: In der Höhle der Löwinnen
Einen bezaubernden Abend mit erotischen Geschichten gibt es jeden Monat in „Angie’s Nightclub“ auf der Hamburger Reeperbahn. Am Ende sind die Frauen im Publikum ordentlich aufgeheizt. Einziges Problem: Von den Männern fehlt jede Spur
Neulich in „Angie’s Nightclub“ mit meiner Freundin Nele: Frauenabend, nicht nur für uns. In jeder Sitznische hocken ein paar Frauen und tuscheln und kichern und erwarten gespannt, was das nun heute wird, diese erotische Lesung für Frauen. Neben uns stoßen zwei Damen darauf an, dass sie nun endlich mal ohne die Jungs unter sich seien, das wäre doch viel zu selten. Neles Stimme holt mich zurück: „Hoffentlich läuft hier etwas mehr als diese öden, verkitschten Beschreibungen einer Badewanne mit Kerzen und Rosenblättern.“ Nele wappnet sich mit einem Gin Tonic. „Nee“, erkläre ich, „das sind Sexszenen aus Büchern bekannterer Schriftsteller.“ Und hoffe dabei, dass, wer einen glatten Roman hinlegen kann, auch fähig ist, Sex realistisch und hübsch zu beschreiben.
Für die Hörbuchreihe „Scharfe Stimmen“ haben der Verlag Hoffmann und Campe und die Frauenzeitschrift Petra 2000 Jahre sexy Literatur durchforstet und präsentieren diese nun auf Doppel-CD einerseits und an jedem letzten Dienstag im Monat bei Angie auf der Hamburger Reeperbahn andererseits. Im Mai versucht sich Jan Josef Liefers an Joyce Carol Oates’ „Ich schließe mich selbst ein“, Sibylle Knauss’ „Die Marquise de Sade“ liest Michael Mendl im Juli vor. Kurz vor Weihnachten endet der Reigen biblisch mit dem Hohelied Salomos, gelesen von Christian Brückner: „Dein Mund ist beim Plaudern so lieblich“ heißt es dort – den Ton hätten ein Dutzend Schlager nicht besser treffen können.
Heute liest Christian Redl. „Wer war das noch gleich?“, fragt Nele. „Einer von den Nazis in ‚Der Untergang‘. Der mit der Glatze.“ Neles Skeptik wächst. Während auf Angies Tanzfläche schon ein Saxophon und ein Klavier positioniert werden, belauschen Nele und ich nun gemeinsam das Gespräch von nebenan. Thema: Sinn und Unsinn des Glückshefts, der Pornozeitschrift für Frauen. Ob das nicht etwas sexistisch sei und zu teuer und so.
An dieser Stelle werden sie auch schon von Christian Redl unterbrochen, der aus Georges Simenons „Betty“ liest. Hier wird klar, was Hoffmann und Campe sich mit den scharfen Stimmen gedacht hat, denn mit der Figur der Betty schuf der Autor von Kommissar Maigret ein Musterbeispiel der hin- und hergerissenen Femme Fatale. Betty ist 28 und hat zu früh zu viel erreicht, um noch stolz auf sich sein zu können. Als eines Abends die Kinder im Bett und der Mann aus dem Haus sind, betrügt sie ihn – in der guten Stube, nackt tanzend mit einem Musiker. Redl trägt sie hinreißend vor, diese impulsive, zerbrechliche Betty, die doch beneidenswerte Coolness an den Tagtraum legt. Und die uns im wahren Leben doch so unsympathisch wäre.
Die scharfen Stimmen präsentieren nette, unaufdringliche Ausnahmezustände und ich könnte schwören, dass Männer ihnen auch etwas abgewinnen könnten. Doch heute Abend zumindest hat sich außerhalb der Bühne keiner hergetraut. Immerhin ist Christian Redls wirklich adäquate, sexy Stimme nicht spurlos an den Damen nebenan vorbeigegangen, hat sie doch jeglichen Klang des Generaloberst Jodl verdrängt. Gemeinsam mit Saxophon-, Klavier- und Gin-Tonic-Begleitung zeigt sie, dass Erotik nicht gleichbedeutend mit Masturbationsvorlage ist.
Womit die beiden auch wieder beim Thema sind. Leicht angeschäkert traut sich Freundin A nun endlich, Freundin B zu fragen, ob sie sich das Glücksheft nicht doch mal borgen dürfte, nur mal testen. Wären die mit ihren Jungs hier, sie würden ihre helle Freude an den aufgeheizten Frauen haben, bemerkt Nele. Und sie hat recht: Nach der knappen Stunde vorgetragenem Sex haben die meisten in diesem Pool kluger, hübscher Frauen ordentlich einen im Tee und wirken Flirtbeute wenig abgeneigt. Wenn Mann sich doch nur in die Höhle der Löwinnen traute! JESSICA RICCÒ
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