piwik no script img

Das Ding, das kommtWeiße Blätter

Was Schreibende ins GÄSTEBUCH schreiben: Hamburgs Literaturhaus gratuliert sich zum 25. Jubiläum

Nehmen Sie sich bloß nicht vor, den großen Horst Tomayer zu schlagen!

Zumindest darüber muss man sich keine Gedanken machen: Ins Gästebuch gehören der Name und das Datum! Darunter, darüber, daneben oder drumherum aber ist vor allem: jede Menge freier Platz, der gefüllt werden darf, muss.

Platz für alles Mögliche: für ambitionierte Selbstporträts und kleine Kritzeleien, für Sinnsprüche oder schnell Gereimtes, kleine Beobachtungen und ausschweifende Ansprachen, für Lobpreisungen, Tadel, schlichten Dank oder beste Wünsche. Oder eben Kaffee-, Rotwein- und Schweißflecken angesichts des Kopfzerbrechens, das derart Unvorgeschriebenes vor der zu Papier zu bringenden Niederschrift bei nicht wenigen auslöst.

Nicht immer ist das leicht zu entziffern und mitunter ist es wohl besser so. Wem inhaltlich nur Schnödes einfällt, der kann schließlich immer noch mit der Tuschespur des Herzens sprechen und sich so als schwungvoll, verschnörkelt oder elegant ausweisen. Oder eben rätselhaft. Welch wundervoller Spielplatz für Grafologen müssen Gästebücher von Ärztetagen sein!

Besondere Fähigkeiten im Füllen diverser Tabulae rasae bringt aber eine andere Zunft mit sich – und womöglich auch besonders viel Erfahrung darin, beim Füllen eines weißen Blattes zu scheitern: der Literat. Ganze Bücher kann er darüber schreiben. Truman Capote, John Updike, Paul Auster, Siegfried Lenz, Thomas Bernhard, Thomas Mann oder Leon de Winter – wer schreibblockiert ist, schreibt über Schreibblockaden.

Apropos Leon de Winter. Der hat sich vergangenes Jahr im Gästebuch des Hamburger Literaturhauses für den Sinnspruch entschieden: „Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist“, darunter, unleserlich, Datum – fertig. Nachlesen kann man das im kleinen „Notizheft“, mit dem das Haus sich dieses Jahr zu 25 Jahren gratuliert.

„Das Herz schlägt der Welt gegenüber“ heißt das hübsche rosa Heftchen, das Einträge aus Literaturhaus-Gästebüchern von 1989 bis heute versammelt. Dazwischen übrigens: Jede Menge Platz für eigene Notizen. Bloß keine Scheu, was Sie da hinkritzeln, lesen doch nur Sie! Und mit ein wenig Übung brillieren Sie beim nächsten Gästebucheintrag! Nehmen Sie sich nur nicht vor, den großen Horst Tomayer zu schlagen!

Deswegen auch nur ein ganz kleinlauter Eintrag unsererseits am Ende: Herzlichen Glückwunsch, Literaturhaus!  MATT

■ Lesefest zum 25-jährigen Jubiläum: Sa, 6. 9., 19 Uhr, Hamburg, Literaturhaus

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen