: Die SPD ziert sich noch
Alle Zeichen stehen auf Rot-Grün. Auch die CDU hält es für besser, sich jetzt in die Opposition zu verabschieden. Doch weil Koalitionsverhandlungen kein Wunschtraum, sondern hoch wahrscheinlich sind, hält sich die SPD weiter bedeckt
aus Bremen EIKEN BRUHN
Es war nach Mitternacht, da radelte der Bremer SPD-Fraktionschef Carsten Sieling durch den Regen an dem Lokal vorbei, in dem die Grünen ihre 16,4 Prozent feierten. Draußen hielt ihn der Listenzweite der Grünen, Matthias Güldner, an. Sieling hatte eigentlich vorbei kommen wollen, aber naja, irgendwie nicht mehr geschafft, die Medien, so viele Leute, du verstehst. Na klar.
Mal abgesehen vom Regen – strahlender Sonnenblumenschein wäre passender gewesen – das Bild sagt viel über das rot-grüne Verhältnis. Die Grünen warten seit Jahren auf die SPD. Vor vier Jahren wäre Rot-Grün schon möglich gewesen, doch da verordnete Alt-Bürgermeister Henning Scherf die große Koalition. Entsprechend erleichtert ist die SPD jetzt nach zwölf Jahren mit der CDU. Als „Bündnis auf Zeit“ verabschiedet manch ein Rot-Grün-Anhänger in der SPD die große Koalition und glaubt, die WählerInnen hätten am Sonntag deren „Ende definiert“.
In der SPD erklären viele offen oder verdeckt ihre Präferenz für Rot-Grün, niemand macht sich ernsthaft für eine große Koalition stark. Allzu deutlich dürfen die Sozialdemokraten ihre Zuneigung aber nicht zeigen, schließlich müssen sie auch gegenüber dem Wunschpartner noch Muskeln zeigen. „Wir müssen pragmatisch sein und gucken, was uns geboten wird“, sagt etwa Max Liess, als wirtschaftspolitischer Sprecher der Grünen-Liebe eher unverdächtig.
Die offizielle Linie „wir legen uns nicht fest“, die SPD-Chef Jens Böhrnsen vor der Wahl ausgegeben hatte, gilt weiter. Dabei könnten die anstehenden Sondierungsgespräche mit der CDU kurz werden. Abgesehen von gelegentlichen Ausrutschern nach rechts kurz vor der Wahl – wie der Hetze gegen den ehemaligen Guantánamo-Häftling Murat Kurnaz oder die frühere RAF-Terroristin und heutige Deutschlehrerin Susanne Albrecht – haben sich die Christdemokraten in den letzten Jahren sozialdemokratisieren lassen. Deshalb können sie sich nicht noch weiter als jetzt auf SPD-Wünsche einlassen, etwa in Fragen der Bildungspolitik einknicken, am Ende gar die Gymnasien abschaffen. Zu gewinnen hätte die CDU derzeit nichts als geschwächter Juniorpartner in einer großen Koalition. Nach der „innerparteilichen Befindlichkeit“, stellte gestern der CDU-Fraktionsvorsitzende Hartmut Perschau fest, müsste die CDU jetzt in die Opposition gehen, um in vier Jahren wieder mit einem klareren Profil gestärkt in die Wahlen zu gehen.
Die Grünen hingegen sind an einem Punkt angelangt, wo sie gar nicht anders können als regieren. Jetzt müssen sie über den Preis verhandeln. Ob der für beide Seiten so besonders hoch ausfallen wird, ist fraglich. Wo kein Geld da ist, ist auch nichts zu verteilen – die grüne Spitzenkandidatin Karoline Linnert weiß das als Finanzpolitikerin mit Ambitionen auf einen entsprechenden Senatsposten am besten. Über die Prioritäten sind sich SPD und Grüne ohnehin einig: Weniger Investitionen in Großprojekte wie den gescheiterten Space Park, mehr Soziales. Zwar entdeckte auch die CDU nach dem Tod des zweijährigen Kevin im vergangenen Jahr ihr Herz für Kinder, doch von anderen hilfebedürftigen Bevölkerungsgruppen war nie die Rede. „Unglaubwürdig“ sei das Sozialprofil der CDU gewesen, sagt Wolfgang Grotheer, nachdem sie jahrelang Kürzungen im Sozialhaushalt gefordert habe. Der sozialpolitische Sprecher der SPD spricht sich daher für Rot-Grün aus.
Angst vor überzogenen Grünen-Forderungen haben die SPD-PolitikerInnen nicht, dazu sei deren Spitzenpersonal, anders als zu Ampelzeiten, zu pragmatisch, sagt Grotheer. „Mit Wohlwollen“ habe man etwa zur Kenntnis genommen, dass die Grünen-Chefin Linnert die Vertiefung der Außenweser für erwägenswert hält. Und der SPD-Wirtschaftspolitiker Liess lobt seinen Grünen-Kollegen Klaus Möhle. Der Form halber weisen beide aber auch daraufhin, dass es in Fragen von Wirtschafts- und Verkehrspolitik knallen könnte. Eine „Sperrung der Innenstadt bei Feinstaubbelastung“ sei mit der SPD nicht zu machen, sagt Liess und vermisst bei den Grünen ein klares Bekenntnis zum Industriestandort. Deren Wirtschaftsförderung richte sich ja nur an Klein- und Kleinstbetriebe, „für Migranten“. Allerdings sind dies extreme Zuspitzungen Grüner Forderungen, also nichts, worüber sich nicht verhandeln ließe.
Bleibt das Lieblingsargument der CDU für eine große Koalition: Die gefühlte Nähe zur Bundesregierung. „Ach, das hat uns doch nie etwas gebracht“, sagt Grotheer. Bei den Verhandlungen um Finanzhilfen und die Föderalismusreform gehe es um „knallharte Länderinteressen“ und nicht um den Draht von CDU-Landeschef Bernd Neumann zu Angela Merkel.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen