Komasaufen verbieten?: Gesetze helfen nicht gegen Ängste
Es ist geradezu jämmerlich. Da trinkt ein 16-Jähriger, bis er erbricht, daran zu ersticken droht und ins Koma fällt. Bis heute ist unklar, wo, was genau und wie viel der Zehlendorfer getrunken hat. Doch mangelnde Faktenkenntnis trübt nicht die Urteilsfreude von Landespolitikern jeder Couleur. Von CDU bis Grünen fordern alle Parteien ein Verbot so genannter Flatrate-Partys. Schluss mit unbegrenztem Alkoholausschank für Jugendliche. Das Jämmerliche an dieser Forderung sind ihr Populismus, ihre Kurzsichtigkeit – und die Angst, die sie offenbart.
KOMMENTAR VON MATTHIAS LOHRE
Da ist der Populismus: Mit Vorschlägen, Gesetze zu verschärfen, kommen Politiker Kontrollsehnsüchten in der Bevölkerung nach. Ein neuer Paragraf – und alles wird besser. Aber natürlich ist es nicht so.
Hier kommt die Kurzsichtigkeit ins Spiel: Es gibt Gesetze, die Jugendlichen das Trinken „harter Sachen“ verbieten und Gastronomen, sie ihnen aufzutischen. Das Problem sind nicht laxe Gesetze, es ist der laxe Umgang mit ihnen. Wären sie beachtet worden, der 16-Jährige wäre nicht ins Koma gefallen. Vorausgesetzt, die Aussagen über seinen Alkoholkonsum stimmen.
Forderungen nach Verboten von „Flatrate“-Angeboten sind nicht nur überflüssig, sondern auch unsinnig. Wer soll tausende Bars, Kneipen und Clubs kontrollieren? Nach dieser Logik müssten Sparangebote wie „Happy Hours“ auch verboten werden.
Die heutigen Jugendlichen sind nicht schlimmer als jene früherer Generationen. Deshalb offenbart die derzeitige Hysterie vor allem eins: das Unverständnis vieler Menschen für die Lebensführung ihrer eigenen Kinder, Nichten, Neffen, Enkelinnen und Enkel. Und die Angst, die diese Hilflosigkeit erzeugt. Gesetze helfen dagegen nicht.
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