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„Groteske Überdehnung“

MILITARISIERUNG Eine Tagung der Nordkirche beschäftigt sich mit der Bundeswehr in der Schule

Dirk Lange

■ 50, Bundesvorsitzender der Vereinigung für politische Bildung und Professor für Didaktik der politischen Bildung in Hannover.

taz: Herr Lange, offiziell darf die Bundeswehr an Schulen nicht um Nachwuchs werben. Deklariert sie ihr Engagement deshalb als politische Bildung?

Dirk Lange: Was die Bundeswehr an Schulen macht, ist keinesfalls politische Bildung. Laut ihrer eigenen Verlautbarung handelt es sich aber auch nicht um Nachwuchsgewinnung. Das wäre nach der UN-Kinderrechtskonvention auch verboten.

Was macht sie dann an Schulen?

Es ist schon fast erschütternd, wie deutlich das in den Vereinbarungen steht: Die Bundeswehr hat Akzeptanzprobleme bekommen – auch durch die sicherheitspolitische Strategie, dass sie in den vergangenen zehn Jahren weniger Verteidigungsarmee und stärker Interventionsarmee geworden ist. Diese Strategie wird weniger von der Bevölkerung getragen.

Was vermuten Sie, ist mit der Kooperation zwischen acht Bundesländern und der Bundeswehr beabsichtigt?

Dass durch den engeren Austausch die Akzeptanz der Bundeswehr und ihrer aktuellen sicherheitspolitischen Maßnahmen erhöht werden soll. Dazu kommt die Abschaffung der Wehrpflicht, durch die die Nachwuchsgewinnung für die Bundeswehr eine Aufgabe geworden ist, die sie vorher nicht kannte.

Kritiker befürchten eine schleichende Militarisierung.

Es liegt der Verdacht nahe, dass das etwas mit der Nachwuchsgewinnung und mit den Legitimationsproblemen zu tun hat. Andere Behörden gehen ja auch nicht in dem Ausmaß an Schulen, um über Rentenpolitik oder Integrationspolitik zu informieren.

Wo sehen Sie das Problem?

Meines Erachtens ist das eine groteske Überdehnung ihrer Aufgaben, dass die Bundeswehr versucht, im Bereich der politischen Bildung in den Schulen Fuß zu fassen. Denn die Jugendoffiziere sind dafür nicht qualifiziert. Das sind Öffentlichkeitsarbeiter der Bundeswehr, keine ausgebildeten Pädagogen. Mit dem Anspruch treten sie aber auf.

Worin liegt der Unterschied?

Politische Bildung will Mündigkeit über Kritikfähigkeit, Hinterfragung und Kontroversen entwickeln. In diesem Sinne ist politische Bildung nicht möglich, wenn sie einseitig von Interessensvertretern durchgeführt wird. Bei politischer Bildung steht aber der Selbstenfaltungsgedanke im Vordergrund.INTERVIEW: LKA

Tagung „Der Soldat am Lehrerpult? Bundeswehr in der Schule“: 15 bis 21 Uhr, Schulmuseum, Seilerstraße 42

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