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Frieden ist ein schweres Los

ZWISCHEN DEN KRIEGEN

Die Regierung und die Rebellen in Uganda haben sich vor Wochenfrist auf die Fortsetzung der seit Dezember unterbrochenen Friedensgespräche geeinigt. Die Verhandlungen werden am Donnerstag beginnen. Zugleich haben beide Seiten die Verlängerung der seit August 2006 bestehenden Waffenruhe vereinbart, sagte Ugandas Vizeverteidigungsministerin Ruth Nankabirwa.

Seit Beginn des Jahres hatte die ugandische Lord’s Resistance Army (LRA) neue Gespräche im südsudanesischen Juba abgelehnt und einen anderen Verhandlungsort gefordert. Die christlich-fundamentalistische LRA will die Regierung von Präsident Yoweri Museveni stürzen und in Uganda ein neues Staatswesen auf Grundlage der Zehn Gebote errichten. Der Rebellenorganisation werden schwere Menschenrechtsverstöße vorgeworfen. Nach Angaben von NGOs hat die LRA seit dem Beginn ihres Kampfes gegen die ugandische Armee in Norduganda 1988 unter anderem zehntausende Kinder verschleppt und sie als Kämpfer oder Sexsklaven missbraucht. TAZ

AUS NORDUGANDA MARC ENGELHARDT

Seit September sind keine Kindersoldaten mehr aus dem Busch gekommen. Die Auffangstation, wo das Kinderhilfswerk World Vision normalerweise hunderte geflohene oder von der Armee gefangene Exrebellen der Lord’s Resistance Army (LRA) an ein Leben nach dem Buschkrieg gewöhnt, liegt still und verlassen da. Irgendwo, sagt Stationschef Sam Kilara mit suchendem Blick, muss noch ein Waisenjunge sein, der hier versorgt wird, bis entfernte Verwandte gefunden sind. „Aber es werden sicher wieder neue Kinder kommen, wenn der Friedensprozess weiter so stockt.“ Ein halbes Jahr Ruhe und Frieden haben die Gespräche zwischen Regierung und LRA den Nordugandern geschenkt – zum ersten Mal seit zwanzig Jahren. Doch an einen dauerhaften Frieden glauben die wenigsten, auch wenn am kommenden Donnerstag weiter verhandelt werden soll.

Wie viele Kinder der selbsternannte Prophet Gottes und LRA-Chef Joseph Kony derzeit noch unter Waffen hält, ist nicht bekannt. Seit Beginn seiner Fehde vor zwanzig Jahren haben Kony und seine Soldaten zehntausende Kinder entführt. Achtjährige Jungen werden als Soldaten, Mädchen als Sexsklavinnen und Küchenhilfen abgestellt. Die neuen Rekruten werden einer rigorosen Gehirnwäsche unterzogen, viele von ihnen müssen nahe Verwandte umbringen, um sich selbst den Rückweg in die Gesellschaft abzuschneiden. Wer nicht spurt, wird gefoltert und hingerichtet – von anderen Kindern, vor den Augen der ganzen Kompanie.

Auch als die Familien, von denen die meisten wie Kony der Ethnie der Acholi angehören, in große Lager flüchteten, gingen die Überfälle und Entführungen weiter. Kony brauchte ständig Nachschub, um gefallene oder vor Hunger und Erschöpfung gestorbene Kinder zu ersetzen.

Deogratius Okema ist einer von denen, der Konys Albtraumwelt entkommen sind. Der heute 20-Jährige hat acht Jahre an der Seite des LRA-Führers verbracht. „Wenn Kony nachts beten ging, habe ich ihm seinen Betstuhl hinterhergetragen.“ Die LRA nahm damals ihn und zwölf andere Kinder mit, die sich in einem Busbahnhof hinter einem Militärlager versteckt hielten. Keiner half ihnen, von den Soldaten der Regierungsarmee war nichts zu sehen. „Wir sind sieben Tage zu Fuß bei praller Sonne in die LRA-Lager im Südsudan marschiert“, erzählt Deogratius. „Es gab kein Wasser und nichts zu essen – zwei machten schlapp, die wurden erschlagen und mit der Machete in Stücke gehauen.“ Seine Stimme zittert, aber sein Blick ist fest auf die Wand gerichtet, während er weitererzählt. „Im Camp war ein Commander, der mich umbringen wollte. Aber Joseph Kony hat mich gerettet.“

Okemas Stimme wird fester, wenn er von Kony erzählt. „Kony hat mich mit nach Khartum genommen, mich an der Waffe ausbilden lassen und schließlich zum Captain befördert.“ Wegen seiner Treue habe Kony ihn schließlich als Leibwächter eingesetzt. „Da konnte mir niemand mehr etwas anhaben.“ Schließlich, sagt Okema, habe Kony selbst ihm gesagt: „Geh nach Hause.“ Da sei er aus dem Busch geflohen.

Nur Gutes über den Schlächter

Auf Kony lässt Okema nichts kommen: „Kony will die Armut in Norduganda beenden, er betet Tag und Nacht für die Menschen hier und will niemandem etwas Böses.“ Für die Gewalt, die Überfälle und all das Schlimme, das er selbst erlebt hat, macht Okema „die anderen“ verantwortlich, die Konys Befehle missachteten und das Acholi-Volk plünderten. „Kony kann nichts dafür, er weint oft, weil seine Männer so ungehorsam sind.“

Der 20-jährige Okema hat nie eine Schule besucht, er hat keine Frau, keine Kinder und keinen festen Job. „Eigentlich sollte man erwarten, dass die Rückkehrer Kony hassen“, meint Lucy Apiyo, die für World Vision im Flüchtlingslager Onyama am Rand von Gulu, der größten Stadt Nordugandas, arbeitet. „Aber das Gegenteil ist der Fall: Die Opfer halten sich mühsam ein Bild des strahlenden Führers aufrecht, damit ihnen ihr Leben nicht sinnlos erscheint.“ Apiyo weiß, wovon sie spricht. Die Selbstmordrate in den Flüchtlingscamps, in denen über Norduganda verstreut mehr als eine Million Menschen auf engstem Raum zusammengepfercht sind, steigt seit Jahren. Alle paar Wochen erhängt, erschießt oder ersticht sich jemand in Onyama. Meistens sind es Kinder oder Jugendliche.

Dabei waren nur die wenigsten Selbstmörder früher Kindersoldaten. Denn während die sich trotz aller erlebten Grausamkeiten an etwas – und sei es an Kony – festhalten können, hat Nordugandas Lagergeneration nichts dergleichen. Die Hälfte der ugandischen Bevölkerung ist unter 15 Jahre alt, so wie James Opio, der im Onyama-Lager lebt, solange er sich erinnern kann. „Als ich acht war, ist mein Vater gestorben, ein paar Jahre später meine Mutter – auf einmal war ich allein mit meinen fünf jüngeren Geschwistern.“

Im Dorf wäre das ein klassischer Fall für die Großfamilie – im Lager war Opio auf sich allein gestellt. „Ich habe versucht, Geld zu verdienen, aber es gab keine Jobs. Ich habe versucht, Lebensmittel oder andere Hilfe von den Organisationen zu bekommen, aber da waren so viele andere, dass ich kaum was abbekommen habe.“ Irgendwann wusste er nicht mehr weiter. §Ich habe mich nutzlos und wertlos gefühlt und gedacht: Da kann ich mich auch gleich umbringen, dann ist der Druck wenigstens weg.“

Dass er noch lebt, hat James wahrscheinlich Lucy Apiyo zu verdanken, die seit einigen Monaten Gruppentherapien mit den besonders schweren Fällen ausprobiert. „Depressionen sind ein riesiges Problem in den Flüchtlingslagern. Aber bisher hat sich niemand darum gekümmert, selbst Hilfsorganisationen empfinden so etwas als Luxusproblem.“ Erst seit die Selbstmorde so stark zunehmen, ändert sich das. Derzeit werden 56 Kinder von Psychotherapeuten wie Apiyo behandelt. Die etwa gleich vielen Mädchen und Jungen sprechen, malen, spielen gemeinsam. Und sie weinen, immer wieder. All das hilft ihnen, mit der Hoffnungslosigkeit im Lager fertig zu werden. „Wir waren sehr skeptisch, ob das klappt“, sagt Lucy Apiyo, „schließlich bieten wir nur die Therapie an, kein Geld, kein Essen, nichts sonst.“ Doch der Andrang ist riesig.

Die 16-jährige Jacqueline Akumo ist stolz, dass sie seit ihrer Therapie wieder arbeiten geht. Samstags klopft sie Steine im nahen Steinbruch, für umgerechnet einen Euro am Tag, „aber es gibt mir Kraft“. Und die gleichaltrige Jennifer Adoteh hat den Mut gefunden, ihren zehn Monate alten Sohn Sunday allein großzuziehen. „Das konnte ich mir vorher nicht vorstellen.“ Kinderschwangerschaften sind normal im Flüchtlingslager, wo es kaum Zerstreuung gibt.

Nur Alkohol gibt es in Massen: Wer kann, braut abenteuerliche Mixturen, denen nur gemeinsam ist, dass sie hochprozentig sind. Schon am Morgen hängen vor allem Männer mit glasigen Augen in den engen Gassen zwischen den Hütten aus Lehm. Traditionell sollten sie die Felder bestellen, doch die gibt es nicht in Lagern wie Onyama. Die ersten Männer sind in sogenannte Satellitenlager gezogen, wo die Regierung Parzellen bereitstellt. Doch viele haben seit zwanzig Jahren keine Schaufel mehr in der Hand gehalten, und sie sind ohnehin skeptisch, ob sie die Ernte auf diesem Land tatsächlich noch einbringen werden oder ob nicht die Rebellen, die Regierungsarmee oder beide ihnen nicht einfach alles wieder stehlen.

Aus diesem Grund hat Sophia Ayena versucht, auf den Hof zurückzukehren, von dem sie vor zehn Jahren geflohen ist. Seitdem hat sie in einem Flüchtlingscamp in Lira gelebt, sechzig Kilometer von ihrer Heimat entfernt. „Aber als ich nach mehreren Tagen Reise zu Hause angekommen bin, waren da schon Leute auf meinem alten Hof“, berichtet die fünffache Mutter mit belegter Stimme. „Als ich gesagt habe, ich will mein Land zurück, haben sie mich nur ausgelacht und fortgeschickt.“

Wieder zurück ins Lager

Jetzt sitzt Sophia Ayena wieder in Lira und weiß nicht, was sie tun soll. Die Polizei hat ihr erklärt, dass sie nicht helfen kann. „Von denen habe ich auch keine Hilfe erwartet, die Regierung selbst verscherbelt ja gerade unser Land.“ Während die Armee Flüchtlinge mit Straßensperren und Einschüchterungen von der Rückkehr abhält, sollen die Filetstücke des fruchtbaren Acholi-Lands angeblich schon an die meistbietenden Großfarmer verkauft worden sein.

„Immer mehr finden sich deshalb damit ab, dass sie für immer hier bleiben werden“, weiß Mike Odur, der für eine Partnerorganisation der Kindernothilfe in Lira arbeitet. Weil die LRA-Rebellen Hütten und Höfe niedergebrannt haben, ist der Neustart in der alten Heimat beschwerlich. Hinzu kommt eine neue Gefahr: Seit die LRA nicht mehr angreift, haben die Karamajong, Viehdiebe aus dem Nordosten Ugandas, ihre Attacken bis ins Umland von Lira ausgeweitet. Diejenigen, die noch Vieh hatten, haben es verkauft, um nicht Opfer der neuen Angreifer zu werden. Dass sie damit ihre letzte Hoffnung auf einen Neuanfang als Farmer aufgegeben haben, stört sie nicht. Hoffnung steht in Norduganda derzeit eben nicht sonderlich hoch im Kurs.

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