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Aufdrehen zum Tanz

Das Schlepperballett ist einer der Höhepunkte des Hamburger Hafengeburtstags, der von heute an zum 818. Mal gefeiert wird. Außerdem ist es ein Sinnbild für die Entwicklung der Stadt hin zu einem touristischen Reiseziel mit Freizeitwert – bei gleichzeitigem Hafen- und Logistik-Boom

VON KLAUS IRLER

Unter normalen Umständen gibt es eine goldene Regel unter Hafenlotsen und Schiffsführern, und die lautet: Anweisungen über Funk immer bestätigen. Wenn keine Regung kommt vom anderen Ende der Leitung, stimmt was nicht. Und wenn etwas nicht stimmt, ist das gar nicht gut: Einen Containerfrachter hat man ungern an einem Ort, an den er nicht hingehört.

Aber einmal im Jahr ist das anders: beim Schlepperballett im Rahmen des Hafengeburtstags. Hafenlotse Dietrich Petersen wartet dann auf keine Antwort, wenn er seine Anweisung per Funkgerät durchgegeben hat. Er erwartet dann, dass die Schiffsführer auf den Schleppern ohne Reaktion einfach umsetzen, was er vorgibt. Petersen ist dann nämlich nicht mehr Hafenlotse, sondern Dirigent.

Dirigiert wird das Schlepperballett vom Hamburger Hafenclub aus, dem Logenplatz über den Landungsbrücken mit Blick auf die Elbe. Das ist das Pult. Das Orchester sind fünf Schlepper, verbunden durch die Freisprechanlage, die die Schiffsführer die ganze Show hindurch per Fußtaste aktiviert haben. Petersen steht dann da, die Musik aus den Lautsprechern im Ohr und als Partitur die selbst gezeichnete Choreographie vor sich. Sein Taktstock ist das Funkgerät auf UKW-Frequenz.

Schlepperballett, das bedeutet, dass sich die Schlepper zu Walzer- oder Marschmusik umeinander drehen, Bugwellen produzieren, im Takt schaukeln. Es geht darum, dass sich 4.000 PS starke Maschienen synchron bewegen, dass sie einsteigen auf das sensible Medium der Musik, ein Herz haben für eine Kulturleistung wie den Tanz und, ganz anders als sonst, keineswegs nur fürs Grobe da sind.

Das Schlepperballett ist dazu da, die Schlepper auszuführen. Und gleichzeitig zu zeigen, dass die Schiffsführer „Künstler sind“. Das sagt der Dirigent, und er denkt dabei wohl an die Schwierigkeiten beim Manövrieren. Denn der Schiffsführer muss zwei extrem bewegliche Motoren koordinieren, einen mit der linken und einen mit der rechten Hand. Gleichzeitig muss er auf die Anweisungen achten und darauf, was die anderen Schlepper gerade machen.

„Die Idee ist, die Wendigkeit der Schlepper vorzuführen“, sagt Dietrich Petersen. Geboren wurde die Idee seinerzeit ohne künstlerische Motivation: Ende der 1970er Jahre wollten die Lotsen die Schlepperreedereien überzeugen, Schlepper mit Schottel- oder Voith-Schneider-Antrieb anzuschaffen. Bei beiden Antrieben nämlich sind die Propeller drehbar, sodass der Schub in der Größe und Richtung beliebig eingestellt werden kann. Daher kommt die Wendigkeit der Schlepper. Und die, sagt Petersen, ist „für unsere Arbeit im Hafen extrem wichtig“.

Dietrich Petersen, 61, ist braungebrannt, hat blaue Augen, einen roten, sportlichen Anorak an und das Funkgerät vor die Brust geschnallt. Seit 28 Jahren ist er Lotse im Hamburger Hafen und seit fünf Jahren Leiter des Schlepperballetts. Übernommen hat er die Aufgabe von Klaus Petersen, der nicht mit Dietrich Petersen verwandt ist und das Schlepperballett zum ersten Mal im Jahr 1980 beim Hafengeburtstag vorführte.

Seitdem wiederholten sich die Choreographien über die Jahre, klar. Aber es gibt auch eine sanfte Entwicklung: Die Musik wechselt. Und die Erfahrung wächst – allerdings langsam. Denn „vorher üben ist nicht drin“, sagt Petersen. „Es wäre unbezahlbar, fünf Schlepper aus dem Geschäft abzuziehen. Die sollen ihre Arbeit machen und Geld verdienen.“

Was zur Vorbereitung des einstündigen Programms bleibt, sind pro Schiffsführer sechs Blätter, auf denen Petersen die Choreographien frei Hand aufgezeichnet hat. Außerdem gibt es eine 90-minütige Besprechung unmittelbar vor dem Beginn des Balletts. Mitmachen wird, wer am Samstag um 18 Uhr im Dienstplan steht. Ganz schlicht, weil gilt: „Die Kommandos sind die gleichen, die wir auch im Hafen machen. Der Unterschied ist der enge Raum, auf dem das Ballett stattfindet.“

Hamburg ist der einzige Hafen auf der Welt, in dem es ein Schlepperballett gibt, heißt es. Was einerseits daran liege, dass es so viele Schlepper der Hamburger Art gar nicht gebe – in Singapur beispielsweise seien die Schlepper schwerer, sagt Petersen. „Außerdem sind die Hamburger sehr hafenverliebt, im Gegensatz zu Rotterdam. Dort ist der Hafen ein reines Geschäftszentrum.“

Und dann ist da noch etwas, was die Maschinen tanzen lässt: Es geht um den Tourismus, die Karriere Hamburgs als Reiseziel mit Freizeitwert. Petersen sagt: „Ursprünglich war die Frage: Wie können wir die Reeder überzeugen, die Schlepper zu kaufen? Mittlerweile geht es darum: Wie viele Leute können wir nach Hamburg locken?“ Das Schlepperballett ist so ein sehr treffendes Sinnbild für Hamburgs Entwicklung: Die Stadt setzt auf touristisch relevante Events. Und gleichzeitig auf ihren boomenden Hafen.

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