: Braucht es fürs Spenden einen Kick?
SPASS Bei der Ice Bucket Challenge schütten sich Leute Eiswasser über den Kopf und spenden Geld. Alles wird Selbstinszenierung, auch die Not anderer
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Ja
Ute Oddoy, 55, hat seit acht Jahren ALS. Sie hält Vorträge über die Nervenkrankheit
Es braucht einen Kick, ein spektakuläres Event. In Zeiten zunehmender Armut, abnehmender sozialer Wärme und großer Verunsicherung über Spendenziele sind viele Menschen zum Spenden nicht mehr bereit. Ich selbst habe nie Geld gespendet, sondern als Frauenärztin regelmäßig Hilfsbedürftige kostenlos behandelt. Jeder Spender braucht Motivation. Deshalb ist die Ice Bucket Challenge für ALS so erfolgreich. Das Originelle daran: Die Bilder der nassen Köpfe und Oberkörper bleiben im Gedächtnis. Zudem wird mit einem einfachen und klaren Spendenziel gearbeitet: für die Grundlagenforschung einer seltenen Krankheit. Die Aktion lebt von der Schadenfreude über derangierte Stars und Sternchen. Über Selbstinszenierungen sehe ich als ALS-Betroffene gnädig hinweg. Dass sich Prominente engagieren, finde ich wunderbar.
Jürgen Schupp, 58, ist Direktor am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung
„Geiz ist un-geil“, wenn es darum geht, menschliches Leid zu lindern. Jeder Steuerzahler und die Mitglieder tausender sozial engagierter Organisationen investieren Zeit und Geld, um anderen zu helfen. In unserer Gesellschaft genießt das Spenden eine breite soziale Anerkennung – die individuellen Motive sind vielfältig. Trotzdem ist die Spendenbereitschaft auch in Deutschland noch steigerungsfähig. Wenn ein „Kick“ zum Spenden, welcher vor allem der Befriedigung des eigenen Egos sowie zur vermeintlich wachsenden Wertschätzung in sozialen Netzwerken dient, zusätzliche Spenden mobilisiert, so schadet dies nicht dem guten Zweck. Und solche Aktionen verdrängen nicht die vielen Spender, die sich auch „ohne Kick“ still und regelmäßig engagieren.
Maddin Schneider, 50, ist Schauspieler, Komiker und hat mitgemacht
Meine Oma hat immer gesagt: Es ist nicht so leicht, an anderer Leute Geld zu kommen! Wenn wir nicht direkt mit der Not von Menschen konfrontiert sind, fehlt uns die nötige Antriebsenergie, etwas zu tun, sprich: wir kriegen den Arsch nicht hoch. Also ist ein emotionaler Kick sehr hilfreich, um uns für ein spezielles Thema zu sensibilisieren. Ich hätte mein Leben lang nichts für die ALS-Forschung gespendet, wenn Otto Waalkes mich nicht für die IBC, die Ice Bucket Challenge, nominiert hätte – von der ich bis dato nichts wusste. Die große Akzeptanz der IBC zeigt, dass eine Hilfsaktion ungeahnten Erfolg haben kann, wenn man sie mit Spaß verbindet. Als Komiker finde ich es grandios, wie viele Menschen die Gelegenheit nutzen, etwas Verrücktheit in ihrem Leben zuzulassen.
Juliane Gorges, 24, ist Altenpflegerin und hat bereits ALS-Patienten betreut
Soziale Netzwerke zu nutzen, um Spendenaktionen bekannt zu machen, ist ein toller Ansatz. Dadurch wird ein großer Pool geschaffen, durch den enorme Summen an Spendengeldern eingenommen werden. ALS ist noch sehr unbekannt und kaum erforscht. Deshalb ist es wichtig, das Bewusstsein der Menschen für diese unheilbare Krankheit zu schärfen. Pflegeheime und Krankenhäuser, meine Kollegen und ich müssen in der Lage sein, mit dieser Krankheit kompetent umzugehen. Bessere Kenntnisse kämen meinen ALS-Patienten, von denen einige bereits verstorben sind, zugute. Leider sind die Aktionen in sozialen Netzwerken meist sehr kurzlebig. Unter den Nutzern ist es „trendy“, dabei zu sein. Das ebbt aber oft schnell wieder ab. Es ist zu hoffen, dass das Bewusstsein für ALS bleibt.
Nein
Philipp Ruch, 33, ist künstlerischer Leiter des Zentrums für Politische Schönheit
Die Ice Bucket Challenge gehört zum Morbidesten, was ich bislang erlebt habe. Es wirkt wie der hilflose Versuch einer Gesellschaft, die im geistigen Verfall begriffen ist, wieder zu einer Form von Bewusstsein zu kommen. Wir werden dem die Blood Bucket Challenge anschließen. Dabei wird sich die profilierungssüchtige B-Prominenz mit Blut übergießen, um auf die diktatorische Krankheit des Bevölkerungsmords aufmerksam zu machen. Wir zählen in Syrien bis Ende des Jahres 200.000 Tote – fernab jeglicher journalistischen Begleitung durch die großen internationalen Medienhäuser. Als Erste nominieren wir al-Assad und Putin. Sie sollen es den eingeschlossenen Regimegegnern Aleppos, die bereits täglich mit (eigenem) Blut übergossen werden, gleichtun.
Katja Maurer, 57, leitet die Öffentlichkeitsarbeit von medico international
„In Zukunft wird jeder 15 Minuten berühmt sein“ – Andy Warhols Worte sind von der Fundraising-Industrie beherzigt worden. Spenden als Selbstinszenierung ist so das Gegenteil zum Akt des Spendens als Zeichen der Solidarität und Empathie. Nein, es braucht keinen Kick, sondern es braucht kritische Vernunft. Wer für die Arbeit syrischer Ärzte spendet, die die Demokratiebewegung in ihrem Land unterstützen, oder palästinensischen Menschenrechtlern im Gaza-Konflikt zur Seite steht, der weiß um die Wirklichkeit der Globalisierung und die Notwendigkeit der Veränderung. Diese aufgeklärten Spenderinnen und Spender gibt es zur Genüge. Sie begnügen sich in einer paradoxen und widersprüchlichen Welt nicht mit Helmut Kohls Satz „Hauptsache, es wird geholfen“. Sie wollen wissen, wer wem warum und mit welchem Ziel hilft. Dann kann Hilfe überflüssig werden – und das sollte doch das eigentliche Ziel des Spendens sein.
Markus Schmidt ist taz-Leser und beantwortete die Streitfrage auf Facebook
Die virale Verbreitung der Ice Bucket Challenge macht Soziale Netzwerke unbrauchbar. Ja, ALS ist eine seltene Krankheit, die aus wirtschaftlichen Gründen von den Pharmakonzernen links liegen gelassen wird. Dieses Schicksal teilen unzählige der sogenannten „orphan diseases“, verwaiste Krankheiten. Stephen Hawking, einer der schlauesten Menschen nach Albert Einstein, ist ebenfalls betroffen – trotzdem schreibt er Bücher, hält Vorträge. Anstatt sich kübelweise Eiswasser über die Rübe zu gießen, sollte diese Zeit lieber in einer sozialen Einrichtung verbracht werden – gibt vielleicht weniger Likes als die Eiswasserdusche, hilft aber, sich auf die wirklich wesentlichen Dinge im Leben auszurichten.
Cornelia Füllkrug-Weitzel, 59, ist Präsidentin von Brot für die Welt
Bilder, die Not und Verzweiflung zeigen, schreien nach Hilfe und lösen Hilfsbereitschaft aus. Viele unserer Spendenden engagieren sich auch langfristig und unabhängig von der Berichterstattung. Sie tun es aus Solidarität und Mitgefühl – Werte, die Impulse aus der christlichen Nächstenliebe bekommen, Gesellschaften zusammenhalten und oft überlebensfähig machen. Natürlich freuen wir uns für die Betroffenen über kurzfristige Spendenanstiege bei akuten Krisen. Wir helfen auch dort, wo keine Medien sind, die Not aber nicht kleiner ist. Niemand sollte vergessen werden, nur weil „seine“ Katastrophe nicht „hip“ ist. Wir helfen, Krisen und Armut langfristig vorzubeugen – das ist billiger als Schadensbegrenzung.
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