: Rare Ware auf Video
Im Irak halten sich immer weniger AusländerInnen auf. Ihr Marktwert als Geiseln steigt
AUS KAIRO KARIM EL-GAWHARY
Das Geiselvideo ist die Geschäftsbasis, die Kommunikationsmethode der Entführer. Es ist auch das erste Lebenszeichen für die Angehörigen, die erste Kontaktaufnahme mit allen, die nun versuchen werden, diese Verbindung aufrechtzuerhalten und zu verhandeln und Rückschlüsse auf den Zustand der Geiseln und auf ihre Entführer zu ziehen.
Im Falle des neuesten Entführungsfalls im Irak, der erneut zwei Deutsche betrifft, ist das Videoband ein besonders erschütterndes Dokument. Das liegt auch daran, dass eine Mutter die ganze Zeit die Hand ihres Sohns hält und mit tränenerstickter Stimme um ihrer beiden Leben fleht, während das Schluchzen des Sohnes zu vernehmen ist. Adressiert ist die kurze, verzweifelte Ansprache an die Bundeskanzlerin persönlich. „Ich habe niemanden, der mir helfen kann – nur noch Sie“, sagt die sichtlich gebrochene Frau. „Mit den Leuten ist nicht zu spaßen, die werden meinen Sohn umbringen.“ Sie verlangt von Angela Merkel, auf die Forderungen einzugehen – irgendwie. „Ich bitte Sie, helfen Sie uns! Wir sind doch auch Deutsche.“
Dann tritt einer der drei maskierten bewaffneten Männer vor und liest wie üblich eine Erklärung vor. „Wir geben der deutschen Regierung zehn Tage, um mit dem Abzug ihrer Truppen aus Afghanistan zu beginnen, danach werden wir keine Verantwortung mehr übernehmen“, droht er und warnt: „Nicht einmal eine Leiche eines dieser Agenten wird gefunden werden. Gott ist groß, und die Ehre gebührt dem Islam und den Muslimen.“
Die „Agenten“, das sind die 61-jährige Hannelore Marianne K., die mit einem irakischen Professor verheiratet ist, und ihr 20-jähriger Sohn. Sie waren am 6. Februar in Bagdad verschleppt worden und sollen seit langem im Irak leben. Die 61-Jährige stammt angeblich aus dem Großraum Berlin.
„Pfeile der Rechtschaffenheit“ nennen sich die Entführer. Einer von vielen Fantasienamen, die eher dazu dienen, Verwirrung zu stiften, als dazu, die Täter zu identifizieren. Mal ist es einfach nur die „Islamische Armee“, dann die „Grüne Brigade“, die „Schwerter der Gerechtigkeit“ die „Islamische Antwort“ oder die „Schwarzen Banner“. Sie alle sind Teil einer irakischen „Entführungsindustrie“, die auf diesem Weg zum schnellen Geld oder zur billigen Publizität gelangen will. Manchmal geht es nur um den schnöden Mammon, manchmal aber auch um konkrete politische Forderungen; oft um beides.
Ein Videoband ist zunächst etwas Positives, denn dadurch wird erst einmal bestätigt, dass die Opfer zumindest zum Zeitpunkt der Aufnahme noch leben“, erklärt ein westlicher Diplomat, der bereits Erfahrungen mit dem Prozess hinter den Kulissen von Verschleppungen im Irak hat. Das Video zeige, dass die Entführer verhandlungsbereit seien und Kontakt aufnehmen wollen, sagt er. Meist geschieht das, indem das Band einem arabischen Fernsehsender, wie al-Dschasira, weitergereicht wird. Risikoloser und daher immer öfter werden die Bänder auf einschlägigen Webseiten im Internet veröffentlicht. Manchmal wird aber einfach nur eine der eingespeicherten Nummern auf dem Handy des Opfers kontaktiert.
In einem Entführungsfall versuchen die dann etablierten Krisenstäbe zunächst die Umstände der Entführung zu rekonstruieren und Rückschlüsse auf die Entführer und deren Professionalität zu ziehen, um etwa herauszubekommen, ob es sich um eine kriminelle oder eine politische Gruppe handelt und welcher Konfession die Entführer angehören. Die aktivsten Geiselnehmer sind militante sunnitische Gruppen, die mit den Aufständischen verbunden sind, einer mächtigen politischen Kraft im Irak, die aber für Außenstehende fast wie ein Schatten hinter einem Vorhang agiert.
Sind die vermeintlichen Entführer dann „katalogisiert“, werden die passenden Vermittler eingeschaltet. Bei sunnitischen Entführern kann man sich an den Rat der sunnitischen Rechtsgelehrten wenden, bei Schiiten an die Mahdi-Armee des Schiitenführers Muktada al-Sadr. Es lohnt sich auch, mit den offiziellen Sicherheitskräften zu sprechen, in der Hoffnung trotz deren offensichtlicher Schwäche doch den ein oder anderen Hinweis zu erhalten.
Erschwert wird dieses Puzzlespiel dadurch, dass sich die Umstände der Verschleppung, ja sogar die Entführer verändern können. Denn im Irak werden Geiseln inzwischen wie Waren gehandelt und oft weiterverkauft. Kriminelle Gangs arbeiten häufig mit einer unübersichtlichen Reihe aufständischer politischer Gruppen mit einem geringen Strafrisiko zusammen. Die ausländischen Truppen sind zu sehr mit ihrer eigenen Sicherheit beschäftigt, ebenso wie die lokalen Sicherheitskräfte, die zudem schlecht ausgebildet und ausgerüstet sind. Dabei gilt das Prinzip von Angebot und Nachfrage. Die besten Preise erzielen etwa Frauen aus Staaten, die Truppen im Irak stationiert haben. Nachrichten über verschleppte Frauen, so die Idee, haben immer die größte Wirkung auf die öffentliche Meinung in ihren Herkunftsstaaten.
Wenn das Videoband dann erst einmal veröffentlicht ist, geht es für den Krisenstab darum, Rückschlüsse auf die Motive zu ziehen. Oft werden Geldforderungen zunächst mit politischen Forderungen vermischt. Grundsätzlich gilt: Je weniger konkret die politische Forderung, umso wahrscheinlicher ist es, dass es den Entführern in Wirklichkeit ums Geld geht. Kurioserweise wurde die Entführung der Deutschen diesmal mit einer politischen Forderung für Afghanistan verbunden. „Wir Muslime sind eine einzige große Nation“, daher stünden ihnen die Muslime in Afghanistan genauso nahe wie die Muslime im Irak, rechtfertigt sich der vermummte Sprecher auf dem Geiselvideo. Das neue irakisch-afghanische Jointventure kann bedeuten, dass es den Entführern nicht so sehr um die Politik geht, sondern dass sie einfach ein Motiv konstruiert haben, nachdem sie gemerkt haben, dass ihre Opfer Deutsche sind und die Deutschen eben militärisch nicht im Irak, sondern in Afghanistan aktiv sind. Es könnte aber auch bedeuten, dass es sich um eine Gruppe militanter Islamisten handelt, die im Irak und in Afghanistan agiert. Zumindest was die Methoden des Guerillakrieges angeht, scheint es einen Lernprozess zwischen beiden Ländern zu geben, wenngleich keine operativen Verbindungen bekannt sind.
Der Fall der entführten Deutschen zeigt erneut, dass das Tragen des Passes eines Landes, das einst gegen die US-Invasion im Irak aufgetreten ist, nicht vor Verschleppung schützt, ebenso wenig wie die Tatsache, dass die Opfer, wie in diesem letzten Fall, seit Jahrzehnten im Irak leben und sogar mit Irakern verheiratet sind. Die Rechnung ist einfach: Es gibt immer weniger Ausländer im Irak, und damit wird jeder verbliebene wertvoller. Mit steigendem Marktwert hat der politische Hintergrund des Opfers nur noch wenig Bedeutung.
Übrigens sind die Iraker selbst die Hauptopfer der Entführungsindustrie. Auf jeden verschleppten Ausländer kommen im Schnitt über 20 entführte Iraker. Oft werden Kinder von Ärzten, Anwälten und Geschäftsleuten entführt, um Lösegeld zu erpressen. Die wenigsten Angehörigen schalten die Polizei ein. In letzter Zeit wurden aber auch immer öfter Beschäftigte des Sicherheitsapparats selbst zu Opfern. Meist werden die Polizisten und Soldaten dann am Tag darauf mit gefesselten Händen und einer Kugel im Kopf nach kollektiven Exekutionen in einem Straßengraben aufgefunden.
Seit dem Krieg wurden über 200 Ausländer im Irak verschleppt. Ungefähr ein Drittel von ihnen wurde getötet. Einige sind immer noch in der Hand ihrer Entführer oder gelten als vermisst. Deutschland, Frankreich und Italien sollen, laut der britischen Zeitung Times, bei den Lösegeldzahlungen im Irak den Rekord halten. Allein diese drei Staaten sollen 45 Millionen Dollar aufgebracht haben, um die im Irak verschleppten Bürger ihres Landes freizukaufen. Zwischen 2,5 und 10 Millionen Dollar war ihren Regierungen das Leben einer Geisel wert. Alle drei streiten die Lösegeldzahlungen jedoch offiziell ab oder wollen sich dazu nicht äußern.
„Auf öffentliche Erklärungen, dass man mit Terroristen nicht verhandle und kein Lösegeld zahle, darf wenig gegeben werden. Wenn eine Regierung die Möglichkeit sieht, ein Entführungsopfer für einen tolerierbaren Preis auszulösen, wird sie das in der Regel tun, ohne es aber jemals öffentlich zuzugeben“, meint dazu ein im Irak arbeitender privater Sicherheitsexperte, der nicht namentlich genannt werden will.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen