piwik no script img

Das Tier in mir

In der linken Szene wächst das Bewusstsein für ein neues Problem: die Unterdrückung der Tiere. Die „Antispeziesisten“ treten für die Tierbefreiung ein. Der militante Flügel dieser Szene verübt schon mal Brandanschläge gegen Wurstfabriken, wie jüngst in Hannover. Eine kleine Reise durch die Bewegung

Nicht alle in der linken Szene finden, dass Tiere in den politischen Kampf miteinbezogen werden sollten „Unity of Oppressions“: Die Antispeziesisten holen die Unterdrückung der Tiere heim in die revolutionäre Theorie

VON DANIEL WIESE

Hannover Hauptbahnhof. Der Treffpunkt ist das Reiterdenkmal auf dem Bahnhofsvorplatz, „unter dem Schwanz“ heiße das in Hannover, hat mein Gesprächspartner Christian am Telefon gesagt. Christian ruft mit unterdrückter Nummer an, sein richtiger Name soll nicht gedruckt werden. „Schlechte Erfahrungen“, sagt er und grinst.

Christian ist 24 und gehört zu den „Herrschaftskritischen AntispeziesistInnen Hannover“, einer Gruppe innerhalb der Tierbefreiungsszene. Der militante Flügel dieser Szene verübt schon mal Brandanschläge gegen Wurstfabriken, wie jüngst in Hannover geschehen. Die Fabrik „repräsentiere eine Facette des Speziesismus – die systematische Tötung von Tieren für den Fleischkonsum“, hießt es in dem Bekennerschreiben.

Die „Herrschaftskritischen AntispeziesistInnen Hannover“ haben zwar mit dem Anschlag nichts zu tun, wie sie erklären. Der „Speziesismus“ ist aber auch ihr Feind. „Speziesismus“ sei ein Begriff analog zu „Sexismus“ und „Rassismus“, erklärt Christian. Nur dass in diesem Fall nicht andere Geschlechter diskriminiert werden oder andere Rassen, sondern andere Spezies. „Nichtmenschliche Tiere“ sagen die Antispeziesisten, um zu betonen, dass der Mensch auch ein Tier ist.

Wir sitzen in der Volksküche des Jugendzentrums, in dem sich Christians Gruppe trifft. Es riecht nach Kneipe am Morgen danach, an den Wänden hängen Plakate gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm. „Tierbefreiung sehen wir im Rahmen einer weit umfassenden Herrschaftskritik“, schreiben die AntispeziesistInnen auf ihrer Homepage, und das sie „anderen progressiven sozialen Bewegungen“ nahe stünden.

Christian sagt, dass er aus der linksradikalen Antifa-Szene kommt, doch das sieht man ihm nicht an. Er trägt eine Outdoorjacke in gedecktem Grün, die Haare sind weder zu kurz noch zu lang. Christian sieht aus wie der nette Student von nebenan, einzig sein Portemonnaie mit dem roten Stern deutet auf eine andere Szene hin. Doch das Portemonnaie sei ein Relikt, meint Christian. Er habe alles abgelegt, weil er sich „mit dieser Kultur“ nicht mehr identifiziere.

Trotzdem würde sich Christian immer noch der linken Szene zuordnen, nur eben anders. Das alte marxistische Denken, das die Welt in Haupt- und Nebenwidersprüchen teil, sei out, erklärt er. Diskutiert werde derzeit die „Triple Oppression Theory“, nach der sich Sexismus und Rassismus nicht auf Klassengegensätze zurückführen lassen. Die drei Widersprüche stehen gleichberechtigt nebeneinander, und wenn es mehr als drei sind, spricht man von der „Unity of Oppressions“. Das ist genau der theoretische Ort, an dem die Antispeziesisten andocken, die Unterdrückung der Tiere wäre heimgeholt in die revolutionäre Theorie.

Die Gegenargumente kennt Christian auch schon alle. Klar doch, die Unterdrückung von Tieren sei nicht dasselbe wie die zwischenmenschliche Unterdrückung, Christian zündet sich eine Zigarette an. Aber Sexismus sei ja auch nicht dasselbe wie Rassismus. Und die Diskriminierungsmechanismen seien „teils die gleichen“.

Die Antispeziesisten argumentieren damit, dass Tiere ein Bewusstsein haben und leiden können. Könnte man die Tiere fragen, würden sie es ablehnen, in den Schlachthof zu gehen. „Die Tiere haben kein Interesse zu sterben“, sagt Christian. „Sie haben auch kein Interesse, eingesperrt zu sein, oder zwangsgeschwängert zu werden, oder sich ihren Nachwuchs wegnehmen zu lassen“. Pferde, Kühe und Schweine würden schreien, wenn man ihnen ihre Jungen nimmt.

Antispeziesten lehnen nicht nur den Fleischkonsum, sondern jede Verwertung von Tieren ab. Auch Biolandwirtschaft sei keine Lösung. „Für die Menschen ist das ganz nett, aber für die Tiere kontraproduktiv“, sagt Christian. Natürlich gibt es Grenzfälle. „Darf man ein unbefruchtetes Ei nehmen, wenn die Hühner das in der Natur hinlegen?“, solche Fragen diskutiert Christians Gruppe, bisher hat sie darüber noch keinen Konsens erzielt.

Ginge es nach den Antispeziesisten, müsste das Grundgesetz verändert werden. „Die Würde des Tiers ist unantastbar“, müsste in Artikel eins stehen. Denn Tiere sind für die Antispeziesisten Individuen und damit Rechtssubjekte. Antispeziesisten sagen auch nicht „tierisch“, sondern „tierlich“. „Tierisch“ ist in ihren Augen eine Abwertung.

Nicht alle in der linken Szene finden, dass Tiere in den politischen Kampf miteinbezogen werden sollten. „Wenn ihr keine Eier esst, müsst ihr auch gegen Abtreibung sein“, hat man den AntispeziestInnen in Hannover vorgeworfen. Gerade in der autonomen Szene seien Tierrecht und Tierbefreiung ein „schwieriges Thema“, meint Christian. Im Moment sehe es aber „ganz gut“ aus, gerade die jungen Leute, die neu dazustoßen, seien dem Thema gegenüber sehr aufgeschlossen.

Ähnliches berichtet die „Tierrechts Aktion Nord“ in Hamburg, die seit 20 Jahren an der Tierbefreiungsfront kämpft. Wenn die Leute zu ihnen kommen, seien sie meistens Studenten, manchmal sogar noch Schüler, berichtet Susann Witt-Stahl, mit 45 „das einzige übrig gebliebene“ Gründungsmitglied der Gruppe. Auf der Homepage der „Tierrechts Aktion Nord“ sind die Aktionen der Gruppe aufgelistet. Sie hat den Hamburger Schlachthof besetzt, hat McDonald-Filialen blockiert und Pelzmodenschauen gestört. Zirkussen mit Tierdressuren stattete sie einen Besuch ab, und bei den Demos gegen „Hagenbecks Tierpark“ waren mehr als 300 Leute. Sogar der Verfassungsschutz ermittelte, wegen „Bildung einer kriminellen Vereinigung“.

Inzwischen habe man sich allerdings „mehr auf Theoriearbeit verlegt“, sagt Susann. Wir sitzen in einem Café in Hamburg St. Pauli, eine ruhige Seitenstraße, und Susann hatte einen Milchkaffee bestellt, mit Sojamilch. Jetzt rührt sie misstrauisch in der Tasse. „Ist das auch wirklich Sojamilch?“, fragt sie ihren Mitaktivisten André. Seit 16 Jahren habe sie keine Kuhmilch mehr getrunken, den Geschmack würde sie gar nicht mehr erkennen.

Wie alle Antispeziesisten lebt Susann vegan, und ihre schwarze Trägerhose ist nicht aus Leder. Doch das, sagt Susann, sei nicht der Punkt. „Wir glauben nicht, dass man durch die vegane Lebensweise die Gesellschaft umkrempeln kann.“

Die Gesellschaft verändern, darunter macht es die Tierrechts Aktion Nord nicht, und so ist das Erste, was einem Susann in die Hand drückt, auch die Einladung zu einer Buchvorstellung mit Vortrag. Der italienische Philosoph Marco Maurizi wird zu „Marxismus und Antispeziesismus“ sprechen, Präsentation: die „Marxistische Abendschule Hamburg“.

Zu dem Buch, das vorgestellt wird, hat Susann selbst einen Aufsatz beigesteuert, er trägt den Titel „Das Tier als der ewige Jude“ und rechnet mit den Schlachthof-KZ-Vergleichen von Tierschützern wie Peta ab, zugleich aber auch mit Versuchen, den Tierbefreiern aus den Peta-Aktionen einen Strick zu drehen. „Wir sagen, solche Vergleiche sind pseudo-radikal“, sagt Susann und schiebt ihre blaue Sonnenbrille hoch. Peta habe einen „inflationären Ausverkauf der Shoa“ betrieben und die Vernichtung der Juden zur Werbestrategie gemacht.

Von Tierschützern wie Peta und „Vier Pfoten“ distanzieren sich die Antispeziesisten der „Tierrechts Aktion Nord“ sowieso. „Mächtige Symbolik, aber keine Kapitalismuskritik“ lautet Susanns Diagnose. Zur Lektüre empfiehlt sie die Marx’schen Frühschriften, besonders die Passagen zum Mensch-Natur-Verhältnis, und Horkheimer/Adornos „Dialektik der Aufklärung“. „Wenn man dort alle Passagen rausstriche, in denen es um Tiere geht, bliebe nicht mehr viel übrig“, sagt Susann. Ihrer Meinung nach gibt es keine Befreiung des Menschen ohne die Befreiung der Tiere. In der Unterdrückung der Tiere unterdrücke der Mensch seine eigenen tierischen Anteile, „denk bloß mal an die Monogamie“, sagt Susann. „Die Vorstellung, dass man nur mit einer Person Sex haben darf, ist ja weit verbreitet.“ Der Hass, der Tieren entgegenschlage, der Vernichtungs- und Aggressionszwang ihnen gegenüber richte sich gegen die eigenen verdrängten tierischen Anteile.

Susann hält viel von Ideologiekritik, im Sinne eines Entlarvens von falschem Bewusstsein, das die gesellschaftlichen Verhältnissen produzieren. Im Kampf gegen das falsche Bewusstsein gibt die „Tierrechts Aktion Nord“ Reader heraus, hält Theorietagungen ab. „Wenn man schon eine Gruppe ist, sollte man produktiv sein und nicht nur dasitzen und die Welt beweinen“, findet Susann.

Und doch war es nicht die politische Analyse, durch die Susann zu den Antispeziesisten kam. Es war, wie sie es jetzt ausdrückt, „das Entsetzten über das Mensch-Tier-Verhältnis in der verwalteten Welt“. Und dann erzählt sie vom Hamburger Schlachthof, neben dem Freunde von ihr wohnten, und wo sie die Tierschreie hörte. Mitten in der Zivilisation finde ein ungeheures Morden statt, sagt Susann. „Körper werden aufgeschlitzt, Tiere schreien in Todesangst, und keiner hilft ihnen.“

Auf der Startseite der „Tierrechts Aktion Nord“ steht das Foto eines kleinen Affen, der, man weiß nicht, ob im Spaß oder im Ernst, seinen Kopf zum Boden richtet und dabei die Hand vors Gesicht hält, so als könnte oder wollte er etwas nicht mehr ertragen. Daneben stehen die Zeilen eines Gedichts von Ella Wheller Wilcox: „And I am my brother’s keeper,/ And I will fight his fight;/ And speak the word for beast and bird/ Till the world shall set things right.“

Es ist doch ganz normal, dass man erst mal was nicht gut findet, bevor man sich engagiert“, sagt Susann Witt-Stahl. Deswegen werde, wofür man sich engagiere, ja noch nicht falsch.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen