: Die Frau war geschützt!
Jony Eisenbergs juristische Betrachtungen: Warum die Kritik am Frankfurter „Koranurteil“ völlig daneben ist
Von der Bundesjustizministerin bis zu den notorischen türkischstämmigen Frauenrechtlerinnen fällt die veröffentlichte Meinung über eine Familienrichterin her, die eine Abkürzung der notorischen Wartefrist bei Ehescheidung unter Hinweis auf den kulturellen Hintergrund der Eheleute abgelehnt hat. Wer in Deutschland geschieden werden will, muss grundsätzlich ein Jahr getrennt gelebt haben. Die Verfassung gebietet den Schutz der Ehe. Dazu gehört auch, dass Ehepartner sicher sein müssen, ob die Ehe endgültig gescheitert ist, bevor der Staat sie scheidet. Daneben soll den Kindern eine – vorschnelle – Scheidung mit anschließender Versöhnung und Wiederheirat erspart werden und die scheidungsfeindliche katholische Kirche befriedet. Jeder weiß zudem, dass misshandelte Frauen häufig doch wieder zu dem misshandelnden Ehemann zurückkehren. Selbst nach Misshandlung muss also eine Ehe nicht notwendigerweise im Rechtssinne „gescheitert“ sein. Dass das Trennungsjahr abzuwarten ist, hat sich die kleine Familienrichterin nicht ausgedacht. Nur wenn einem Ehepartner das Trennungsjahr nicht zuzumuten ist, soll ausnahmsweise darauf verzichtet werden.
Im Falle, den die Richterin zu entscheiden hatte, war eine aus Marokko stammende Deutsche vom marokkanischen Ehemann schwer misshandelt worden. Es gab zwei Kinder. Dem Ehemann war durch Gewaltschutzverfügungen jede Annäherung seit dem Sommer 2006 verboten. Die Frage war nicht, ob die Rechtsordnung der Frau zumutet, weitere Gewalt hinzunehmen, sondern ob sie ihr zumutet, wie jeder andere auch das Trennungsjahr bis zur Scheidung abzuwarten. Es soll Fälle geben, in denen deutschstämmigen Ehefrauen von deutschstämmigen Ehemännern misshandelt wurden: Sind sie vor gegenwärtigen Übergriffen geschützt, müssen sie auch ein Jahr auf die Scheidung warten. Die Richterin hat nicht entschieden, dass sich die Ehefrau weiter misshandeln lassen muss. Sie hat der Frau das Trennungsjahr zugemutet: die Frau habe gewusst, wen mit welchem kulturellen Hintergrund sie heiratet, und sie sei gegenwärtig vor weiteren Misshandlungen auch ohne schnelle Scheidung geschützt.
Man kann die Begründung der Richterin kritisieren, aber sie ihr als unvertretbar und rassistisch um die Ohren zu hauen, ist dreist. Dass sich Justizpolitiker und Kollegen nicht vor die Richterin und deren Recht auf eine unabhängige Entscheidung stellen, ist eine Schweinerei.
JONY EISENBERG ist Anwalt in Berlin
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