. Man muss sich vor Augen halten, dass Gesundheit wenig mit Gesundheitswesen und viel mit Armut und Bildung zu tun hat.

Länder wie Berlin, in denen die materielle Lage der Kinder nicht deutlich besser ist als die der Bremer, haben dennoch deutlich bessere Werte im Gesundheitsbereich.

Ist das wirklich so? Das verstehe ich nicht. Spontan kann ich Ihnen das nicht erklären. Ich wüsste gern, welche Parameter man als Grundlage für die gesundheitliche Situation der Kinder genommen hat.

Unter anderem Säuglingssterblichkeit, Geburtsgewicht, Todesfälle bis zum 20. Lebensjahr und die Zahl der Teenagerschwangerschaften.

Es stimmt, natürlich liegt es nicht immer nur am Geld, es liegt auch an Strukturen. Sie können mit der Summe x in unterschiedlichen Bundesländern ganz unterschiedliche Strukturen herstellen. Aber zu diesen riesigen Unterschieden kann ich Ihnen nichts sagen. Die Stadtstaaten sind generell schlechter dran als die Bundesländer, was daran liegt, dass tendenziell ausgegrenzte Bevölkerungsschichten eher in die Städte ziehen.

Der Stadtstaat Hamburg liegt im Bereich Gesundheit bundesweit auf Platz zwei.

Das ist extrem. Aber ich frage mich, wie man das methodisch zusammenbringt: Geburtsgewicht und Unfallgefahr bis zum 20. Lebensjahr? Daraus kann man doch keine Quote machen.

Ich kann hier nur den Unicef-Bericht referieren. Noch einmal zurück zu Ihrem Haus: 2006 hat ein Mitarbeiter in der Studie „Die Auswirkungen sozialer Polarisierung“ eine seit 2000 merklich angestiegene Säuglingssterblichkeit in Großsiedlungen festgestellt und gefolgert: „Die neue Entwicklung gibt Anlass zur Sorge.“ Was ist seitdem geschehen?

Wir versuchen, uns mit unseren immer knapperen Ressourcen zunehmend auf diese Siedlungen zu konzentrieren. Ein gutes Beispiel ist die Betreuung der Kindergärten: Deren Intensität ist nach der Sozialtopographie Bremens ausgerichtet. Und unsere Familienhebammen machen nur noch so etwas. Aber eigentlich ist es ein Aufruf an die Stadtplaner, diesem Prozess der Segregation entgegenzuwirken.

Wer entscheidet, welche Kinder angesehen werden?

Das machen wir in enger Kooperation mit der Leitung der Kindertageseinrichtungen. Vor dem Hintergrund des tragischen Falls von Kevin gibt es in Bremen ja eine gewisse Nachdenklichkeit, dass zu stark an Personal gekürzt wurde. Das wird immer verneint, aber wir haben eine fast 20-jährige Einspargeschichte hinter uns. Das Gesundheitsamt hatte einmal mehr als 300 Leute, jetzt sind es etwa 150.

Was es ebenfalls seit über 20 Jahren gibt, ist die quartiersorientierte Sozialpolitik. Warum ist da so wenig Erfolg spürbar?

Weil diese Polarisierung zunimmt und die Interventionsmöglichkeiten nach wie vor begrenzt sind. Wir können ja nicht das Experiment machen und sagen: Unsere wenigen Hilfsmöglichkeiten schalten wir aus und gucken, was dann passiert. Mit unseren Ressourcen werden wir es garantiert nicht schaffen, diese Unterschiede aufzuheben.

Ihre Präventionsangebote stoßen gerade in den Großsiedlungen auf wenig Echo. Braucht man mehr Druck, so wie es bei den Vorsorgeuntersuchungen diskutiert wird?

Nein. Gerade in der Prävention erreichen Sie mit Druck nichts. Vor 25 Jahren hatten wir 25 Familienhebammen, die jede Mutter mit ihrem Kind besuchten und klärten, wo die Risikokinder sind, die sie dann ein Jahr oder länger betreuten. Jetzt haben wir noch 5,5 solcher Stellen. Aber nun ist so gut wie entschieden, dass dieser Bereich personell wieder auf den alten Stand aufgestockt wird. Die Politik hat schon erkannt, dass man da gegensteuern muss. Aber man müsste viel früher anfangen, der arbeitslosen und desorientierten Mutter zu helfen, Struktur in ihr Leben zu bringen. Im Grunde sind wir die Ausputzer am Ende der Kette.

Stehlen Sie sich damit nicht aus der Verantwortung?

Nein. Wir würden gern zwei bis dreimal so viele Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen haben, um es viel intensiver und qualifizierter zu machen. Wenn ich sage „Ausputzer“, dann meine ich, dass die Ursachen dieser Entwicklung nicht im Gesundheitsbereich liegen, sondern in der Stadtplanung, in der Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik. Deshalb wollen wir im März auch eine Tagung machen mit der weitergeführten Studie zur sozialen Polarisierung speziell im Kinderbereich. Da wollen wir Leute aus den anderen Ressorts einladen und sagen: „Ihr seid eigentlich gefragt.“

Da werden Ihnen die Experten aus dem Bildungsbereich entgegenhalten, dass die mangelernährten Kinder von Teenager-Müttern nicht besonders aufnahmefähig sind.

Völlig richtig. Aber da liegen die Ursachen ja fünf oder zehn Jahre zurück in Strukturmängeln.

Die Zusammenarbeit mit dem Amt für Soziale Dienste, das Ihren Empfehlungen zum Förderbedarf nicht folgt, ist notorisch schlecht. Wie viel ressortübergreifende Kooperationsbereitschaft sehen Sie?

Ich sehe sie zurzeit nicht. Aber sie ist extrem notwendig.

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