: Abschiebung nach Familienstatus
Afghanische Familien mit Kindern werden ein Jahr lang nicht abgeschoben. Aufgrund der verschärften Lage im Heimatland und aus „humanitären Gründen“, sagt Nagel. Für Männer, Ehepaare und Straftäter aber gilt das nicht
Alleinstehende Männer, Ehepaare und Straftäter sollen auch weiterhin nach Afghanistan abgeschoben werden können. Die am Dienstag bekannt gewordene interne Analyse der Hamburger Innenbehörde zur aktuellen Gefährdung ändert an ihrer Lage nichts: Ihre Abschiebungen werden weiterhin nach den Grundsätzen der Innenministerkonferenz von 2005 vollzogen.
Zuvor hatte die Behörde von Innensenator Udo Nagel (parteilos) bekannt gegeben, die Zwangsabschiebungen von afghanischen Kindern und ihren Eltern für mindestens ein Jahr auszusetzen. Nagel verwies auf eine „sich abzeichnende Verschärfung der Sicherheitslage“ in Afghanistan, „speziell in den letzten Tagen“. Aus „humanitären Gründen“ habe er diese Entscheidung nach Rücksprache mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Berlin getroffen, sagte der Innensenator.
Der temporäre Abschiebestopp betrifft rund 35 afghanische Familien in Hamburg, die sich weniger als sechs Jahre in Deutschland aufhalten und deshalb nicht ins Raster der Bleiberechtsregelung fallen. Sie seien „akut von der Abschiebung bedroht gewesen“, sagte Claudius Brennmeister von der Evangelischen Flüchtlingshilfe Fluchtpunkt. Diese Entscheidung sei lange überfällig und „natürlich ist die Erleichterung groß, die Betroffenen sind sehr froh“. Herbeigeführt habe die Kehrtwende des Hamburger Abschiebevollzugs der öffentliche und politische Druck auf Udo Nagel, meint Antje Möller (GAL), Sprecherin für Flüchtlingspolitik. Auch innerhalb der CDU-Fraktion wurde in den letzten Monaten die Kritik am rigorosen Vorgehen der Innenbehörde immer lauter.
Auf die Anfrage der taz, welche konkreten Veränderungen der Sicherheitslage in Afghanistan die Innenbehörde nun veranlasste, die Abschiebungen von Familien mit Kindern auszusetzen, wurde nicht reagiert. Ebenfalls unbeantwortet blieb die Frage, aus welchen Parametern der Lagebeurteilung sich zugleich die Legitimation ergebe, weiterhin Ehepaare und Männer in das Krisengebiet zwangsweise zurückzuführen.
Als „schleierhaft und unverständlich“ bezeichnete Conrad Schetter, Afghanistan-Experte am Zentrum für Entwicklungsforschung in Bonn, das Asylverfahren auch in Hamburg. „Meines Erachtens ist das reine Kalkülpolitik“. Die Berichterstattung und nicht die tatsächliche Situation würden das politische Vorgehen bestimmen. „Weder im Norden noch im Süden Afghanistans existiert Sicherheit“, sagte Schetter. Es herrsche nach wie vor die Willkür, denn „einen Staat mit Gewaltmonopol gibt es nicht“. MART-JAN KNOCHE
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