: Konspirativ katholisch
VON LUTZ DEBUS
Die Feier wird im kleinsten Kreis stattfinden. In einer Kapelle irgendwo in Wuppertal. Ahmed Al-Iraki (Name von der Redaktion geändert) wird zusammen mit seiner Frau und seinem zweijährigen Sohn am Sonntagabend getauft werden. Der 28-Jährige ist aufgeregt. „Sie holen mich doch ab?“ „Woher bekomme ich die Taufkerzen?“
Pastoralreferent Werner Kleine beruhigt den jungen drahtigen Mann. Natürlich fahre er ihn mit seinem Auto zum Gotteshaus. Und die drei Kerzen erhalte der Taufbewerber als Geschenk. Da müsse er sich nicht drum kümmern. Gerne hätte Werner Kleine die Taufe in einer großen Kirche durchgeführt. Aber Ahmed Al-Iraki hat Angst. „Nicht um mich, um meine Familie,“ sagt er. Deshalb möchte er seinen wahren Namen auch nicht in der Zeitung lesen. Al-Iraki heißt übersetzt: „Der aus dem Irak“. Mit leiser Stimme fügt er hinzu: „Den Schriftsteller Salman Rushdie hat man ermorden wollen, der Regisseur Theo van Gogh wurde ermordet.“
Diejenigen, die die islamische Rechtsprechung, die Scharia, streng auslegen, sehen für den Übertritt eines Muslims zum Christentum die Todesstrafe vor. Im vergangenen März konnte der knapp zehn Jahre in Deutschland lebende Afghane Abdul Rahman nur deshalb der Exekution in seiner Heimat entgehen, weil das zuständige Gericht Verfahrensfehler geltend machte. Ahmed Al-Iraki selbst sei zwar wegen seiner Entscheidung in Deutschland noch nicht bedroht worden. Er glaube aber, dass ihm auch hier etwas geschehen könnte. „Van Gogh wurde mitten in Europa hingerichtet.“
Der anerkannte Asylbewerber mit irakischen Pass hat schon zu viel Willkür und Gewalt erlebt, als dass er unbefangen und sorglos seine Situation einschätzen kann. Als Zwölfjähriger floh er in Folge des ersten Krieges zwischen dem Irak und den USA mit seiner Familie nach Libyen. Fünf Jahre später kehrte er in das völlig verarmte Land zurück. Eine Anekdote aus dieser Zeit erzählt er besonders gern. Zu jener Zeit mussten alle Iraker aus dem Süden des Landes ein Portrait von Saddam Hussein an die Windschutzscheibe ihres Autos kleben, um so ihre Loyalität zum Regime zu zeigen. Ahmeds Vater, ein Kommunist, hielt sich nicht an dieses Gesetz. Als der Wagen in eine Kontrolle kam, trennte Ahmed die erste Seite, ein Foto des Diktators, aus seinem Schulbuch heraus und hielt sie gegen die Scheibe. Hinter dem Kontrollpunkt zerriss dann der Vater wutentbrannt das Bild. Bei einer weiteren Kontrolle übersahen die Polizisten einen Fetzen Papier mit Husseins Augen, der zufällig noch im Auto lag. Ein Foto des Despoten zu zerreißen war noch sehr viel verbotener, als keines bei sich zu haben. Noch immer muss Ahmed Al-Iraki über die Geschichte lachen. „Es ist lustig, so etwas überstanden zu haben“, rechtfertigt er sich.
Dann verdüstert sich sein Gesicht. In der Straße, in der er wohnte, wurden Flugblätter von einer verbotenen pro-iranischen Organisation verteilt. Alle, die in irgend einer Weise verdächtig waren, wurden verhaftet. Al-Iraki war zuvor schon den Spitzeln aufgefallen, weil er in der Oberschule nicht immer die offizielle politische Meinung nachbetete. So verschwand er in einem Geheimdienstgefängnis. „Geschlagen wurdest du von Anfang an. Du solltest deinen Namen vergessen. Du warst nur noch eine Nummer.“ Ein dickes Stromkabel habe man als Knüppel benutzt. Die Narben auf seinen Beinen könne man noch heute sehen.
Das Gefängnis lag in der Nähe eines Krankenhauses in Bagdad, war drei Stockwerke tief in den Untergrund gebaut. So konnten die Schreie der Folteropfer nicht gehört werden. Manchmal aber wurden die Gefangenen transportiert. Mit verbundenen Augen. Aber Ahmed Al-Iraki konnte unter der Augenbinde manchmal doch etwas erkennen. Von außen sahen die Gefangenentransporter wie Milchwagen aus. Innen gab es viele einzelne Zellen, so groß, dass man darin nur stehen oder hocken konnte. Wenn der Wagen an einer Kreuzung anhielt, war es manchmal möglich, Namen von Gefangenen den Passanten, die draußen an dem vermeintlichen Milchwagen entlang gingen, zuzurufen. So gelang es zumindest manchen, ihren Familien mitzuteilen, noch am Leben zu sein. Ahmed Al-Iraki hatte Glück. Er kam nach sechs Monaten wieder frei. Kurze Zeit später gelang ihm die Flucht nach Europa, nach Deutschland.
Inzwischen hat Ahmed Al-Iraki geheiratet. Seine Frau serviert den Gästen Tee und Gebäck. Das modern eingerichtete Wohnzimmer mit Couchgarnitur, Bücherregalen, CD-Anlage, Flachbildschirm und Fitness-Gerät in der Ecke sieht nach mitteleuropäischer Normalität aus. Das Bobby-Car des Sohnes steht neben der Wohnungstür. Al-Iraki ist gerade von der Arbeit gekommen. Sein Job in der Gastronomie ist der einzige Kontakt, den er zur Außenwelt hat. Deutsche kennt er in Wuppertal kaum. Und zu Landsleuten hat er alle Brücken abgebrochen, seit er den Plan hat, Christ zu werden.
Warum aber will Ahmed Al-Iraki überhaupt die Religion wechseln? „Ich glaubte sehr an den Islam. Aber am 21. September 2003 veränderte sich mein Leben.“ Mit einem Lächeln berichtet der junge Mann, wie er träumte, dass er in einer Wüste hockte. Neben ihm lagen seine Krücken. „Ich war behindert.“ Da sei ein Wesen zwischen Himmel und Erde aufgetaucht, habe ihm befohlen, aufzustehen. „Das Gesicht war nicht zu erkennen, aber ich wusste sofort, dass es Jesus war, der da sprach.“
Werner Kleine, der der Erzählung aufmerksam folgt, nickt: „Wir Mitteleuropäer würden von unterbewusstem Erleben ausgehen oder so etwas pathologisieren.“ Dass einem Traum solch eine Bedeutung zugemessen werde, sei in diesem Fall wohl kulturell bedingt, vermutet der Pastoralreferent. Der Gastgeber holt dann, um die Ernsthaftigkeit seiner Entscheidung zu untermauern, einige Papiere aus seinem Regal. Computerausdrucke mit arabischen Schriftzeichen. Er selbst habe diese Tabelle angefertigt. Im Koran, so erklärt Al-Iraki, stehe geschrieben, dass Mohammed sich nie irre. Warum aber widerspreche sich der Prophet dauernd? 47 Zitate sind auf der langen Liste aufgeführt, die die Widersprüche des Korans belegen sollen.
Vor über einem halben Jahr stand der Entschluss von Ahmed Al-Iraki fest, zu konvertieren. Er nahm Kontakt zu Werner Kleine auf. Mit diesem führte er inzwischen gut ein Dutzend vorbereitende Gespräche. „Normalerweise finden solche Taufgespräche im Katholischen Stadthaus statt“, erklärt Kleine. Aber wegen der Brisanz des Falles habe man sich in Al-Irakis Wohnung getroffen. „Höchst konspirativ“, schmunzelt Kleine. Er habe seinem Taufbewerber eine Bibel in arabischer Sprache besorgt, ein Import aus Ägypten. Diese hat Al-Iraki bereits vollständig gelesen. Um sich sprachlich zu schulen, benutze er aber nun immer häufiger die deutsche Ausgabe.
Auf die Frage, warum der Täufling sich grade für die katholische Kirche entschieden hat, reagiert der Pastoralreferent Kleine prompt. In breitem Ruhrpottslang ruft er: „Katholisch macht Spaß. Man sieht‘s doch an mir.“ Mit einer schnellen Handbewegung deutet er auf seinen nicht ganz schlanken Bauch. Ahmed Al-Iraki aber gibt sich nachdenklicher. Auch mit Orthodoxen und Protestanten habe er Gespräche geführt. Aber die Protestanten befürworten zum Beispiel in Dänemark die Ehe zwischen Schwulen oder Lesben. Das könne er nicht unterstützen. Außerdem sei der Vatikan der einzige Staat der Erde, der ohne Waffen auskommt.
Zum Abschied zeigt der Täufling noch stolz seinen Rosenkranz. Denn Werner Kleine habe in kollegialer Runde im Bistum von der bevorstehenden außergewöhnlichen Taufe berichtet. Zufällig hörte Kölns konservativer Erzbischof Joachim Meisner davon und gab dem Pastoralreferenten seine persönliche, langjährig genutzte Gebetskette – um sie dem Neuchristen zukommen zu lassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen