: Park oder Party?
STEPPE Die Festmeile auf dem 17. Juni verschleißt den Tiergarten. Zudem fehlt Geld für die Pflege – den Senat kümmert’s wenig
VON RONALD BERG
Schon jetzt ist abzusehen: Die Ära Wowereit wird immensen Flurschaden hinterlassen. Die Politik nach dem Motto „Party, Party über alles“ hat den Großen Tiergarten de facto zum zentralen Festplatz der Stadt gemacht. Die Folge: Besonders im östlichen Teil des Parks, dort wo vor dem Brandenburger Tor und entlang der Straße des 17. Juni sich eine Großveranstaltung nach der anderen durch den Jahreskreis zieht, ist der Tiergarten seines Unterholzes und seiner Krautflora beraubt, der Boden mit Urin getränkt und durch unzählige Fußtritte hart wie Beton geworden. Es gibt regelrechte Schneisen von der Straße in den Park hinein. Trampelpfade finden sich allerdings inzwischen auch an vielen anderen Stellen des Gartendenkmals von europäischem Rang.
Die Steppe breitet sich aus
Zwar stehen im Tiergarten noch jene alten Bäume, die man ab 1949 auf die im letzten Krieg zerbombte und in der Blockadezeit abgeholzte und für Gemüse parzellierte Fläche pflanzte. Doch darunter breitet sich langsam, aber unaufhörlich die Steppe aus. Im Schatten der Bäume bringen die Gärtner kaum noch etwas hoch. Pflanzen brauchen eben Zeit und Licht, um zu wachsen. Falls sie nicht bei der nächsten Fanmeile, bei Marathonlauf, Silvesterparty oder Einheitsfeier ohnehin wieder platt getreten werden. Den gleichen Effekt verursacht übrigens auch der rege Verkehr der Gay Community in den Rhododendronsträuchern westlich der Siegessäule.
Der einzige Lichtblick beim Zustand des Tiergartens in den letzten Jahren sind die aus dem Park verbannten Griller. Deren CO2- und rußgeschwängerte Schwaden sorgten an so manchem Wochenende für künstlichen Nebel in der Grünanlage. Das Grillverbot hatte schließlich vor allem deshalb politisch Erfolg, weil es dem Bezirk eine Kostenersparnis bei der Beseitigung der Müllberge einbrachte.
Carsten Spallek (CDU), Stadtentwicklungs-Stadtrat von Mitte, hat schon vor zwei Jahren eine Bankrotterklärung in Sachen Tiergarten abgeben: Der Bezirk hätte „nicht mehr den notwendigen finanziellen Rahmen, der für eine solche Parkanlage, für ihre Pflege und Unterhaltung benötigt wird“, lautete sein Lagebericht. Seitdem sind die „Unterhaltungsmittel des Straßen- und Grünflächenamts von Mitte von 2,5 Millionen Euro im Jahr 2012 auf 1,3 Millionen Euro in den Jahren 2013 und 2014 geschrumpft“, teilt das Büro von Carsten Spallek aktuell mit. „Aufgrund der ganzjährigen Haushaltssperre können die Gelder ausschließlich zur Aufrechterhaltung der Verkehrssicherheit verausgabt werden. Maßnahmen wie Ersatzpflanzungen sind nicht beziehungsweise nur in geringsten Umfang möglich“, heißt es jetzt zum Status quo aus dem Bezirk.
Das Grünflächenamt im Tiergarten muss heute mit weniger als zwanzig Leuten auskommen, wo noch vor rund einer Dekade viermal so viele Gärtner bei der Arbeit waren. Und die heutige Restcrew verrichtet Sisyphosarbeit. Sind Schäden ausgebessert, kommen schon wieder neue. Eine absurde Veranstaltung.
Denkmalpflege kuscht
Vor allem im Vergleich zu Zeiten vor Love-Parade und Co. sieht der Park ziemlich gerupft aus. Dabei stellte die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt bereits 1986, also noch zu Mauerzeiten, eine „Überbeanspruchung“ des Parks fest und empfahl „zusätzliche Flächen in seinem näheren und weiteren Umfeld für aktuelle, meistens auch zerstörend wirkende Freizeitaktivitäten zu erschließen“. Nach der Wende kam es genau andersrum: Die begrünten Brachen auf dem Moabiter Werder nördlich und im alten Diplomatenviertel südlich des Tiergarten gingen als Naturraum durch Bebauung verloren.
Doch die heutige Übernutzung durch Zweckentfremdung als Partymeile ist öffentlich kaum einmal Thema: Die Naturschutzverbände haben sich zum Tiergarten nie explizit geäußert. Die Denkmalpflege als nachgeordnete Behörde kuscht vor den politischen Entscheidungsträgern, deren Vorgaben sie willfährig hinnehmen und exekutieren. Mehr noch: Die Denkmalpflege hat selbst einiges zur Beseitigung des Stadtgrüns beigetragen, indem sie seit den achtziger Jahren barocke Achsen in den Tiergarten schlagen ließ, die längst verschwunden und in der modernistischen Nachkriegsgestaltung bewusst vermieden worden waren.
Den Bürgern ist Stadtgrün zwar wichtig, aber an dessen Verwahrlosung hat man sich offenbar gewöhnt: Zumal der Tiergarten noch ziemlich proper aussieht, vergleicht man ihn mit innerstädtischen Wüsten wie den Mauerpark oder den Görlitzer Park.
Dennoch: Im Grunde ist die heutige Genehmigungspraxis von Großveranstaltungen im Tiergarten ein Skandal und verstößt permanent gegen Geist und Buchstaben des Berliner Grünanlagengesetzes. Darin heißt es klipp und klar: „Öffentliche Grün- und Erholungsanlagen dürfen nur so benutzt werden, wie es sich aus der Natur der einzelnen Anlage und ihrer Zweckbestimmung ergibt. Die Benutzung muss schonend erfolgen, so dass Anpfanzungen und Ausstattungen nicht beschädigt, verschmutzt oder anderweitig andere Anlagenbesucher nicht gefährdet oder unzumutbar gestört werden.“
Die Gebühren für Bierbudenveranstaltungen auf dem 17. Juni generieren aber nun mal dringend benötigte Einnahmen für den Bezirk. Außerdem locken Events Kaufkraft von auswärts in die Stadt. Nur leider fließen die Einnahmen aus den Veranstaltungen im Park nicht in dessen Pflege, sondern stopfen Haushaltslöcher.
Dass der Tiergarten zerschlissen wird, kümmerte den obersten Partygänger Klaus Wowereit und seine Nebenregierung aus den Reihen des Berlin Tourismus Marketings offenbar wenig. Berlin muss weltweit als Partylocation vermarktet werden, und dazu braucht es eben die Massenevents zwischen den Wahrzeichen Brandenburger Tor und Siegessäule.
Ob beim nächsten Regierenden ein permanenter Zaun das Problem lösen soll, ist derzeit offen. Fest steht, dass auch ein Zaun, der nur dazu diente, den Zugang zu den Veranstaltungsflächen zu kontrollieren, dem Park schaden würde, verbarrikadierte er doch eigentlich öffentliche Erholungsflächen. Im Grunde wäre ein solcher Zaun die Festschreibung eines Missbrauchs. Er würde den Park umwidmen zur Partymeile mit Rückzugsraum für drohende Massenpaniken. Mit einem Erholungspark, mit Naturschutz oder mit ästhetischen Qualitäten eines Denkmals hat das nichts zu tun.
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