: Von wegen „investigativ“
von ULRIKE HERRMANN
Edelhuren, Tarnfirmen und Geheim-Millionen: Die VW-Affäre um Peter Hartz & Co. ist ein Wirtschaftskrimi, wie er sich besser nicht hätte erfinden lassen. Die Medien waren begeistert von diesem Plot aus Macht, Sex und Gier. Fast zwei Jahre lang beschäftigt die VW-Affäre nun schon die Journalisten. Wer Exklusivgeschichten platzieren konnte, durfte sich als Sieger fühlen. Einer der wichtigsten Informanten hat seine Kanzlei in Kiel: Wolfgang Kubicki. Anwalt und FDP-Politiker. Offen gibt er es zu: „Ich brauchte die Medien.“ Gezielte Hinweise an Bild, Focus, Stern oder Süddeutsche Zeitung waren seine Strategie als Strafverteidiger.
Kubicki vertritt eine der Hauptfiguren in der VW-Affäre: Klaus-Joachim Gebauer, einen der engsten Mitarbeiter von Hartz bei VW. Anfangs sah es gar nicht gut aus für seinen Mandanten. Denn Gebauer hatte unter anderem die Spesenkasse für den VW-Gesamtbetriebsrat verwaltet – und dabei, so lautet der Verdacht, nicht nur Prostituierte besorgt und Luxusreisen organisiert, die VW-Tochter Skoda soll ihm auch noch eine Geliebte finanziert haben. Zudem beschäftigte die Staatsanwaltschaft die Frage, ob Gebauer an Tarnfirmen beteiligt war, um bei VW heimlich abzukassieren. In dieser recht aussichtslosen Situation setzte Kubicki auf die Medienschlacht.
Journalisten als Mittelsmänner
Die VW-Affäre führt vor, wie falsch das gängige Bild vom investigativen Journalismus sein kann, der in Deutschland einen solchen Nimbus genießt, dass dafür sogar eigens Auszeichnungen vergeben werden. Heute, zum Beispiel, werden die renommierten Henri-Nannen-Preise verliehen, auch in der „Kategorie Investigativ“. Dabei entsteht häufig der Eindruck, als würden sich die Reporter wie Detektive durch Geheimarchive wühlen und trickreich kombinieren. Tatsächlich aber fungieren die Journalisten oft auch als Mittelsmänner für sensible Nachrichten. Wer immer ein Anliegen hat, der meldet sich bei ihnen als Informant und versucht die Medien für seine Zwecke zu instrumentalisieren. Kubicki ist kein Einzelfall.
Seine Medienstrategie hatte ein klares Ziel: Nicht Gebauer sollte vor Gericht als der Hauptschuldige dastehen, sondern sein Chef – VW-Personalvorstand Peter Hartz. Das könnte aufgegangen sein. Gebauers Hauptverhandlung vor dem Braunschweiger Landgericht wird wahrscheinlich erst im September stattfinden, aber für Kubicki „ist der Fall faktisch abgeschlossen“. Die Staatsanwaltschaft erwartet eine Strafe von 18 Monaten, Kubicki findet 3 Monate angemessen. Aber das genaue Strafmaß ist für ihn nicht so wichtig. Bedeutsamer sei das Signal, dass Gebauer mit Bewährung rechnen kann.
Medial steht der Verlierer sowieso schon fest. „Hartz ist persönlich und existenziell vernichtet durch die öffentliche Debatte“, sagt Kubicki nüchtern. Mitleid ist keine Kategorie, in der er als Anwalt denkt. „Ich kenne niemanden, der mich gern zum Gegner hat.“ Auf seinem Gesicht erstrahlt ein Grinsen.
Die Affäre begann am 15. Juni 2005, als VW zwei fristlose Kündigungen aussprach: Gebauer und Skoda-Chef Helmut Schuster sollten wegen ihrer Tarnfirmen gehen. Am 28. Juni schob VW dann eine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft Braunschweig hinterher.
Kubicki erinnert sich an das erste Treffen mit Gebauer. Nach 20 Minuten hatte er das Gefühl, sagt er, „ich habe es hier mit einem Verwirrten zu tun“. Zu erstaunlich wirkten die VW-Geschichten rund um Edelnutten, die den Betriebsräten weltweit hinterher geflogen wurden. Also besorgte Kubicki ein Diktiergerät für Gebauer, woraus jene sechzigseitige „Lebensbeichte“ entstand, mit der die Medien später gefüttert wurden.
„Geben und Nehmen“
An interessierten Journalisten fehlte es nicht. Damals riefen täglich 150 bis 200 Reporter in Kubickis Kanzlei an. Doch er sprach nur mit jenen, die er kannte – und mit denen er Informationen tauschen konnte. „Es war ein Geben und Nehmen.“ Denn Kubicki wusste lange nicht, was die Staatsanwaltschaft schon ermittelt hatte. Erst im Januar 2006 erhielt er Akteneinsicht. Die Journalisten hingegen waren oft viel besser informiert, weil nicht nur Kubicki die Medien nutzte, sondern auch die Gegenseite. „Aus den VW-Reihen ist unheimlich viel gekommen“, sagt Kubicki. „Das könnte ich sogar belegen.“
Aber es gab noch weitere Akteure, die die Medien bedienten. Zumindest glaubt das Hartz. In seinem Buch „Macht und Ohnmacht“ verdächtigt er den niedersächsischen CDU-Ministerpräsidenten Christian Wulff, dass er gezielt Informationen streute: „Es wäre gewiss spannend, den Berichtsweg von der weisungsgebundenen Staatsanwaltschaft über die Ministerien bis zur Staatskanzlei zu recherchieren.“ Denn 2005 war Bundestagswahl und Hartz ist SPD-Mitglied.
Für Kubicki war die Frage an jeden Journalisten: „Können wir ein Geschäft machen?“ Information gegen Recherche. So lief es auch mit der Bild-Zeitung. Gebauer wusste, wie eine Prostituierte hieß, die er Hartz in Lissabon zugeführt hatte: Joselia. An mehr allerdings konnte er sich nicht erinnern. Nur noch an den Namen des Animierlokals: Elefante Branco. Noch heute ist Kubicki beeindruckt, wie schnell Bild mit diesen mageren Angaben Joselia fand. „Recherchieren können sie.“
Am 9. Juli 2005 war dann in der Bild nachzulesen, wie die „dunkelhäutige Schönheit“ von ihren insgesamt vier Treffen mit Peter Hartz erzählt: Er sei „immer ein Gentleman“ gewesen. Der VW-Personalvorstand war erledigt. Am 8. Juli bot Hartz seinen Rücktritt an und kam damit der Bild-Story zuvor.
Es dauerte nicht lange, bis Gebauer von seinem Anwalt lernte und seine eigene Medienarbeit betrieb. „Ich konnte nicht alles verhindern“, sagt Kubicki dazu nur. Gebauer sprach mit Zeit, Focus, Süddeutscher Zeitung, und auch zur Kerner-Show wollte er unbedingt. In einem seitenlangen Stern-Interview schilderte er besonders ausführlich, wie er die „Mädchen von recht ordentlichem Niveau“ auftrieb, die der VW-Betriebsrat auf Auslandsreisen verlangte.
„Sehr offensive Medienarbeit“
Hartz vermutet in seinem Buch, dass die Medien „Unsummen“ für diese Interviews und Informationen gezahlt hätten. „Das ist definitiv gelogen“, kontert Kubicki und zückt sein Handy, um Gebauer anzurufen. Zehntausend Euro habe er vom Stern erhalten, teilt der einstige Spaßorganisator mit. Das Magazin dürfte sonst großzügiger sein: Wie der Bremer Verfassungsschutz ermittelte, soll der Stern für ein Interview mit dem Guantánamo-Häftling Murat Kurnaz mindestens 18.000 Euro hingeblättert haben. Außerdem, so Gebauer, habe er noch 1.000 Euro Fotohonorar vom Focus erhalten – und 1.000 Euro für seinen Kerner-Auftritt.
Doch letztlich war nicht Geld die Währung, sondern Information. Dabei hatte Kubicki einen Favoriten: „Mit Hans Leyendecker würde ich immer reden.“ Früher beim Spiegel und heute bei der Süddeutschen Zeitung gilt Leyendecker als der deutsche Meister des investigativen Journalismus. Er gibt das Lob an Kubicki zurück: „Seine sehr offensive Medienarbeit hat sich für Gebauer als segensreich erwiesen, hat ihn aus dem Zentrum der Affäre geholt.“
Die Bunte nennt Kubicki gar einen „Staranwalt“. Das findet er ein wenig übertrieben. Aber nur ein bisschen. Kubicki rechnet sich zu den „guten“ Strafverteidigern Deutschlands. Diese Einschätzung ist allerdings noch nicht bis zum Branchendienst Juve vorgedrungen, der jährlich ein Ranking der besten Kanzleien vornimmt. Dort wird Kubicki nirgends erwähnt. Dem Juve ist anzumerken, dass aggressive Medienarbeit noch nicht zum Standeskodex der Juristen gehört. Stattdessen sind „Integrität“, „Teamplayer“ oder „angenehm im Umgang“ die Stichworte, die eine Kanzlei nach vorn befördern.
Das deckt sich mit den Intentionen der Strafprozessordnung, die verhindern will, dass Verdächtige vorverurteilt werden. Paragraf 353 d verbietet es ausdrücklich, „amtliche Schriftstücke eines Strafverfahrens“ zu zitieren, bevor es zu einer öffentlichen Verhandlung kommt. Theoretisch droht eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr. Praktisch hat dieser Paragraf keinerlei Relevanz – denn viel zu schwammig ist die Formulierung, dass die Gerichtsdokumente nicht „ganz oder in wesentlichen Teilen im Wortlaut“ veröffentlicht werden dürfen. Dieser Passus ist durch geschickte Paraphrasierung immer zu umgehen. Von den Journalisten wie von den Anwälten.
„Prangerwirkung“
Inzwischen beunruhigt es viele Juristen, welch massive Rolle die Medien in Strafprozessen spielen. „Wenn Durchsuchungen stattfinden, stehen da immer häufiger Kamerateams, die filmen, wie die Kisten rausgetragen werden“, konstatiert der Münchner Strafverteidiger Werner Leitner, der Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Strafrecht des Deutschen Anwaltvereins ist. „Diese Prangerwirkung der Ermittlungsverfahren vernichtet oft Existenzen.“ Selbstständige erhalten keine Kredite mehr, die Kunden bleiben weg. Leitner sieht darin einen „Angriff auf das Persönlichkeitsrecht“. Was Leitner besonders ärgert: „Nirgends ist geregelt, was passiert, wenn die Berichterstattung falsch war.“ Er fordert eine „Selbstverpflichtung wie in Amerika“, wo die Zeitungen ganze Spalten haben, in denen sie faktische Fehler nachträglich korrigieren.
Der Heidelberger Anwalt Alexander Keller von der Stiftung Pro Justizia geht noch weiter. Er verlangt im Normalfall ein gesetzliches Verbot, über Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zu berichten, solange noch keine Anklage erhoben wurde. Zwar glaubt er nicht, dass damit der schwunghafte Handel mit Informationen völlig enden würde. „Aber es wäre ein Paradigmenwechsel. Es wäre standeswidrig für Anwälte, sich mit Journalisten über ihre Fälle auszutauschen.“
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