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Erich währt am längsten

MUSIK Die Band Der Singende Tresen hat zum 80. Todesjahr des Schriftstellers Erich Mühsam dessen Texte vertont. Ein Gespräch mit Manja Präkels und Markus Liske über Poesie, Moden und die lebenslange Suche

Hommage an einen leidenschaftlichen Mahner

Manja Präkels und Markus Liske sind Teil des Sextetts Der Singende Tresen und HerausgeberInnen des Mühsam-Lesebuchs „Das seid ihr Hunde wert“, das im Verbrecher Verlag erschienen ist. Mit der Platte „Mühsamblues“ widmen sie dem unangepassten und lebensbejahenden Dichter, der vor 80 Jahren im KZ Oranienburg ermordet wurde, nun ein ganzes Album. Die Liedersammlung zwischen Punk und Chanson enthält dreizehn neu vertonte Texte, darunter einen bislang unveröffentlichten aus seinem Nachlass.

■ Konzerte: 24. 8. Havelblues: lit:potsdam, 17.45 Uhr / 6. 9. Setalight-Festival: Zukunft, ab 19 Uhr / 9. 9. Lesung & Konzert: Freilichtbühne Weißensee, 18 Uhr, Info: www.dersingendetresen.de

VON ANDREAS HARTMANN

taz: Manja Präkels, Markus Liske, welches sind die berühmtesten Sätze Erich Mühsams, die auch heute noch als Kalendersprüche funktionieren oder sich für Tätowierungen anbieten würden?

Markus Liske: „Menschen lasst die Toten ruhn und erfüllt ihr Hoffen!“

Manja Präkels: „Sich fügen heißt lügen“. Das ist der Spruch, mit dem Mühsam bei den Antifas so gut ankommt, und so nannte auch die Punkband Slime vor zwei Jahren ihr Comebackalbum mit Vertonungen von Mühsam-Texten.

Nicht nur Slime haben den Anarchisten Mühsam für ihre Musik entdeckt. Im Frühjahr erschien von euch ein Lesebuch mit Texten von Erich Mühsam. Nun habt ihr seine Texte auch noch auf einer eigenen CD vertont. Ist Mühsam Poesie?

Manja Präkels: Mühsams Texte sind einfach süffig, aus dem prallen Leben gegriffen und zum Teil immer noch hochaktuell.

Wie etwa der „Gesang der Vegetarier“, der auf eurer neuen CD zu hören ist. In diesem amüsiert sich Mühsam über die Selbstgefälligkeit von Leuten, die auf Fleisch verzichten. Dieses Thema beschäftigt heute auch noch manche WG.

Manja Präkels: Genau. Mühsam machte sich lustig über das Lebensverneinende, über das Freudlose dieses Vegetariertums und über die Ausschließlichkeit, in dem dieser Verzicht propagiert wurde. Man trägt dann heute so einen Mühsam-Text vor und hat das Gefühl, der sagt den Leuten noch etwas. Er wirkt nicht wie aus dem Archiv gegriffen, sondern er geht die Leute jetzt noch etwas an.

Was genau ist es, das uns heute immer noch an den Schriften eines bärtigen Bohemiens aus der Zeit des Kaiserreichs interessieren sollte?

Markus Liske: Man muss sich das so vorstellen, dass in der Schlussphase des Kaiserreichs, kurz vor dem Ersten Weltkrieg, die Welt eigentlich der unseren von heute sehr ähnlich war. Auch bezüglich der Moden und Marotten, die es gab. Die einen machten freie Liebe, die anderen suchten ihr Heil im Vegetarismus. Die ganzen Debatten von heute waren eigentlich alle schon da. Es gab sogar bereits Veganer, nur nannten die sich damals noch Frutarier. Mühsam selbst, das kann man dazu vielleicht noch erwähnen, hat sehr viel geraucht, sehr gerne getrunken und gerne Fleisch gegessen.

Künstler, Intellektuelle und Linke verschiedenster Strömungen beziehen sich heute auf Mühsam. Wieso fällt der Zugang zu dem alten Anarchisten so leicht?

Markus Liske: Das Besondere an Mühsam fällt ja schon auf, wenn man ihn etwa mit seinem Freund Gustav Landauer vergleicht, mit dem zusammen er die Münchner Räterepublik gemacht hatte. Landauer war ein trockener Intellektueller, Mühsam dagegen war nie ein großer Theoretiker. Er war ein sehr lebensbejahender, amüsanter Dichter und er war ein Propagandist des Anarchismus. Und das war er so glühend, dass man ihm bis heute seine Ehrlichkeit anmerkt. Oder auch im Vergleich zu Bakunin, der viel angreifbarer war als Mühsam. Da gibt es etwa die Debatte über den Antisemitismus Bakunins. Da ist viel mehr, worüber man bei ihm nächtelang diskutieren oder streiten kann. Das ist alles bei Mühsam nicht der Fall. Mühsam hat sich zwar auch mehrmals geirrt in seinen Texten. Er hat diese Irrtümer später aber eigentlich immer eingestanden.

Mühsam war sein Leben lang ein Suchender. Das ist es, was ihn heute auch bei jungen Linken so populär macht, oder?

„Mühsams Texte sind einfach süffig, aus dem prallen Leben gegriffen“

Manja Präkels: Und zwar populär bei jungen Leuten, die unzufrieden sind mit der traditionellen Linken, sich aber trotzdem engagieren wollen. Mühsam hilft auch, die historischen Zusammenhänge zu verstehen.

Markus Liske: Ich glaube, eine spezielle Entwicklung in der deutschen Politik, aber auch der deutschen Linken begünstigt das neu erwachte Interesse an Mühsam. Es gibt einfach sehr viele junge Menschen, die sich als links verstehen, die sich aber überhaupt nicht aufgehoben fühlen in der Linkspartei und schon gar nicht bei den Grünen. Es gibt wenig Parteigebundenheit bei jungen Linken und ein Suchen nach einem Weg. Da hilft dann auch Erich Mühsam.

Manja Präkels: Mühsam hat sich auch eingesetzt für das sogenannte Lumpenproletariat. Mit dieser Haltung spricht Mühsam den Leuten heute immer noch aus dem Herzen. Er ist richtig in die Kneipen gegangen und hat versucht, die abgestürzten Leute, die Arbeitslosen und Landstreicher – mit teilweise nicht so großem Erfolg – aus der Reserve zu locken, sie zu politisieren. Auch, indem er ihnen schon mal ein Bier ausgab. Der dahinterstehender Grundgedanke gilt auch heute noch: Wenn wir die Ränder der Gesellschaft vergessen, dann können wir bald alles voll vergessen. Das ist ganz aktuell. Das Auseinanderbrechen von Städten in tolle Sanierungsgebiete und Gettos – jeder spürt, dass das nicht gut sein kann. Dass es sich nicht gut anfühlt, wenn man durch Prenzlauer Berg geht und dort keine ältere Person mehr sieht.

Wenn man euch zuhört, hat man das Gefühl, Erich Mühsam hilft in allen Lebenslagen. Gehört er in jeden Erste-Hilfe-Schrank?

Manja Präkels: Unbedingt. Wenn gar nichts mehr geht: Mühsam!

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