: „Wir wollen bei Airbus bleiben“
AUS MÉAULTE DOROTHEA HAHN
Hinten rührt sich gar nichts. Die weiß und blau lackierten Fabrikhallen, die wie gigantische Schuhkartons zwischen den Äckern in der sanft gewellten Landschaft der Picardie stehen, wirken wie ausgestorben. Kein Laster fährt von der Rampe, wo sonst Cockpits für Airbusse verladen werden. Gelegentlich schlendern Männer in blauen Anzügen langsam über das Gelände. Sie haben die Hände in den Hosentaschen versenkt. Sie streiken.
Vorne, am anderen Ende der von weißem Gitter umgebenen großen Anlage, in der die beiden vorderen Teilstücke 11 und 12 für die größten zivilen Flugzeuge der Welt entstehen, klopfen sich Männer in blauen Anzügen auf Schultern und Rücken. Manchmal stößt einer einen tiefen Seufzer aus. Sagt: „Uff“. Und: „Es hätte schlimmer kommen können.“ Sowohl vorne, am Werkseingang, als auch hinten, an der Rampe, haben sie dunkle Schatten unter den Augen. Das sind Spuren der vorausgegangenen nächtlichen Besetzungen des Geländes. Mittendrin sind Gewerkschafter unterwegs. Die Force Ouvriére (FO) will den Streik abbrechen. Vorerst zumindest. „Joël, mach keinen Quatsch“, ruft der FO-Delegierte Régis Delacroix einem Kollegen zu. Der grinst provozierend zurück. Die Gewerkschafter von CGT und CFDT wollen den Streik fortsetzen, „weil das unsere einzige Druckmöglichkeit ist“, sagt der Kesselschmied Dominique Legrand. Am Revers trägt der 47-Jährige einen kleinen Sticker, der ihn als „MOF“ kennzeichnet – als „bester Arbeiter Frankreichs“, von Staatspräsident Chirac ausgezeichnet.
Am Airbus-Standort Méaulte in der zwischen Belgien und Paris gelegenen Picardie gibt es 1.300 Beschäftigte, fünf verschiedene Gewerkschaften und zwei gewerkschaftliche Fronten, die sich an diesem eiskalten ersten Morgen im März frontal gegenüberstehen. Am Vorabend ist es bei einer Versammlung in der Fabrik zu Pfiffen und bösen Worten gekommen. Jetzt sagt Metallarbeiter Jacques Guernier, der zu der Gewerkschaft FO gehört, mit einem Anflug von Neid: „Wie gut, dass es in Deutschland nur eine Gewerkschaft gibt.“ Auf der anderen Seite erklären Männer, die in derselben Werkstatt arbeiten wie er, aber in der CGT organisiert sind, exakt dasselbe.
Die meisten Arbeiter der Airbus-Fabrik in Méaulte stehen an diesem Morgen wieder an der Werkbank. Sie haben den eineinhalbtägigen Streik, aus Sorge über den drohenden Verkauf ihres Werkes, beendet, nachdem der Präsident des Konzerns die Details seines Sanierungsplans „Power 8“ verkündet hat. Der Auftritt von Louis Gallois in Toulouse, am anderen Ende Frankreichs, ist in ihren Werkshallen live über große Bildschirme gelaufen. Wirklich zufrieden gestellt hat er niemanden. Die Arbeiter von Méaulte sind erleichtert, weil Gallois ihr Werk, im Gegensatz zu anderen Airbus-Standorten in Frankreich und Deutschland, nicht verkaufen will. Aber sie bleiben verunsichert, weil er einen „Partner“ sucht, der 150 Millionen Euro in die Produktion mit Komposit-Stoffen in Méaulte stecken soll – auch wenn er das Stichwort „Investor“ vermeidet.
„Wir wollen bei Airbus bleiben“, sagt der Techniker Janick Sorel. Bei Airbus in Frankreich fangen Arbeiter ihre Karriere mit knapp 1.200 Euro an und hören mit mehr als 2.000 Euro auf. Sie bekommen einen 13. Monatslohn und Zuschläge für Nacht- und Wochenendarbeit. Was ihnen droht, wenn ihre Fabrik teilweise oder ganz verkauft wird, können sie täglich beobachten. Denn auf demselben Betriebsgelände wie sie arbeiten auch die 1.300 Beschäftigten eines Subunternehmens. Sie haben dieselben Ausbildungen und Qualifikationen und Arbeitsabläufe, die direkt mit Airbus verzahnt sind. Doch ihre Löhne und Sozialleistungen sind niedriger. Viele sind Leiharbeiter. Und obwohl stärker von der Krise bei Airbus betroffen, hat sich in dem Subunternehmen in den vergangenen Tagen niemand getraut, zu streiken.
Das Flugzeugwerk ist „die Fabrik“ in der strukturschwachen Region. Die größte und eine der letzten. Früher gab es auch Werkzeugmaschinenbau und Fahrradherstellung. Daneben chemische Industrie und Zuckerrübenverarbeitung. Doch die meisten Industrien haben zugemacht und sind ins Ausland abgewandert. Was bleibt, ist der Tourismus von älteren Engländern, Australiern und US-Amerikanern, die die Gräberanlagen aus dem Ersten Weltkrieg besuchen. Und die katholischen Pilger, die alljährlich im September in das Nachbarstädtchen Albert kommen, um zu einer vergoldeten Jungfrau, die auf dem Dach einer backsteinroten Basilika steht, zu beten. In dem Pilgerstädtchen Albert liegt die Arbeitslosigkeit schon jetzt bei 18 Prozent – mehr als das Doppelte des nationalen Durchschnitts. Und das Dörfchen Méaulte hängt komplett „von der Fabrik“ ab, die 1925 für die „Potez 25“-Flugzeuge gegründet wurde. Seither hat sie oft den Namen und den Besitzer geändert. Und war zwischendurch verstaatlicht. Immer hat sie in der Luft- und manchmal auch der Raumfahrt gearbeitet.
Schon der Vater von Jacques Guernier, 48, hat „in der Fabrik“ gearbeitet. Heute ist dort auch sein Sohn tätig. Bei den Guernier ist Airbus eine Familienangelegenheit. Zumindest bei den Männern. Frauen kommen erst seit kurzem zum Arbeiten in die Fabrik. Als am vergangenen Dienstag das Handy von Guernier klingelte, weil zehn Kollegen in seiner Werkstatt die Arbeit niedergelegt hatten, ist er trotz seines freien Tages sofort hingefahren, um mitzumachen. „Wir waren schnell 150 Leute, da konnte kein Vorgesetzter mehr etwas tun“, sagt der Metallarbeiter. Auslöser des Streiks, zu dem keine Gewerkschaft aufgerufen hatte, war das Gerücht, die Fabrik würde verkauft. Wenige Stunden später war das Werk komplett blockiert.
„Die Fabrik läuft bestens“ und „Wir haben Aufträge für mehr als fünf Jahre“. Solche Sätze hören der Schlosser Guilleaume Bellangier, 24, und sein Kollege Vincent Jasiack, 27, ständig. Auch deshalb mögen die beiden jungen Männer nicht einsehen, dass ihr Konzern nicht genügend Geld hat, um selbst in die notwendige Modernisierung des Standortes zu investieren. Beide haben ihre Ausbildung in der Schule auf dem Werksgelände begonnen. Und sind von Anfang an mit ganzer Seele „Airbus“. Aber jetzt sagt Bellangier: „Ich habe die Schnauze voll.“
„Seit Airbus privatisiert wurde, gilt die erste Regel: Gewinn machen. Früher hieß sie: Flugzeuge bauen“, erinnert sich Jean-Louis Duvallet. Der 41-jährige Metallarbeiter, auch ein „Airbus“ von Anfang an, hat das Gefühl, dass es bei „Power 8“ vor allem um „sehr viel Kohle und um Politik geht“. Wie seine Gewerkschaft CGT lehnt er den Plan ganz prinzipiell ab.
„Wir haben eine erste Schlacht gewonnen“, sagt der Funktionär der FO vor hunderten Männern und einer Handvoll Frauen in der Kantine von Airbus, „aber wir haben noch nicht die nötigen Garantien für unseren Fortbestand.“ Claude Cliquet weiß, dass er eine Gratwanderung macht, wenn er an seine Kollegen appelliert, den Streik zu „unterbrechen, aber nicht abzubrechen“. Und sagt: „Spart eure Kräfte.“ In Frankreich gibt es für Streiktage weder Lohn noch Ausfallzahlungen. Und die Beschäftigten sollten sich, so Cliquet, für die „kommenden Auseinandersetzungen“ bereithalten. In Frankreich, wo schon am nächsten Dienstag ein nationaler Aktionstag geplant ist. Und in Europa, wo es „wegen der zweiwöchigen Voranmeldungspflicht für Streiks“ ein bisschen länger dauern wird. 10.000 gestrichene Arbeitsplätze im Konzern – davon mit 4.700 die meisten in Frankreich – wiegen schwer. Viele Kollegen in der Kantine kochen innerlich vor Wut. Der Gewerkschafter sagt, dass es „keine menschlichen Härten“ – also keine direkten Entlassungen – geben werde. Er schimpft über den Pariser Regierungschef, der keine Industriepolitik mache. Und über das US-amerikanische Unternehmen Boeing, das er „unseren Feind“ nennt. Über die Deutschen im Konzern sagt er: „Wir haben den Deutschen in den 70er-Jahren erlaubt, wieder Flugzeuge zu bauen. Jetzt wollen sie im Unternehmen mehr zu sagen haben als wir. Das ist nicht akzeptabel.“ Der Applaus am Ende der einstündigen Rede des FO-Funktionärs tröpfelt nur.
Seit Beginn der Frühschicht steht an diesem ersten Märztag eine lächelnde alte Dame mit rosa Schal vor dem Werkstor. Paulette Bacquet, 73, einst Briefträgerin bei der Post. Sie ist 60 Kilometer weit angereist, um den Airbus ihre Unterstützung zu zeigen. Einer ihrer Enkel arbeitet in dem Werk. Aber das ist es nicht allein. „Wenn der Standort Méaulte schließt“, sagt sie, „verelendet die ganze Region.“
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