: Der blaue Brief von Bischof Trelle
Weil sie evangelischen Unterricht gegeben hat, kündigte das Bistum Hildesheim einer 53-jährigen katholischen Religionslehrerin fristlos. Kollegen und Eltern werfen dem Bischof soziale Kälte vor
VON KAI SCHÖNEBERG
„Rechtlich sind wir auf der sicheren Seite“, sagt Michael Lukas. Für den Sprecher von Hildesheims Bischof Norbert Trelle ist die Sache klar: Weil Angelika L. „seit Jahren“ nicht nur katholischen, sondern auch evangelischen Unterricht gegeben und zwei weitere Fächer an der Wilhelm-Bracke-Gesamtschule in Braunschweig unterrichtet habe, sei die fristlose Kündigung wegen „fachfremder“ Arbeit in Ordnung. „Die Dame hat einen Arbeitsvertrag mit dem Bistum Hildesheim, den sie nicht erfüllt hat.“
Offenbar hat L. neben evangelischer Religion an der Schule auch noch Technik- und Englischunterricht erteilt. Das verstoße gegen ihren Vertrag, so Lukas. Eine katholische Lehrerin müsse nach der „katholischen Sitten- und Glaubenslehre unterrichten“ – und nichts anderes. Weiteres will er nicht sagen, verweist aber auf ein kirchliches Schlichtungsverfahren unter Vorsitz eines Arbeitsrichters, das nach dem Widerspruch der Lehrerin angelaufen ist.
„Das Kollegium ist entsetzt“, sagt die Personalratsvorsitzende der Schule, Almuth Bothe. Der Bischof zeige „soziale Kälte und menschliche Missachtung“, weil er L. im April nach über 30 Jahren im Dienst gefeuert hat – ohne vorherige Abmahnung. Gestern Nachmittag fuhr fast die gesamte Lehrerschaft und viele Eltern nach Hildesheim, um vor dem Dom für L. zu demonstrieren. „Jesus verzeiht Fehler. Die Kirche nicht?“ und „Gebt uns unsere Kollegin zurück!“ stand auf Transparenten, die die Lehrer gemalt hatten. Heute haben sie einen Termin mit Bischof Trelle.
„Wir fordern die Rücknahme der Kündigung“, sagt Bothe. Die 53-jährige Religionspädagogin L. stehe nach der Kündigung vor der Arbeitslosigkeit. Dabei habe sie „ja keine goldenen Löffel geklaut“. Trelles Sprecher Lukas wollte gestern nicht sagen, ob der Bischof doch noch einmal Gnade vor Recht ergehen lassen werde.
Auch L. selbst wollte sich gestern wegen des laufenden Verfahrens nicht äußern. Ihre einstigen Kollegen empfinden den blauen Brief des Bischofs auch deshalb als besonders ungerecht, weil sie erst auf Bitten des einstigen Schulleiters für andere eingesprungen war – wegen personeller Engpässe. Dem Rektor habe sich L. „als schwächstes Glied in der Kette“ nicht widersetzen können, meinen die Lehrer. Offenbar haben an der Schule auch schon andere „Fachfremde“ im Religionsunterricht beider Konfessionen ausgeholfen. „Das war eine Notsituation“, sagt Bothe, „da hat sich niemand was bei gedacht.“ Auch der kommissarische Schulrektor Franz Rollinger regt sich über den Bischof auf: Er schätze die Arbeit von L. außerordentlich, betont Rollinger. Außerdem unterrichte sie seit Februar, als der Fall bekannt wurde, nur noch katholischen Religionsunterricht.
Inzwischen wird auch das Land aktiv: Die Landesschulbehörde prüfe, ob der ehemalige Schulleiter gegen das Dienstrecht verstoßen habe, als er die Religions-Lehrerin andere Fächer unterrichten ließ, sagt ein Sprecher des Kultusministeriums. Allerdings kann man den Rektor dafür auch nicht mehr disziplinarrechtlich belangen: Er ist im Ruhestand.
Wie andere Religionslehrer in Niedersachsen war auch L. bei der Kirche angestellt. Aufgrund einer Vereinbarung zwischen Land und Kirche bildet das Bistum so genannte katechetische Lehrkräfte aus und stellt sie den Schulen zur Verfügung. Sie sind keine Beamten, ihre Entlohnung liegt unter der anderer Lehrer. Nach Auffassung der Katholiken hat L. mit dem „Fremdunterricht“ gegen die „Missio Canonica“ verstoßen, die kirchliche Lehrerlaubnis.
Faktisch unterscheidet sich der Religionsunterricht der Konfessionen heute kaum noch – vor allem in den ersten Schuljahren: Die Rahmenrichtlinien sehen die gleichen Themen für den Unterricht vor. Unterschiede wie etwa bei Abendmahl, Messe oder Rechtfertigungslehre werden etwa ab Klasse 7 behandelt. Offenbar hat es bereits ähnliche Fälle gegeben: Nicht etwa bei den Katholiken, wie Lukas andeutet, sondern bei den protestantischen Glaubensbrüdern und schwestern.
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