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ein ganz besonderer marktOstereinkauf mit Hartz-IV-Bescheid

Fußballfans können sich beim Torwandschießen ausprobieren. Der Mädchenclub des FC Spandau lädt zum Mitkicken ein. Einen Fahrradparcours wird es geben, einen Gummitwist- und einen Hula-Hoop-Wettbewerb, Ponyreiten und eine Seifenblasenshow. Familien sollen Spaß haben auf dem Spandauer Ostermarkt und fürs Mitmachen, für Würstchen, Gebäck und Getränke höchstens ein paar Cent berappen. Denn der 1. Soziale Ostermarkt richtet sein Angebot an alle armen BerlinerInnen: Familien mit geringem Einkommen, Empfänger von Arbeitslosengeld II, Senioren und Seniorinnen mit kleiner Rente. Wer am Eingang einen entsprechenden Bescheid und seinen Personalausweis vorlegt, kann mitspielen, naschen – und einkaufen.

Wie sein Vorgänger – der Soziale Weihnachtsmarkt – bietet auch der Ostermarkt ein bunt zusammengewürfeltes Angebot. Kleidung und Kinderspielzeug, Haushaltsgeräte, Geschenkartikel und Fahrräder – zu Minipreisen zwischen 50 Cent und 12 Euro. Heute öffnet der Markt.

Seit Tagen schon wird dafür in den Werkstätten auf dem ehemaligen Bosch-Gelände gebastelt, genäht, gestrickt und repariert. Gerade sind ein paar Dutzend Autokindersitze fertig geworden. Ein Kaufhaus hatte sie gespendet, weil es seiner Kundschaft die Sitze mit den fleckigen Bezügen nicht anbieten wollte. Jetzt ist alles gewaschen und sieht beinahe wie neu aus. „Für 50 Cent pro Stück werden die Sitze vermutlich ein Verkaufsschlager sein“, sagt Ute Jaroß, die für das Projekt „Sozialmarkt“ verantwortlich ist. Als Mitarbeiterin des gemeinnützigen Goldnetz-Vereins betreut sie 80 Angestellte – Menschen, die bis vor kurzem Hartz-IV-Empfänger gewesen sind.

Normalerweise bietet der Bildungsträger Goldnetz die übliche Qualifizierungsprogramme für Arbeitslose an. Die Sozialmarktidee hatte der Förderverein im vergangenen Jahr. Die Spandauer Arbeitsagentur segnete das Vorhaben als Fördermaßnahme ab, stellte die finanziellen Mittel bereit und schickte 100 arbeitssuchende Männer und Frauen. Die bekamen Verträge und wurden für 1.000 Euro Bruttolohn zunächst für vier Monte als Marktmitarbeiter angestellt.

Weil der Soziale Weihnachtsmarkt, das Pilotprojekt, erfolgreich war, gab die Behörde grünes Licht für die Verlängerung. „Nicht alle 100 MitarbeiterInnen, aber immerhin 80 von ihnen können wir jetzt für ein weitere sechs Monate beschäftigen“, sagt Jaroß. Die Entscheidung, wer die Verlängerung bekam, war schwierig, räumt die Projektleiterin ein. Schließlich hat man sich für diejenigen entschieden, die auf dem ersten Arbeitsmarkt die geringsten Chancen haben.

Die 42-jährige Iris M. gehört dazu. Die zierliche Frau mit dem blonden Pferdeschwanz hat viele Jahre in einer Konditorei gearbeitet. Weil sie auf verschiedene Backmittel plötzlich allergisch reagierte, wurde sie arbeitslos. „Seit zwei Jahren bewerbe ich mich, vor allem als Verkäuferin. Aber immer ohne Erfolg, ich bin einfach zu alt“, erklärt sie.

An der Nähmaschine in der Goldnetz-Werksatt ist Iris M. allerdings in ihrem Element. Mit geschickten Griffen näht sie Kissen und Bettbezüge für die Puppenbetten, die ihre Kollegen in der Werkstatt nebenan tischlern.

Wie es weitergehen soll, wenn das Marktprojekt zu Ende ist, weiß M. nicht. Am liebsten würde sie hier weitermachen. Doch Mitte August ist Schluss. „Zumindest für die Leute, die zurzeit bei uns beschäftigt sind“, so Jaroß. Denn die Arbeitsagentur bewilligt diese Fördermaßnahme nur für eine begrenzte Zeit. Deshalb hat am Anfang jeder Arbeitswoche die Jobsuche Priorität. Die Marktmitarbeiter checken das Stellenangebot. Wenn die Ausschreibung passt, wird sofort eine Bewerbung auf den Weg gebracht. Bislang konnte der Förderverein fünf MarktmitarbeiterInnen in reguläre Jobs vermittels: Eine echte Erfolgsbilanz sei das zwar nicht. Aber ein Hoffnungsschimmer. SUSANNE KILIMANN

Der 1. Soziale Ostermarkt findet heute und morgen von 10 bis 17 Uhr auf dem ehemaligen Bosch-Gelände in Spandau, Zitadellenweg 34, statt.

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