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„Al-Qaida gilt als weichgespült“

ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Guido Steinberg über die Dynamik der deutschen Dschihadisten-Szene

Guido Steinberg

■ Der Autor: geb. 1968, promovierter Islamwissenschaftler und Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Bis Oktober 2005 arbeitete Guido Steinberg als Terrorismusreferent im Bundeskanzleramt.

■ Das Buch: „Al-Qaidas deutsche Kämpfer. Die Globalisierung des islamistischen Terrorismus“. Edition Körber Stiftung, Hamburg 2014, 464 Seiten, 18 Euro

INTERVIEW SABINE AM ORDE

sonntaz: Herr Steinberg, in Ihrem neuen Buch geht es um die Globalisierung des islamistischen Terrorismus und deutsche Dschihadisten. Als größte Bedrohung gilt derzeit der „Islamische Staat“ (IS). Wird der IS in Deutschland zuschlagen?

Guido Steinberg: Ich bin fest davon überzeugt, dass der IS Anschläge in Europa planen wird, in Deutschland oder einem anderen Land. Abu Bakr al-Baghdadi, der IS-Anführer, will die Führung in der dschihadistischen Bewegung übernehmen. Bin Ladens Erbe kann er nur antreten, wenn er aufsehenerregende Anschläge nach dem Muster des 11. September verübt. Da IS nicht in der Lage ist, Anschläge in den USA zu begehen, wird Europa das Ziel sein, auch weil IS so viele europäische Rekruten hat. Wahrscheinlich werden es Anschläge im Ausmaß von Madrid 2004 oder London 2005 sein.

Hat IS eine Agenda für Europa?

Nein, Ziel ist der Aufbau eines grenzübergreifenden islamischen Staats im Irak und im historischen Großsyrien, das heißt einschließlich Libanon, Jordanien, Israel und einiger Teile der Türkei. Auch der Kampf gegen Saudi-Arabien ist angekündigt. Darüber hinaus gibt es nur eine vage Vision von Weltherrschaft.

Welche Rolle spielen deutsche Dschihadisten im IS?

IS ist vor allem eine irakisch-syrische Organisation. Deutsche und andere Europäer werden in der Propaganda eingesetzt, in Verwaltungsjobs und in den letzten Monaten häufig als Selbstmordattentäter. Das dürfte daran liegen, dass ihnen die militärische Ausbildung fehlt. Oder daran, dass sie das selbst wünschen.

Über 400 Ausreisen deutscher Islamisten soll es seit 2012 nach Syrien gegeben haben, deutlich mehr als vor einigen Jahren ins pakistanisch-afghanische Grenzgebiet. Woher kommt der Zulauf?

Zum einen hat die deutsche Szene von ihrer Größe her eine kritische Masse erreicht. Außerdem ist es einfach, nach Syrien zu kommen. Mit dem Personalausweis kommt man in die Türkei, dann ist man schon an der syrischen Grenze. Zumindest bis zum letzten Winter konnte man gut eigeninitiativ dort hinreisen. Jetzt ist die Konkurrenz unter den Organisationen ein Problem. Viele Rekruten wollen den bedrängten Syrern zu Hilfe kommen. Von den Untaten des Assad-Regimes gibt es im Internet viele Bilder, die haben für sehr viel Empörung gesorgt.

Hat sich auch die Organisationsform der deutschen Dschihadisten verändert?

Ja, der Organisationsgrad wächst stetig. Das konnte man in Pakistan feststellen, wo Deutsche sich schon 2009 zu einer Einheit zusammengetan haben. In Deutschland gründete sich Millatu Ibrahim, seit 2011 die wichtigste dschihadistische Organisation. Sie ist längst verboten, mit den Resten haben wir aber noch zu tun.

Sie beschreiben die Sauerlandgruppe, die 2007 festgenommen wurde, als „hybride Organisationsform“. Was heißt das?

Dass diese Gruppe nicht mehr rekrutiert wurde. Kurz nach 2001 gab es einen Al-Qaida-Emir in Deutschland, der rekrutiert hat, dann die Rekruten nach Pakistan schickte, und alles war generalstabsmäßig organisiert. Bei der Sauerlandzelle scheint sehr viel Eigeninitiative dabei gewesen zu sein. Sie haben versucht, nach Tschetschenien zu kommen, dann in den Irak, das ist beides nicht gelungen, dann wollen sie eher zufällig in Waziristan gelandet sein. Dort haben sie sich der Islamischen Dschihad-Union angeschlossen und sind mit einem Auftrag zurückgekommen.

Reisen Islamisten heute mit dem Ziel nach Syrien, für IS zu kämpfen? Oder ist es Zufall, wo sie landen?

Mein Eindruck ist, dass die Rekrutierung heute oft im Freundeskreis erfolgt. Man geht in einer kleinen Gruppe von Gleichgesinnten und sorgt dafür, dass man einen Anlaufpunkt zum Beispiel in Istanbul hat. Wie dieser Kontakt hergestellt wird, ist mir nicht ganz klar. Deutlich ist aber, dass die Anzahl der Ausreisen in dem Moment zugenommen hat, als die ersten Deutschen dort angekommen sind und begonnen haben, im Internet Propaganda zu machen. Denis Cuspert, der früher als Rapper bekannt war und inzwischen für den IS auftritt, spielt da eine sehr wichtige Rolle.

Was macht den IS so attraktiv?

Der Wunsch, in einem Staat zu leben, wie ihn sich Salafisten vorstellen, ist sehr ausgeprägt. IS bietet das glaubhaft an.

Welche Rolle spielt die ungeheure Brutalität des IS?

Man kann im Internet die Bilder von deutschen Rekruten mit den Köpfen von kurdischen Soldaten in der Hand oder beim Schänden von Leichen sehen. IS ist wegen der großen Gewaltbereitschaft attraktiv. Viele Rekruten scheinen IS für das dschihadistische Original zu halten, und die Nusra-Front, die ja zu al-Qaida gehört, für eine weichgespülte politische Version.

Ein islamistischer Anschlag ist in Deutschland bislang gelungen: Arid Uka tötete am Frankfurter Flughafen zwei US-Soldaten und verletzte zwei schwer. Ist Uka ein typischer deutscher Dschihadist?

Den gibt es nicht. Bei Uka weiß man nichts über Kontakte zu anderen, deshalb gilt er als typischer Einzeltäter. Vor ein paar Jahren galt das als der Dschihadismus der Zukunft. Solche Anschläge lassen sich nicht verhindern. Richtig gefährlich wird es aber, wenn eine Organisation wie IS ihre Ressourcen einsetzt: Wenn Geld da ist, Rekruten, Kapazitäten, diese auszubilden.

Sie halten die Bekämpfung des islamistischen Terrorismus in Deutschland für unzureichend – zentrale Hinweise kamen in der Vergangenheit von anderen Geheimdiensten. Was muss geschehen?

Man könnte Moscheen und Kulturzentren aggressiver überwachen, um Radikalisierungsprozesse besser mitzubekommen. Man könnte auch bei der Gewinnung von Quellen mit mehr Druck arbeiten, ausländerrechtlich zum Beispiel. Unsere Nachbarländer, die bessere Geheimdienste haben, arbeiten so. Wir sollten das zumindest diskutieren, auch wenn ich annehme, die Antwort ist nein – solange kein Anschlag geschieht. Dann muss man aber zumindest die präventive Arbeit verstärken.

Wie?

Es geht ganz banal um Sozialarbeit. Gut wäre auch ein Aussteigerprogramm. Dazu müsste man eine Person gewinnen, die verurteilt ist, in der Szene glaubwürdig, und die sagt: Leute, lasst das sein. Wie es die Briten haben. Das ist bislang in einem Fall versucht worden: Bei Daniel Schneider aus der Sauerland-Gruppe. Da ist es leider gescheitert.

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