grüne eichstädt-bohlig: „Ostermärsche? Unzeitgemäß“
taz: Frau Eichstädt-Bohlig, Sie halten den Berliner Ostermarsch für unzeitgemäß. Gestern marschierten nur rund 550 Menschen mit. Fühlen Sie sich bestätigt?
Franziska Eichstädt-Bohlig: Ja. Viele Ostermärsche sind zum Ritual geworden, weil sie sich ganz allgemein gegen Kriege und Konflikte wenden. Bei den Kriegen in Exjugoslawien und im Kosovo mussten wir lernen zu differenzieren. Ich fand damals und finde heute: Dort musste militärisch eingegriffen werden. Wir müssen jeden Konflikt einzeln bewerten und daraus Schlüsse ziehen: Darfur, Afghanistan oder Irak. Ostermärsche waren hingegen eine Protestform des Kalten Krieges. Heute können diese Märsche nicht mehr die Aufmerksamkeit so vieler Menschen auf sich ziehen wie in den 80er-Jahren.
Zugleich rufen die Grünen zum Ostermarsch gegen das Bombodrom in der Kyritz-Ruppiner Heide.
Hier geht es um ein konkretes Anliegen, und das erhält natürlich große Unterstützung. In Berlin haben wir die Erfahrung gemacht: Wenn es einen konkreten Konflikt gibt, lassen sich viele Menschen mobilisieren. Wenn sich beispielsweise die Lage in Afghanistan oder im Irak weiter zuspitzt, kommt es sicher schnell zu Protesten. Viele Menschen beobachten die Entwicklungen sehr genau und sind bereit, darauf zu reagieren. Nicht nur Ältere, auch viele junge Menschen.
Trotzdem: Riskieren Sie keinen Imageverlust bei pazifistischen Anhängern? Nach dem Motto „Jetzt halten nicht einmal die Grünen mehr die Fahne hoch“.
Nein. Das Phänomen Ostermarsch hatte seine Zeit, nicht nur bei den Grünen. Neuerdings fordert ja auch die Linkspartei nicht mehr dazu auf.
INTERVIEW: MATTHIAS LOHRE
Franziska Eichstädt-Bohlig (65) ist seit September 2006 Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus
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