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Fundamentale Alltagsbegegnungen

PERSPEKTIVEN Sinti und Roma sind seit Jahrhunderten Projektionsfläche für Fremdzuschreibungen. Das Kino Arsenal zeigt Filme vom geografischen und mentalen Rand Europas

Valeri wird zum Ritter Don Quijote auf seinem dürren Gaul Rosinante

VON CAROLIN WEIDNER

Dass der Literaturwissenschaftler Klaus-Michael Bogdal im vergangenen Jahr den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung mit seinem Buch „Europa erfindet die Zigeuner – Eine Geschichte von Faszination und Verachtung“ gewinnen konnte, zeigt, dass die Diskussion über einen angemessen Umgang mit den in Europa lebenden Romvölkern noch lange nicht geschlossen ist. In einem Gespräch mit Uwe Ebbinghaus, das sich unter anderem auch mit dem derzeitigen „Das darf man ja wohl noch sagen“-Gestus beschäftigt, stellt Bogdal einen wesentlichen Unterschied zwischen dem scheinbar gewöhnlichen und somit legitimen Umgang mit Vorurteilen heraus und jenen Ressentiments, hinter denen es fürchterlich stinkt. „Natürlich haben wir Deutsche Vorurteile zum Beispiel gegen die Franzosen und diese gegen uns, aber sie finden in einem Raum statt, in dem jeder seine Identität finden kann, auch eine persönliche.“ Dieser Raum existiert für viele Roma nicht. Und so titelt eine Filmschau der Evangelischen Akademie zu Berlin, die an fünf Abenden zwischen dem 25. September und 16. Oktober im Kino Arsenal zu sehen ist, auch folgerichtig „Am Rand – Sinti und Roma im zeitgenössischen europäischen Film“. Dabei ist der Umgang mit diesem „geografischen und mentalen Rand“ (Dr. Claudia Schäfer, Leiterin der Veranstaltung) äußerst divers.

In „The Gypsy Vote“ (Jaroslav Vojtek, Slowakei 2012) unternimmt beispielsweise Vlado Sendrei den Versuch, mittels einer anstehenden Lokalwahl Richtung Zentrum zu springen, wenn man als Zentrum den Bereich verstehen möchte, an dem sich möglicherweise wirken lässt. Sein Ziel ist es, als erster Rom in ein politisches Amt gewählt zu werden. Regisseur Jaroslav Vojtek begleitet ihn während dieses Unternehmens und ist nicht nur dabei, wenn Sendrei mit seinen Wahlhelfern durch die slowakische Provinz tuckert, sondern ist auch Zeuge der schwelenden Konflikte mit dessen Ehefrau Jana. Die zeigt sich nämlich alles andere als überzeugt von Sendreis Ambitionen, schließlich verspricht dieser schon seit sieben Jahren, eine Küchenreparatur vorzunehmen, ohne dass das Vorhaben bisher auch nur ein Stück realisiert werden konnte. Außerdem fühlt sie sich vernachlässigt, und zu allem Überfluss haben die Karten verraten, das Sendrei eine Geliebte hat. Auch von seinen Helfern kann der Kandidat nicht die erhofften Höchstleistungen abrufen – vertritt Sendrei, der sich in der Vergangenheit unangenehm stark als „Weißer“ definiert hatte, wirklich die Interessen der örtlichen Roma-Familien?

Eine besondere Figur ist auch der Reporter, Poet und Hobbyimker Valeri im Film „Roma Quijote“ (Bulgarien 2013) von Petya Nakova und Nina Pehlivanova. Obwohl dieser mittlerweile für einen Radiosender in Sofia arbeitet und in der Stadt lebt, zieht es ihn häufig zurück in die Roma-Siedlung seiner Kindheit. Hier zeigen ihn Nakova und Pehlivanova auf einer Kutsche sitzend durchs Dorf fahren, eine von den Regisseurinnen oft gewählte Perspektive ist die Draufsicht auf einen wackelnden Tierrücken: Valeri wird zum Ritter Don Quijote auf seinem dürren Gaul Rosinante. Er spricht mit Jugendlichen über ihre Zukunftspläne und fragt sie, ob sie davon träumen, die Siedlung eines Tages zu verlassen. Die Antworten fallen sehr unterschiedlich aus. Seine Frau arbeitet indessen in Griechenland, anders sei ein Leben in der Stadt, der „Aufstieg“ nicht zu finanzieren, sagt er. Eine andere Roma-Gemeinde besuchen Christiane Schmidt und Didier Guillain in „P?durea e ca muntele, vezi? / The Forest is Like the Mountains“ (Rumänien/Deutschland 2014), der auf der diesjährigen Berlinale überaus erfolgreich debütierte und zugleich auch die Filmreihe eröffnet. In ihm konzentrieren sich die beiden Filmemacher ausschließlich auf die so einfachen wie fundamentalen Alltagsbewegungen in der Gemeinschaft. Es werden Pilze gesammelt und Feuerholz, Feste gefeiert, Kinder geboren. Das ist „am Rand“. Doch dabei nicht minder mittendrin.

■ „Am Rand – Sinti und Roma im zeitgenössischen europäischen Film“: 25. 9. bis 16. 10., Kino Arsenal, Info: www.arsenal-berlin.de

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