MEINUNGSFREIHEIT GILT AUCH FÜR FRÜHERE TERRORISTEN: Durchsichtige Empörung
Nicht die Grußbotschaft, die Christian Klar im Januar zu einer Tagung der Rosa-Luxemburg-Gesellschaft schickte, ist unerträglich, sondern die jetzigen Reaktionen rechtskonservativer Politiker und Medien darauf. Was Klar in seinem Gruß zu sagen hatte, war krude und schematisch, argumentierte an der gesellschaftlichen Wirklichkeit vorbei. Aber seit wann spricht fortdauernde terroristische Gesinnung aus einer Analyse wie der von Klar, die – bei allem Unsinn über die „internationale Besitzerklasse“ – von einem globalen Ausbeutungszusammenhang ausgeht und für eine alternative Gesellschaft eintritt? Dann wäre auch Attac mit ihrer Programmatik ein idealer Nährboden für Terroristen und entsprechend zu behandeln.
Für Günther Beckstein, den zukünftigen bayerischen Ministerpräsidenten, machen „der aggressive Ton und die ideologische Verblendung“ deutlich, dass es sich bei Klar „um einen unverbesserlichen terroristischen Verbrecher“ handelt. Politische Kritik seitens ehemaliger RAF-Terroristen muss sich nach Beckstein also höflicher Zurückhaltung ebenso befleißigen, wie sie radikale Aussagen über den Zustand unserer Gesellschaft zu vermeiden hat. Wer beides unterlässt, beweist damit seine fortdauernde terroristische Gesinnung. Und für Guido Westerwelle, den FDP-Vorsitzenden, ist klar, „wer Gnade vor Recht erbittet, aber unsere Grundordnung nicht anerkennt, hat keine Gnade verdient“. Worin besteht für Westerwelle „unsere Grundordnung“? Bei Licht besehen nur im Bekenntnis der Exterroristen zum ökonomischen, politischen und rechtlichen Status quo der Bundesrepublik. Ein solches vorrangiges Bekenntnis einzufordern, heißt, konformistische Unterwerfungsgesten zur Voraussetzung von Gnadenerweisen zu machen.
Dabei ist die ganze Aufregung der Rechten zur Grußbotschaft Klars ein allzu künstliches und daher durchsichtiges Manöver. Angst soll geschürt und der starke, unnachgiebig gegenüber früheren wie künftigen Terroristen auftretende Staat beschworen werden. Was Klar in seinem Grußwort gesagt hat, dient dabei nur als Material für die publizistische Kampagne der Rechtskonservativen.
CHRISTIAN SEMLER
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