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Finnlands Regierung stellt Weltrekord auf

60 Prozent des neuen Kabinetts von Premierminister Matti Vanhanen sind Frauen. Die Schlüsselressorts werden jedoch mit Männern besetzt. Die Ernennung eines konservativen Außenministers könnte einen massiven Rechtsruck bedeuten

Ins Zentrum medialer Kritik geriet der neue Außenminister Ilkka Kanerva

VON REINHARD WOLFF

Den alten Weltrekord hatte Schweden mit 52 Prozent gehalten. Jetzt ist Finnland einsame Spitze. Die neue Regierungs-„Mannschaft“, die gestern von Staatspräsidentin Tarja Halonen in Helsinki ernannt wurde, besteht zu 60 Prozent aus Frauen. Ursprünglich hatten die vier Koalitionspartner ein Gleichgewicht der Geschlechter angepeilt. Doch dann fanden die Grünen für ihre beiden Kabinettsposten keinen passenden Mann, und auch die liberale Zentrumspartei des alt-neuen Premiers Matti Vanhanen hatte einen geeigneten Kandidaten zu wenig.

Nun sitzen am Kabinettstisch außer Vanhanen selbst nur noch 7 weitere Männer zwischen ihren 12 Kolleginnen. Die im Zusammenhang mit der finnischen EU-Ratspräsidentschaft hochgelobte Europaministerin Paula Lehtomäki wird das Umweltressort leiten. Das Europaministerium bekommt die langjährige liberale Europaabgeordnete Astrid Thors. Die Grünen-Chefin Tarja Cronberg wird Arbeitsministerin, ihre Parteikollegin Tuija Brax erste grüne Justizministerin.

Bereits bei den Parlamentswahlen hatte das weibliche Geschlecht mit einem Gewinn von neun Mandaten gegenüber den letzten Wahlen seinen Anteil im Reichstag auf 42 Prozent erhöht. Damit rangiert Finnland hinter dem europäischen Spitzenreiter Schweden (47,3 Prozent), aber deutlich vor dem deutschen Bundestag, wo der Frauenanteil nur 31,6 beträgt. Weltweit liegt er erst bei 17 Prozent.

Doch Quantität ist nicht mit Macht gleichzusetzen. Die als „schwergewichtig“ geltenden Kabinettsposten gingen in Finnland ausnahmslos an die Herren. Und so vermeldeten die finnischen Medien zwar stolz den neuen Frauenweltrekord, beschäftigten sich bei der Diskussion der Personalentscheidungen aber vorwiegend mit – Männern.

Ins Zentrum medialer Kritik geriet dabei umgehend der neue Außenminister Ilkka Kanerva. Nicht nur politisch könnte Finnlands erster konservativer Außenminister seit 75 Jahren einen ausgeprägten Rechtsruck bedeuten, verglichen mit seinem Vorgänger Erkki Tuomioja. Dieser hatte als linker Sozialdemokrat, USA- und Globalisierungskritiker und Kämpfer für Menschenrechte Zeichen gesetzt.

Kanerva ist ein politischer Veteran, der zuletzt zu Zeiten des Kalten Kriegs außenpolitisch aktiv war und in den letzten Jahren vor allem in der Klatschpresse mit peinlichen Geschichten Furore machte. Junge Frauen beklagten sich, von dem 59-Jährigen allzu sehr „bedrängt“ worden zu sein. Sowohl an der Hoteltür als auch per SMS. Letztere wurde vom parlamentseigenen Handy gesendet und hatte einen Inhalt, den die ansonsten wenig scheue Boulevardzeitung Ilta Sanomat als „zu gewagt“ einschätzte, um ihn abzudrucken.

Mehrere Zeitungen kreideten Vanhanen die Wahl dieses Skandalministers und politischen Dinosauriers im Außenamt an. Hier drohe einer „sonst homogenen und stabilen Regierung“ Gefahr, schreibt die Tagszeitung Västra Nyland. Sein Regierungsprogramm will der Premier in der kommenden Woche präsentieren.

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